33 ~ ۷ɛཞʂƈɧɩɛ℘℘ųŋɠ

19 2 4
                                    

Nachdem ich meine Vergeltung vollendet hatte, deren blutige Details ich dir gerne ersparen würde, ging ich wieder frohen Mutes auf den Weg. Ah, ich sollte wohl als nächstes erwähnen, dass ich an eine Küste kam. Ich denke nicht, dass es die nördlichste Küste Englands war, da hätte ich wohl noch ein paar Tage wandern müssen, aber es war der nördlichste Punkt, an den es mich jemals geführt hatte.
Also, ich stand an einer Steilklippe und blickte auf das unendliche Meer vor mir hinaus. Es war sehr kalt für einen Sommertag. Der Himmel war von Wolken verhangen, die so schwer schienen, dass sie sich jederzeit lösen und auf die Erde stürzen könnten. Ich richtete meinen Umhang und zog mir die Kapuze tiefer ins Gesicht, um mich vor dem scharfen Seewind zu schützen, der meine Wangen vor Kälte prickeln ließ.
Plötzlich hatte ich diesen Gedanken. Es war ein schrecklich dummer Gedanke, und zwar hörte er sich an wie folgt: Ich bin in die falsche Richtung gelaufen.
Nein, das meine ich ernst. Der Norden?, dachte ich. Was soll ich denn im Norden? Es war sozusagen eine Sackgasse, denn von hier konnte ich nirgendwo mehr hin. Weiter oben wurde es nur noch kälter, aber dass mich dort keine Zukunft erwartete, konnte ich mir schon ausrechnen. Es war Niemandsland, nicht für jemanden gemacht, der ein neues Leben suchte. Jedenfalls nicht, wenn dieses Leben nur das geringste Bisschen Spannung und Sonne enthalten sollte. Man sieht es mir vielleicht nicht an, weil ich weiß wie ein Stück Käse bin, aber ich liebe die Sonne. Ich fühle mich einfach wohler, wenn es hell und warm ist. Du kannst das bestimmt verstehen. Stell dir mal vor, ich wäre nach Schweden gegangen. Ein Albtraum ist das, einfach nur schrecklich. Da liegt an irgendwie hundert Tagen im Jahr Schnee, und es ist das halbe Jahr über dunkel. Ist doch scheiße.
Ja, genau das Gleiche habe ich mir damals auch schon gedacht. Wie gesagt, ich stand an dieser Klippe, dachte mir, dass ich hier falsch war, drehte mich um und lief in die andere Richtung wieder los.

Auf dem Rückweg nahm ich natürlich nicht wieder die selbe Route. Ich ließ mich wieder nur treiben, aber dieses Mal hatte ich wenigstens ein relativ genaues Ziel vor Augen. Ich wollte Englands Südspitze erreichen und von dort aus mit einem Schiff nach Frankreich übersetzen. So weit, so gut, dachte ich mir. Frankreich ist immerhin das Land meiner Vorfahren mütterlicherseits. Ich kann die Sprache und wusste, dass es im Süden ganz angenehm sein kann, darum schien es mir wie der beste Ort für einen Neuanfang. Wer weiß, vielleicht hätte ich mir sogar einen Vorteil verschaffen können, wenn ich den richtigen Leuten erzählte, wer meine Mutter war. Sie schien ja durchaus nicht unbekannt zu sein, vor allem unter den zwielichtigen Gestalten des Untergrundes.
Von den Assassinen hatte ich bis jetzt nur Geschichten gehört und zwar keine guten. Die Vipern verachteten die Assassinen, ja sie verabscheuten sie regelrecht. Wie das, fragst du dich, wo sie doch beinahe denselben Beruf ausführten. Leute für Geld aus dem Weg schaffen. Das war jedoch genau der Grund für ihre Rivalität. Denn wie es eben so ist, hat man zwei Organisationen mit ähnlichen Geschäftsmodellen, dann entsteht Konflikt. So war es eben auch mit den Assassinen und Vipern. Obwohl der Bund der Assassinen einige Jahrhunderte länger als die Vipern existiert, kamen sie erst spät nach England. Zum Zeitpunkt ihrer Ankunft hatten die Vipern das Land schon längst unter ihrer Kontrolle. Nun, sie wünschten es sich jedenfalls. Selbstverständlich gefiel den Vipern das Auftauchen der Assassinen rein gar nicht. Um weiterhin genügend Aufträge zu erhalten, boten sie ihre Dienste in noch vielfältigeren Bereichen an. So verloren sie nach und nach ihre Würde, bis sie bloß noch ein mit Geld käuflicher Haufen Rabauken waren. Das war lange vor meiner Zeit, ich bekam die Vipern also niemals in ihrer besten Zeit zu Gesicht. Trotzdem hielten sie sich irgendwie über Wasser.

Zum Zeitpunkt meiner Reise nach Frankreich hatte ich indirekt schon vor, die Seiten zu wechseln. Der Wissensdurst hatte mich gepackt, ich wollte mehr über meine Mutter erfahren. Über die Zeit, bevor sie eine Pricefield wurde. Als sie noch eine Dumont war. Kobral war der erste Mensch, der jemals ihre zweite Identität erwähnte. Obwohl er viel beschäftigt war und nicht gerne über sie sprach, konnte ich ein oder zwei Dinge in Erfahrung bringen.

Er hatte sie als junge Frau kennengelernt, da war sie vielleicht Mitte zwanzig, und sie wollte den Vipern beitreten. Sie war eine Ausreißerin, hatte kein Zuhause mehr und war schutzlos. Das spielte sie ihm jedenfalls vor. Und sie war gut im Spielen. Wochenlang duldete er sie in seinen Reihen und erfuhr erst viel zu spät, dass sie von den Assassinen als Spionin geschickt wurde, um das Netzwerk der Vipern zu untersuchen und untergraben. Als er es herausfand, war Kobral vor allem erschrocken. Ma hatte die Rolle des ahnungslosen Mädchens so glaubhaft verkörpert, nie im Leben hätte er ihr ein Jahre zurückreichendes Schattendasein als Assassine zugetraut, darum fiel er auf ihre Fassade herein, aber als er ihre wahre Intention aufdeckte, war es schon viel zu spät. Ma hatte sich aus dem Staub gemacht und auf dem Weg nach draußen ein paar der wichtigsten Vipern in die Hölle geschickt. Er hat sie nie vergessen, und er hat nie aufgehört, ihr nachzutrauern, denn sie war eine der vielversprechendsten Schülerinnen, die er je hatte.

So war das. Aus seiner knapp gehaltenen Erzählung hörte ich vor allem heraus, dass ich die Assassinen fragen musste, um mehr zu erfahren. Genau darum wollte ich sie nun aufsuchen. In Frankreich.
Jetzt möchte ich dir gerne erzählen, warum genau ich es nie nach Frankreich geschafft habe.

Es war ein lauer Sommerabend, ich war irgendwo bei Glasgow, Eaglesham hieß, glaube ich, das letzte Kaff, welches ich passiert hatte, und ich war seit Stunden auf den Beinen. Da ich nicht darauf vertrauen konnte, noch ein Dorf zu finden, bevor die Nacht einbrach, entschloss ich mich dazu, mein Nachtlager einfach unter freiem Himmel aufzuschlagen. Das war kein Problem, ich hatte es auf meinen Reisen schon oft so gemacht und blieb dabei für gewöhnlich ungestört, darum machte ich mir keine Sorgen um meine Sicherheit.
In einer Senke zwischen zwei Hügeln machte ich ein kleines Lagerfeuer und breitete meine Decken aus, ehe ich ein kaltes Abendessen verzehrte und mich hinlegte. Obwohl mein Schlafplatz recht geschützt lag und ich wirklich sehr müde war, dachte ich daran, mein Schwert griffbereit zu haben. Man konnte ja nie wissen. Falls mich doch ein nächtlicher Angriff erwartete, wollte ich nicht ungeschützt sein. Ich schlief zu dieser Zeit auch immer mit einem Messer in der Hand, was zu einer Gewohnheit wurde, die ich mir nur sehr schwer wieder abgewöhnen konnte.
Sobald ich meinen Kopf auf meinen zusammengefalteten Umhang bettete, der mir als Kissen diente, schlief ich auch schon ein, allerdings wurden mir nur einige wenige Stunden der Ruhe gewährt.

Irgendwann um Mitternacht herum wachte ich wieder auf. Mein Herz schlug schnell und mir stand der kalte Schweiß auf der Stirn, was ich erst auf meinen vorangegangenen Albtraum schob, allerdings war das nicht der einzige Grund. Diese Nacht war sehr dunkel, es war kurz nach Neumond, darum brauchte ich recht lange, aber nach ein paar Sekunden konnte ich im schwachen Schein der glühenden Kohlen meines Feuers die Silhouette einer Person erkennen, die auf einem großen Stein saß. Das Licht reichte nicht aus, um ihr Gesicht erkennen zu können, noch dazu trug sie eine Kapuze.
Unter dem Kissen griff ich den Griff meines Messers fester, als die Person mein Erwachen bemerkte und zu sprechen begann.
"Keine Angst", sprach sie, und ich war überrascht, die Stimme einer Frau zu hören. Sie klang weich wie Seide und einnehmend wie süßer Nektar. "Ich bin nicht hier, um dich auszurauben oder zu töten. Mein Meister hat mich gesandt, um dich zu ihm zu bringen."
"Ich gehe nirgendwohin", knurrte ich, meine eigene Stimme rau vom Schlaf. Vorsichtig stand ich auf und griff noch in der Hocke nach meinem Schwert, welches leicht aus seiner Lederscheide glitt und den roten Glanz der Kohlen reflektierte.
"Du verstehst nicht", sagte die Frau und erhob sich ebenfalls. "Du hast keine Wahl. Mein Meister bekommt immer, was er will, und ich versage niemals. Du wirst also entweder freiwillig mitkommen oder ich zwinge dich dazu." Hinter mir und überall um mich herum hörte ich federleichte Schritte, die sich mir näherten und stellte fest, dass ich umzingelt war. Sie waren mindestens zu acht, was für mich ein deutliches Signal dafür sein müsste, dass ich an dieser Stelle meine Waffe fallen lassen sollte. Immerhin war ich noch nicht vor zu langer Zeit in einer ähnlichen Situation gewesen. Ach ja, erwähnte ich bereits, dass ich nicht aus Fehlern lerne?
"Ich werde nicht mit dir kommen", wiederholte ich und hob mein Schwert in eine Verteidigungsposition.
"Dann tut mir das leid", sagte die Frau, die plötzlich direkt vor mir stand und schlug mir mitten ins Gesicht. Ich hätte mich gewehrt, aber einer ihrer Verbündeten entwaffnete mich und hielt meine Arme hinter meinem Rücken fest. Das alles geschah so furchtbar schnell, ich konnte nicht einmal zucken, bevor meine Hände schon zusammengebunden waren und ich auf den Boden gezwungen wurde. Ich sah einen Stiefel auf mich zukommen, spürte einen großen Schmerz, und dann wurde alles schwarz.

verschleppen
gewaltsam irgendwohin bringen

1.543 Wörter

ValeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt