02| sweet war

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can you see the sky? cause i do- valena pérez

Juli 2020
{Valena Pérez}

Schnell schlüpfe ich in mein rotes Kleid, das kurz über meinen Knien endet. Es liegt eng an, ist jedoch ansonsten sehr schlicht gehalten.

Es betont meine Kurven, hat aber kaum Ausschnitt. Man kann sagen, dass es seinen Zweck erfüllt. Es sieht katholisch aus.

Ich fasse meine braunen Haare, die ich, wie meine Augenfarbe, von meiner Mutter geerbt habe, zu einem Dutt zusammen. Nachdem ich das Gel benutzt habe steht auch kein Babyhaar mehr ab.

"Papa? Würdest du mir bitte den Schleier ins Haar stecken?", frage ich und lege ihm vorsichtig, als könnte er jeder Zeit zerbrechen, einen weißen Spitzenschleier in die Hand. Er nimmt ihn entgegen und nickt.

"Du bist so wunderschön, mi hija", sagt er gerührt. Seit Mama krank ist, wird er immer sehr emotional. Ich kann es ihm nicht verdenken. Ich merke selber, wie nah ich auf einmal am Wasser gebaut bin.

"Danke", sage ich und beobachte den schwarzhaarigen Mann dabei, wie er mir den Schleier, der an einer Art Haarkamm befestigt ist, in die Haare steckt.

"Es bedeutet deiner Mutter sehr viel, dass du das machst. Sie selber ist früher immer bei der Prozession mitgelaufen", erzählt er und lächelt gerührt. Ich nicke und lächele.

"Ich weiß"

Das ist der einzige Grund, weshalb ich mich gerade in ein Kleid zwänge und mir einen ewig langen Schleier anziehe. Ich bin nicht gläubig. Zumindest nicht so gläubig, wie meine Eltern.

"Wenn du deiner Mutter eine Freude machen willst, dann besuch sie jetzt einmal", lächelt er.

Heute ist - obwohl er emotional ist- einer seiner guten Tage. Meistens überwiegen die schlechten. Heute ist ein guter.

Risa ist da, Abuelita ist zu Hause und Mama ist nicht ganz von den Medikamenten vernebelt und müde. Es ist ein guter Tag. Ein guter Tag.

"Risa hilf deiner Schwester mit dem Schleier!", fordert er sie auf. Mit einem kleinen Stöhnen kommt sie ins Zimmer.

Obwohl wir Geschwister sind, haben wir eine ziemlich gute Beziehung zu einander. Sie kann es nur nicht leiden, wenn man ihr vorschreibt, was sie zu tun hat.

In der Beziehung kann ich sie gut verstehen, ich bin genauso.

Papa verschwindet im Wohnzimmer, in dem Abuelita vor laufendem Fernseher sitzt.
Irgendein Unterhosenvertreter wirbt mit aufblasbaren Unterhosen, die es jetzt zum absoluten Sonderpreis gäbe.

Ich spüre, wie Risa meinen Schleier hochhebt.

"Gibt es bei dir irgendetwas neues?", fragt sie mich.

"Nein. Bei dir?", frage ich.

"Gibt es bei meiner kleinen Schwester denn gar nichts neues? Keine Verehrer? Das kann ich gar nicht verstehen. Du bist doch so hübsch"

Bei jeder Gelegenheit muss sie mir unter die Nase reiben, dass sie die Ältere ist. Ich werde leicht rot: "Du bist viel zu sehr von mir überzeugt! Ich habe zwar keine Verehrer, aber Shawn Mendes will mich als Songwriterin"

"Ohhh echt?", sagt sie in einem Ton, der mir verrät, dass sie keine Ahnung hat, wer das ist.

"Ja. Der Stiches Sänger... Aber wie geht es Luca?", frage ich und fange endlich an, mich auf die Tür zu zu bewegen.

"Gestern hat er sein erstes Wort gesagt! Mama!", gibt sie stolz von sich.

"Wirklich?", ich sehe sie freudig an. Mein Neffe ist einfach das süßeste Bündel auf der Welt. Da meine Schwester einen blonden Amerikaner geheiratet hat, ist Luca, zum Verblüffen aller, ebenfalls blond geworden.

Dabei müsste man meinen, dass braune Haare dominant sind. Die grünen Augen hat er trotzdem von seiner Mama geerbt. Das ist das Pérez Gen.

"Ja. Bin ich sehr schadenfroh, weil es mich freut, dass es nicht Papa war?", fragt sie lachend. Ich nicke leicht mit meinem Kopf.

"Vielleicht ein bisschen"

Wir gehen die Treppe hoch zu dem Zimmer meiner Mutter, in dem sie in ihrem Bett liegt.

"Ich weiß noch, wie ich damals bei der Prozession mitgelaufen bin. Das Kleid habe ich immer noch", sagt sie lächelnd.

"Du warst wunderschön", sage ich.

Das stimmt. Ich hatte schon immer die Vermutung, eigentlich die Gewissheit, dass sie die Hübschere von uns beiden ist.

"Danke! Aber dann kam der kleine Zwerg und hat mich aufgedunsen. Jetzt bin ich fett und habe einen hängenden Busen"

Ich lache und mache die Tür zu dem Zimmer meiner Mutter auf.

"Das ist der größte Blödsinn, den ich jemals gehört habe. Als du Luca bekommen hast, warst du 21. Es hat sich alles wieder in seine ursprüngliche Form gebogen"

Kaum, dass ich das gesagt habe, brechen wir beide in Lachen aus.

"Da sind ja meine hübschen Hijas", flüstert meine Mutter lächelnd. Ihre Finger krallen sich in die Decke.

"Danke, dass du das machst. Valena, ich weiß, dass du nicht so gläubig bist, wie ich. Deshalb danke ich dir umso mehr. Du siehst wunderschön in dem Kleid aus. Und der Schleier erst! Er umrahmt dein hübsches Gesicht", flüstert sie mir zu und streicht mir eine Strähne, die mir irgendwie in mein Gesicht gefallen ist, hinter mein Ohr.

Ich antworte nicht, sondern fahre mit meinem Daumen über ihre weiche Hand.

"Und jetzt los! Ihr sollt doch nicht zu spät kommen. Sonst tragen sie die Maria ohne euch durch Conil", gibt sie anspornend von sich.

"Wird gemacht!", lache ich und drücke ihr einen Kuss auf die Wange.

Risa umfasst meinen Schleier und hebt ihn wieder an, sodass ich die Treppe hinunter gehen kann, ohne darüber zu stolpern.

Mit diesen Schuhen zu gehen ist eine echte Zumutung.

"Vergiss dein Zepter nicht!", erinnert mich meine Schwester. Keine von uns weiß, wie das silberne Teil wirklich heißt. Alles was mir bewusst ist ist; das Teil ist ziemlich schwer dafür, dass ich es durch die ganze Stadt tragen muss.

"Danke!", murmele ich und laufe zu meinem Vater, der fertiggemacht an der Tür steht. Er hat sein bestes Hemd und seine schönste Hose an.

Es ist ein guter Tag.

Ich laufe den steinigen Weg entlang, der durch unseren Garten führt. Der Weg ist durch mehrere Hibiskus umrahmt, links und rechts steht eine Palme.

Seit ich ein Kind bin, habe ich nie woanders gewohnt.

sweet war [s.m]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt