Gut, genug von diesem Gerede. Ich werde dir jetzt einfach das dunkelste Kapitel meines Lebens erzählen, ohne irgendetwas zu beschönigen.
Alles fing damit an, dass ich draußen hinter dem Kloster in der Sonne saß. Ich hatte mir dort einen kleinen Garten angelegt. Er war bei weitem nicht so groß, wie der, den Ma weiland auf dem Grundstück unseres Anwesens gepflegt hatte, aber die wichtigsten Kräuter und Pflanzen konnte ich dort trotzdem züchten. Dazu gehörten zum Beispiel die Hauptzutaten für meine hausgemachten Mittel und einige Heilpflanzen. Nichts besonderes. Ich wollte auch mal giftige Gewächse anbauen, aber das schien mir zu gefährlich, da sich immer wieder jüngere Mitglieder hierher verirrten, und ich wollte nicht riskieren, dass sich jemand aus Versehen selbst vergiftete.
Nun ja, ich saß also in meinem Garten in der Sonne und hörte den Vögeln beim Singen zu. Ich war seit drei Wochen wieder hier, und es war mitten im Sommer. Ich nutzte meine momentane Freiheit und nahm mir eine Auszeit, die nur nicht mehr lange anhielt.
"Vale!", hörte ich ein entferntes Rufen. Ich schlug meine Augen auf und sah mich um, konnte die Quelle aber nicht finden, weshalb ich beschloss, es zu ignorieren und weiter zu dösen.
Als mir dann jedoch jemand sehr laut meinen Namen direkt ins Ohr brüllte, schreckte ich wieder hoch und schlug dem Störenfried reflexartig ins Gesicht.
"Oh scheiße", sagte ich darauf, während mein Herz immer noch raste. "Tut mir leid."
"Auaaa!", krakeelte Gabe. "Das war wirklich unnötig. Und verdammt schmerzhaft."
"Tja, selber schuld", murrte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Mein Gott, du könntest wirklich ein bisschen mehr Mitgefühl zeigen."
"Und du könntest mich nächstes Mal ein bisschen vorsichtiger aufwecken."
"Warum sitzt du auch hier draußen und schläfst? Hast du nichts besseres zu tun?"
"Offensichtlich nicht. Gibt es denn einen Grund dafür, dass du mich so brutal stören musstest?", fragte ich und musterte ihn. Anders als ich trug er seine schwarze Arbeitskleidung, wofür es wohl einen Grund geben musste.
"Und ob es den gibt", antwortete Gabe und hielt sich seine Nase, aber er übertrieb. So schlimm hatte ich ihn gar nicht erwischt. "Kobral möchte dich sehen."
"Mich?", wiederholte ich überrascht. Dass Kobral mich zu ihm rief, konnte vor allem Zwei Dinge bedeuten: Er hatte entweder einen großen Auftrag für mich, oder ich hatte etwas getan, um ihn wirklich zu verärgern. Letzteres war mir jedoch noch nie passiert, und ich konnte mich nicht entsinnen, mir irgendetwas zu Schuld kommen zu lassen.
"Naja", präzisierte Gabe und ließ seine Hand sinken, "eigentlich nicht nur dich. Er hat nach Mark, Maggie, dir und mir gefragt, aber ich wurde losgeschickt, um dich zu holen. Also, setz' dich in Bewegung, Junge."
Er eilte davon und vertraute darauf, dass ich ihm schon folgen würde."Weißt du, was er von uns will?", fragte ich auf dem Weg.
"Nein, keine Ahnung. Ich weiß nur, dass Mark vorhin in heller Aufregung in mein Zimmer gestürzt kam und kaum einen geraden Satz bilden konnte. Er hat nur irgendwas davon gefaselt, dass ich dich holen soll, und hier sind wir."
"Warum ausgerechnet wir vier?", dachte ich laut, aber Gabe hob nur im Laufen die Schultern und antwortete mir nicht. Von unnötigen Spekulationen war er noch nie ein großer Freund.
"Sehe ich denn präsentabel aus?", fragte ich, als wir im Flur von Kobrals Arbeitszimmer standen. Gabe wandte sich zu mir um und betrachtete mich von Kopf bis Fuß. Ich hatte meiner Kleidung heute keine besondere Bedeutung beigemessen, da ich nicht erwartet hatte, in solch hoher Gesellschaft zu sein.
"Naja", sagte Gabe. Er trat einen Schritt auf mich zu und schloss einen Knopf an meinem Hemd, bevor er meinen Kragen richtete. Zuletzt kämmte er mit den Fingern meine Haare durch, schien daran jedoch zu verzweifeln und ließ schnell wieder von mir ab. Diese Prozedur ließ ich nur über mich ergehen, weil er es war. Ich kann es nicht leiden, wenn irgendwelche Leute mich einfach anfassen.
Gabe und ich liefen weiter, bis wir Kobrals Tür erreichten, vor der Maggie und Mark schon warteten.
"Da seid ihr ja endlich", sagte Mark erleichtert. Maggie wirkte nervös. "Kobral lässt man nicht warten, das wisst ihr doch."
"Ja, das ist mir schon klar", antwortete Gabe gereizt. "Vale hier hat geschlafen."
"Ich habe nichts zu meiner Verteidigung zu sagen", gab ich zu, aber Mark sah mich nicht einmal an.
"Bist du in eine Wand gerannt?", fragte er Gabe. "Oder was ist mit deiner Nase passiert?"
Gabe warf mir einen Seitenblick zu, sagte aber nichts.
"Ist ja auch egal, wir sollten nicht noch mehr Zeit verschwenden." Mark klopfte an die Tür und öffnete einen Flügel davon nach einer kurzen Wartezeit. Die beiden Wachen ließen uns kommentarlos vorbei, als wir uns nacheinander im Arbeitszimmer aufstellten und Kobral angemessen begrüßten. Er saß wie immer an seinem mächtigen Schreibtisch aus Schwarzeiche und sah wachsam zu uns auf. Anders hatte ich ihn nie gesehen. Durch das einzige Fenster hinter ihm fiel ein harter Lichtkeil in den Raum, der seine Silhouette als scharf umrissenen Schatten auf den Boden zu meinen Füßen zeichnete.
"Da seid ihr ja schon. Schön, dass ihr es einrichten konntet", sagte Kobral in seiner gewohnt tiefen und rauchigen Stimme, die Ruhe zu verbreiten schien. Ich senkte meinen Kopf. In Situationen wie diesen überließ ich anderen das Reden. Gerade war ich wohl im Umgang mit Worten die am wenigsten qualifizierte Person im Raum.
"Die Ehre ist ganz unsererseits, Kobral", sagte Mark. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. In der Öffentlichkeit ließen sie es sich nicht ansehen, aber die Verbindung zwischen ihm und Kobral ging tiefer als ein einfaches Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnis.
"Natürlich", sprach Kobral. "Lasst uns gar nicht so viel Zeit auf Banalitäten verwenden. Ihr fragt euch sicher alle, warum ich euch rufen ließ. Der Grund dafür ist so simpel wie bedeutsam. In den vergangenen Jahren habt ihr alle wiederholt eure Stärken und euren Wert bewiesen, weshalb ich nicht eine Sekunde zögere, diese wichtige Aufgabe in eure Hände zu geben. Jedoch wird es vor allem für drei von euch eine große Herausforderung sein, der ihr sicherlich gewachsen seid, dennoch würde ich es gerne noch einmal von euch hören, nachdem ich euch die Aufgabe erläutert habe.
Ich, und damit die Vipern genauso, habe ein Problem. Lange lief es sehr gut für uns, aber in letzter Zeit wird der Andrang vor unseren Toren immer größer. Das begrüße ich selbstverständlich, leider ist es nur so, dass alle jungen Mitglieder und die, die sich in Ausbildung befinden, unsere Kapazitäten und Vorräte nutzen, ohne ihre Beiträge bezahlen zu können. Ich denke ihr seht schon, worauf ich hinweisen möchte. Eigentlich wäre das gar kein Problem, denn wir besitzen die Mittel, um diese Last stemmen zu können, aber nach und nach wird unser finanzielles Polster immer weiter aufgebraucht. Um diesen Vorteil nicht zu verlieren und weiterhin eine sichere Grundlage gewährleisten zu können, brauche ich also Geld. Und hier kommt ihr ins Spiel.
Es trifft sich nämlich, dass ganz in der Nähe eine Menge Geld liegt, das nur noch darauf wartet, ausgegeben zu werden. Und um daran zu kommen, brauchen ich euch, denn wir haben einen ausschlaggebenden Vorteil. Ihr drei, Kobalt, Viparo und Pythea, kennt diesen Ort besser als jeder sonst. Es geht um das Anwesen eures Vaters. Er wird immer reicher, deshalb sollte er kein Problem damit haben, um ein wenig Materielles erleichtert zu werden."
Bei der Erwähnung meines Vaters blickte ich auf. Ich war mir nicht sicher, was ich von dieser Aufgabe halten sollte. Ich hatte nicht damit gerechnet, jemals wieder zu meinem Zuhause zurückzukehren, geschweige denn meinen Vater wieder zu sehen. Vermisste ich ihn? Nein, ich vermisste nicht den Mann, der am Ende mein Vater gewesen war. Ich vermisste Pa, der sich liebevoll um seine Familie gekümmert hatte, aber das lag schon lange in grauer Vergangenheit. So bedeutete er mir nicht mehr besonders viel, aber ihn zu beklauen wäre dennoch falsch, nicht wahr?
Höchstwahrscheinlich wäre es das, aber das machte mir nichts aus. Das Falsch der anderen ist mein Richtig.
Gabe, der links von mir stand, sah ebenfalls nicht so aus, als berührte es ihn. Dass er keine Skrupel hatte, wenn es darum ging, seinen Vater zu beklauen, war nun wirklich keine große Neuigkeit. Er kannte das ja schon. Mark zu meiner Rechten wirkte gleichgültig wie immer, und Maggie, die hinter ihm stand, hatte sowieso jedes Mitgefühl meinem Vater gegenüber verloren. Das spiegelte sich in seinem Blick wieder, der hart und entschlossen war, genau wie ihr Mund, den sie verbissen geschlossen hielt.
Kobral blickte uns nacheinander an und schien sich darüber zu freuen, was er sah.
"Ich bin mir sicher, dass ihr vier perfekt für diese Aufgabe seid. Brecht auf, sobald ihr bereit seid, und zögert nicht, um Vorräte oder ähnliches zu bitten. Füllt unsere Taschen. Viel Erfolg."verdorben
(gehoben abwertend) (in moralischer Hinsicht) negativ beeinflusst1.455 Wörter
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Vale
AcciónIch habe in meinem Leben viel gesehen. Ich bin weit gereist, habe etliche Menschen getroffen. Ich habe etliche Menschen getötet. Ich habe mehr verloren, als ich zu besitzen glaubte. Meine Geschichte ist keine schöne. Sie ist kein Märchen und kein...