|43. Kapitel|

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Persönlichkeit fängt da an, wo der Vergleich aufhört.
-Karl Lagerfeld

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Seine großen Hände, die sich nach mir ausstrecken, sind nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt, als ich mich schnell zur Seite werfe und ihnen so ausweiche.

In Rekordzeit krieche ich eilig zurück zu dem Wäschekorb und rolle ihn ein kleines Stückchen zur Seite, sodass ich mir das Messer schnappen kann.

Gerade, als der Mann wieder nach mir greifen will, drehe ich mich wieder auf die Seite und richte mein Messer auf ihn. Erschrocken über diese Aktion weicht er ein paar Schritte nach hinten und hebt abwehrend die Hände in die Luft, als Zeichen der Kapitulation.

Damit er mir von der Größe her nicht so überlegen ist, da ich auf dem Boden sitze und er vor mir steht, rapple ich mich schweratmend auf, wobei ich das Messer immer noch bedrohlich nahe an seinem Hals halte.

Dieser schluckt nur.

Mein Herz rast wie wild und ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Ich habe noch nie jemanden mit einem Messer bedroht!

Soll ich abwarten, bis Sawyer kommt? Aber was mache ich, wenn einer seiner Freunde in das Bad kommt? Gegen zwei solcher Elefanten habe ich keine Chance!

»Nicht... bewegen...«, sage ich langsam und lasse dabei einen gefährlich wirkenden Unterton mitschwingen.

Währenddessen versuche ich meine Atmung wieder einigermaßen zu normalisieren und lasse den Kerl nicht aus den Augen. Ich fixiere mich regelrecht auf ihn.

Dieser starrt abwechselnd erst auf das Messer und dann auf mich. Langsam bildet sich ein belustigtes Schmunzeln auf seinen Lippen, was mich rasend vor Wut macht.

»Um was wollen wir wetten, dass du nicht zustichst?«

Auch ich setze ein bitteres Lächeln auf und umschließe das Messer dann mit beiden Händen. Ich wage einen Schritt näher an den Mann, dessen Miene aber bis auf das Grinsen kalt bleibt.

»Du würdest nicht einmal mitbekommen, dass du diese Wette verloren hast«, kontere ich und mutig -oder dumm- wie ich bin, wage ich noch einen weiteren Schritt in seine Richtung, sodass sich nun die Spitze des Messers ein wenig in seinen Hals bohrt.

Doch der Kerl bleibt stehen wo er ist und grinst mich immer noch an. Am liebsten würde ich ihm dieses dämlichen Lächeln aus dem Gesicht prügeln. Doch ich weiß, dass ich dafür zu schwach bin.

Und zu unsportlich. Oh Gott, Sport ist also nur zum Teil Mord! In manchen Situationen kann es doch mal nützlich sein, wenn man fit ist. Ich habe definitiv ein großes Problem.

Ich bin so in meinen Gedanken vertieft, sodass ich erst zu spät in seinen Augen sehen kann, wie er mich abscannt. Dann geht alles ganz schnell. Mit einer flüssigen Bewegung reißt er mir das Messer aus der Hand, dreht mich um, sodass ich mit dem Rücken an seine Brust stoße und hält nun mir das Messer an den Hals.

Jetzt bin ich diejenige, die schluckt.

»Na, wie fühlt es sich an zu wissen, dass man versagt hat?«

»Wunderbar«, murmle ich kaum verständlich und starre voller Panik einfach nur die weiße Wand vor mir an. Ich spüre ein Brennen am Hals, was mir klar macht, dass er mir soeben eine Schnittwunde hinzugefügt hat.

Mit aller Kraft versuche ich, das Messer zu entfernen und drücke dagegen. Doch ich bin einfach zu schwach. Dies hat zur Folge, dass das Brennen nur noch schmerzhafter wird und mir treibt es die Tränen in die Augen.

»Spürst du diesen Schmerz?« Sein warmer Atem ist in meinem Nacken zu spüren und bewirkt eine Gänsehaut, aber im negativen Sinn. »Er wird das Harmloseste sein, das du in der nächsten Zeit spüren wirst.«

Ein leises Wimmern entfährt mir und am liebsten würde ich einfach zusammenbrechen. Völlig verängstigt kneife ich die Augen zusammen und wünsche mir immer wieder, dass das alles nur ein verdammter Traum ist. Doch wann habe ich in meinem Leben schon mal Glück?

Plötzlich höre ich ein Krachen und Geraschel. Verwirrt schlage ich die Augen auf und sehe, dass Lyla mit erhobenem Messer vor uns steht. Und neben ihr hat sich Grayson gefährlich aufgebaut. Ihre Mienen sind wutverzerrt und in ihren Augen erkenne ich pure Aggression gegenüber dem Mann, der mich nach wie vor mit dem Messer bedroht.

Gerührt darüber, dass sie für mich ihre Verstecke verlassen haben, entfährt mir ein Schluchzer.

»Lass sie sofort los, du Mistkerl«, knurrt Grayson mit tiefer Stimme und ich halte den Atem an. Das Messer verschwindet nicht von meinem Hals, sondern bleibt wo es ist.

»Wenn ich das aber nicht tue? Was macht ihr dann?«, fragt er mit provozierender Stimme und sieht die beiden belustigt an. Diese starren nur mit einer undurchdringlichen Maske zurück.

»Du solltest mich nicht unterschätzen. Letzte Warnung«, bemerkt Lyla dann und zuckt einfach mit den Schultern. Als wäre sie in einer völlig langweiligen Situation betrachtet sie dann ihre Nägel, bevor sie beginnt herunter zu zählen. »Fünf... Vier... Drei...«

Der Kerl lacht nur und hört nicht einmal auf, als Lyla sich ihm nun mit gefährlich leuchtenden Augen zuwendet.
»Zwei... Eins... Null! Okay, ich habe dich gewarnt!«

Innerhalb von Sekunden holt Lyla aus. Ich kneife die Augen vor Angst zusammen und spüre, wie das Brennen um meinen Hals auf einmal leichter wird. Ein zischendes Geräusch ertönt und kurz darauf ist ein ersticktes Stöhnen zu hören. Ich spüre etwas Flüssiges an meinen Schultern und in meinem Gesicht und augenblicklich überkommt mich eine Übelkeit, als mir klar wird, was das für ein Zeug ist.

Ich höre, wie der Mann nach hinten kippt und öffne zögerlich meine Augen.

Direkt vor mir stehen Lyla und Grayson, die mich besorgt mustern. An meinem Hals bleiben ihre Blicke hängen. »Es tut mir leid, dass ich nicht früher geholfen habe«, entschuldigt Lyla sich sofort und die Reue ist definitiv herauszuhören.

Doch ich schüttle nur meinen Kopf. Für sowas haben wir keine Zeit. Für mich zählt nur, dass sie mir überhaupt geholfen hat. Da ist mir das 'Wann' egal.

»Wir müssen schleunigst hier raus. Diesen Krach haben die restlichen Leute bestimmt gehört!«, sage ich hektisch und die beiden vor mir nicken.

Fieberhaft überlege ich, wie wir am besten flüchten könnten. Durch die Haustüre fällt schon mal weg. Dann könnten wir gleich die Treppe runtertrampeln und schreien: »Hallo, ihr da! Hier sind wir! Wir gehen dann mal, ihr Looser!«

Das Fenster fällt auch weg, da wir uns höchstwahrscheinlich die Füße brechen oder eben verstauchen würden, wenn wir aus dem ersten Stock springen.

Und als dann auch noch einer von diesen Elefanten das Bad betretet mit einer entsicherten Waffe, die auf uns gerichtet ist, bin ich mir sicher, dass es jetzt endgültig vorbei ist.

In mir tritt eine Leere ein, die mir vermutlich Angst gemacht hätte, würde ich noch irgendetwas fühlen. Doch ich spüre nichts mehr. Ich stehe da und fühle mich wie in einer leblosen Hülle gefangen, während ich an den Händen gepackt und aus dem Raum gezogen werde, als ich den Lauf der Waffe an meinem Kopf spüre.

Die markerschütternden Schreie nehme ich nur noch in Trance wahr. Meine Wahrnehmung gleitet mir durch die Hände und ich kann nichts dagegen tun.

LaurenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt