26 ~ ۷ɛཞ℘ąʂʂɬ

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"Oh Mann, ist das klasse!" Die Tür war kaum hinter uns ins Schloss gefallen, da freute Mark sich schon über diese Gelegenheit. "Wisst ihr, was das bedeutet? Wir sind quasi Ehrenmitglieder, wir sind die Allergrößten, wenn Kobral uns so vertraut!"
"Mhm, echt super", meinte Gabe mit wenig Enthusiasmus. "Genau das hab ich mir immer erträumt. Als Auftragsmörder und -dieb zu meinem Vater zurückzukehren. 'Hallo Richard, altes Haus, wie geht's denn so? Dein verloren geglaubter Sohn hier. Ich hab's richtig weit gebracht, ich bringe jetzt für Geld Leute um, und jetzt bin ich hier, um dir alle deine Ersparnisse zu klauen. Und selbst?'"
"Wir lassen uns einfach nicht sehen. Wir gehen rein, leeren seinen Tresor oder was auch immer und gehen wieder raus. Total unbemerkt. Dafür kommt ihr ja mit", sagte Mark.
"Aber warum wir alle?", fragte Maggie. "Ist das nicht ein bisschen auffällig, wenn wir das zu viert machen?"
"Hast du jemals in Pas Schatzraum geschaut?", fragte ich zurück. "Wir könnten zehn Leute mitnehmen und nicht alles raustragen."
"Ja, das war vielleicht vor drei Jahren so, aber wer weiß denn, wie es dort heute aussieht? Vielleicht hat er ja auch das ganze Haus umgebaut."
"Nein, das glaube ich nicht", schaltete Gabe sich wieder ein. "Ich hab mich in den letzten Jahren immer wieder in der Stadt umgehört. Man sagt, dass Richard sich kaum noch auf der Straße sehen lässt. Er hat einen Großteil seines Personals entlassen, aber nicht, weil er es nicht mehr bezahlen könnte, sondern weil er es nicht mehr braucht. Das Haus ist inzwischen mehr Ruine als alles andere. Niemand hält es instand."
"Aber warum denn? Pa hat dieses Haus geliebt. Er würde es doch niemals so herunterkommen lassen", zweifelte ich. Mark beobachtete unsere Unterhaltung schweigend und merkte sich wahrscheinlich alle Fakten, die nützlich werden könnten.
"Er hat es geliebt, als wir darin gewohnt haben. Als Ma bei ihm war. Für uns hat er alles getan. Jetzt, wo wir nicht mehr da sind, ist ihm vermutlich alles egal", sagte Gabe mit gesenktem Blick und Schmerz in der Stimme. "Bestimmt hält er uns längst für tot. Oder er hofft darauf, dass nach seinem Tod ein Erbe gefunden wird, dem er alles vermachen kann. Sein Geld, das Haus, alles."
"Wenn wir ihn also bestehlen, dann nehmen wir uns nur, was früher oder später sowieso uns gehören würde", schlussfolgerte Maggie.
"Noch ist er aber nicht tot", wandte ich ein.
"Lange kann das aber auch nicht mehr auf sich warten lassen. Das einzige, wofür Richard noch Geld ausgibt, ist Alkohol. Er macht sich kaputt, weil er uns vermisst", sagte Gabe.
"Woher weißt du denn das alles?", fragte meine Schwester.
"Wie gesagt, ich habe mich umgehört. Ich sprach mit den wenigen Angestellten, die er noch hat. Sie haben mich nicht erkannt, aber es war trotzdem leicht, ihre Zunge zu lockern. Sie meinten, dass er in Trauer ist. Dass er nie über den Verlust hinweggekommen ist. Außerdem..." Er brach ab.
"Ja, was?", hakte ich nach.
"Außerdem war ich da", vervollständigte er seinen Satz und sah auf, mir direkt in die Augen. Ich konnte meinen Ohren nicht trauen.
"Was?", fragte Maggie erschüttert, die sich offenbar zuerst aus ihrer Schockstarre gelöst hatte. Gabe wandte den Blick wieder ab und ließ ihn schweifen, während wir langsam durch die Flure des Klosters gingen, ohne ein bestimmtes Ziel im Sinn.
"Ja, so ist es. Vor ein paar Monaten war ich da, ich bin durch den Hintereingang ins Haus spaziert. In den letzten Jahren konnte ich nie das Gefühl loswerden, Richard noch etwas sagen zu müssen. Ich wollte mich entschuldigen. Für all das, was meinetwegen passiert ist, was ich ihm angetan habe. Ich wollte ihm sagen, dass es all seinen Kindern gutgeht, dass wir nicht gestorben sind und nicht mal in so weiter Ferne sind.
Aber dann stand ich da. Im Türrahmen von der Küche. Er saß am Tisch und starrte ins Nichts, hatte mir den Rücken zugewandt. Er hätte sich nur umdrehen müssen, dann hätte er mich gesehen. Gott, wie ich mir wünsche, dass er sich einfach umgedreht hätte. Denn dann wäre ich nicht einfach wieder weggelaufen, ohne ein Wort zu sagen. Ich konnte es nicht. Ich hab ihn gesehen, und ich konnte nicht mehr sprechen. Zu wissen, dass er nur meinetwegen so leiden muss, hat meine Zunge gelähmt." Er blieb stehen und stützte sich erst mit einer Hand, dann mit der Stirn an einer Wand ab. "Und weil ich einfach feige bin, bin ich wieder abgehauen, anstatt mich zu zeigen und ihm die Last so vieler Jahre zu nehmen."
Er ballte seine Hände zu Fäusten und entspannte sie wieder, bevor er sie neben seinem Kopf an die Wand presste. "Ich wollte es wieder versuchen, aber ich weiß genau, dass ich heute genauso wenig einen Ton hervor bekommen hätte. Das ist so... verachtenswert. Ich verachte mich dafür, nicht mutig genug zu sein." Zum Ende hin war seine Stimme zu einem Flüstern geworden. Ein Flüstern, dass dennoch auf mich einschrie. All das, was Gabe sich sonst nie anmerken ließ, lag darin. Kaum einmal wurde so deutlich, wie er sich wirklich fühlte.
Wir alle drei, Maggie, Mark und ich, starrten ihn nur an, bis ich einen Schritt auf ihn zu machte, ihn von der Wand weg zog und in meine Arme schloss. Ich tat es in erster Linie, um ihm einen gewissen Schutz zu geben. Ich wusste, dass er sich bloßgestellt fühlte und nicht angestarrt werden wollte, deshalb verbarg ich ihn hinter mir und warf gleichzeitig Maggie einen Blick zu, mit dem ich ihr bedeutete, weiter zu gehen und uns alleine zu lassen. Sie nickte und sah noch einmal mitfühlend zu Gabe, bevor sie nach Marks Hand griff und ihn am Arm den Flur hinab zog. Er protestierte nicht. Selbst Mark hatte wohl verstanden, dass jetzt Klappe halten angesagt war.
Sobald sie weg waren, zog ich Gabe in einen nahen Gang, von dem ich wusste, dass er leer sein würde. Mein Bruder leistete keine Gegenwehr, kooperierte aber dennoch nicht wirklich, weshalb der Ausdruck des Ziehens hier ganz wörtlich verstanden werden darf. Von sich aus tat er keinen Schritt.
Ich manövrierte ihn zu einem niedrigen Fensterbrett und setzte ihn darauf, wobei ich selbst mit verschränkten Armen vor ihm stehen blieb.
An dieser Stelle eine kleine Randbemerkung: Obwohl ich etwas größer als Gabe bin, fand ich immer, dass er die bessere Statur hat. Das klingt jetzt eigenartig, aber ich bin ein Beobachter, darum fallen mir solche Dinge auf. Er hat längere Beine und irgendwie die Fähigkeit, sich mit einer schleichenden Eleganz zu bewegen, und ich muss ehrlich sagen, dass ich diese Grazie immer beneidet habe.
Versteh' mich nicht falsch, ich finde mich selbst auch ganz toll, ich bin halt Einer, den du anschaust und dir denkst: "Nee, mit dem leg' ich mich nicht an." Und das ist auch gut so, weil man sich mit mir wirklich nicht anlegen sollte. Du weißt, dass es mir an Geduld mangelt, deshalb begrüße ich diese Möglichkeit, enervierenden Gesprächen aus dem Weg zu gehen. Ich würde am liebsten-... Bitte? Ach so, selbstverständlich, ich habe mich selbst abgelenkt. Wo war ich? Klar, klar, das Drama um Gabe.
Er zeigt eigentlich nie seine Schwächen oder Gedanken. Er ist ein sehr undurchsichtiger Mensch und hat die Kunst perfektioniert, seinem Gegenüber nur das zu zeigen, was er es sehen lassen will. Ein vertraulicher Ratschlag: Traue absolut nichts, was dieser Kerl von sich gibt. Er kann dir das Blaue vom Himmel lügen. Maggie und ich litten oft darunter, wenn er uns für seine Spielereien missbrauchte, aber wir lernten auch nie daraus. Immer wieder fiel ich, und falle heute noch, auf seine Unwahrheiten herein.
Was ich damit sagen will? Das da, was da auf diesem Fensterbrett in diesem Flur vor mir saß, war der echte Gabe, und das hieß, ich musste die Samthandschuhe auspacken. Den echten Gabe bekommt man so selten zu Gesicht, das darf man nicht kaputt machen. Also, falls du ihn jemals so siehst, pass auf, was du sagst, sonst ist er für immer weg, und du wirst sein Vertrauen für immer verlieren.

"Ich hätte auch nichts sagen können", sagte ich also. "Denk' jetzt also nicht, dass du ein Feigling bist. Was dort vorgefallen ist, vermindert keinesfalls deinen Wert, im Gegenteil. Du bist am Ende eben auch nur ein Mensch, und selbst wenn du allen anderen ein Märchen vorspielst, weiß ich, dass du ein verdammt kaputter Mensch bist. Also was soll's, tu' hin und wieder einfach was Irrationales. Jetzt hör auf, dich über etwas zu ärgern, das in der Vergangenheit liegt. Die Gelegenheit kommt wieder, schneller als du denkst."
Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er sah zu mir auf, und als seine Mundwinkel sich in seinem typischen Lächeln nach oben zogen, wusste ich, dass ich die richtige Saite angeschlagen hatte.
"Komm her. Wir haben einen Auftrag zu erledigen." Ich streckte ihm meine Hand entgegen. Er ergriff sie, und ich zog ihn auf seine Füße und in eine kurze Umarmung, bei der ich ihm auf die Schulter klopfte.
"Du bist mutig, klar?", flüsterte ich dabei. Auch wenn er nicht antwortete, wusste ich, dass er es gehört hatte.

verpassen
eine Gelegenheit ungenutzt vorübergehen lassen, sich entgehen lassen

1.516 Wörter

ValeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt