16| sweet war

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fade away until you don't know who you were - valena pérez

Juli 2020
{Valena Pérez}

"Papa", sage ich, als ich nach Hause komme. Es ist mehr wie ein Flüstern, das immer leiser wird und zum Ende hin im Raum verklingt. Der Schlüssel in meiner Hand sinkt mit ihr hinunter.

Er hat ein Bier in der Hand. Nicht nur das, sondern auf dem Tisch stehen mehr, als nur eine Flasche.

"Valena... Ich äh... Ich dachte du kommst heute nicht", murmelt er ertappt. Er gibt sich nicht einmal wirklich Mühe dabei.

"Papa... Mama hatte einen Anfall. Sie liegt im Krankenhaus", gebe ich schließlich von mir. Wie ein Maschinengewehr.

Anders kann ich es nicht sagen.
Ich befürchte selber zusammenzubrechen, wenn ich es langsam sage. Allein jetzt fällt es mir unheimlich schwer, mit ihm zu reden.

Tränen sind in seinen Augen, doch sie waren schon vorher da. Sie treten nur viel deutlicher durch seine roten, eingefallenen Augen hervor. Ich trete einen Schritt zurück.

"Habe ich dir nicht gesagt, dass du auf sie aufpassen sollst?", fragt mein Vater leise. Ich nicke mit meinem Kopf. Ich ziehe meine Lippen zwischen die Zähne und beiße drauf. Es tut weh. So weh, dass ich plötzlich einen metallischen Geschmack in meinem Mund wahrnehme. Ich versuche die Schmerzen zu übertünchen, die Angst davor, dass sie jeden Moment sterben könnte, doch in Wahrheit, vermischt sich der Schmerz bloß.

"Ich kann nichts dafür... Ich war da", gebe ich kleinlaut von mir.

"Natürlich warst du da. Aber warst du auch hier drinnen", er deutet mit seinem Finger auf seinen Schädel, "bei ihr?"

Ich nicke hastig mit meinem Kopf. Tränen fließen über meine Wangen und vermischen sich mit dem Blut, das hinuntertropft.

"Ich konnte nichts tun. Sie konnte auf einmal nicht atmen", wiederhole ich, was ich schon vorhin zu dem Arzt gesagt hatte.

Ich starre auf den Tisch mit den Flaschen vor mir. Ein Zeichen meines Versagens. Ich war nicht hier, um ihn davon abzuhalten, es zu trinken. Ich war bei meiner Mutter, die nicht mehr atmen konnte, weil ich nicht richtig aufgepasst habe.

"Ich wollte doch nur, dass du auf sie aufpasst", gibt mein Vater erneut von sich.

"Ich habe alles getan"

"Hast du nicht. Ich wollte dass du auf sie aufpasst!", schreit mein Vater plötzlich und schmeißt den großen Holztisch mit den Bierflaschen um, während er aufsteht. Ich zucke zusammen, kann mich jedoch kein Stück bewegen.

"Ich habe auf sie aufgepasst. Ich habe auf sie aufgepasst", wiederhole ich, wie ein Mantra. Eines, an das ich nicht glaube. War ich vielleicht doch unaufmerksam? Habe ich ihr ihre Tabletten zu früh gegeben? War ich vielleicht einfach gedanklich wo anders? Hätte ich es verhindern können.

"Du verdammtes Gör. Was habe ich nicht alles für dich getan! Ich habe nur eine Sache von dir verlangt, nämlich dass du auf meine Frau, das Wertvollste in meinem Leben aufpasst und jetzt liegt sie im Krankenhaus!", schreiend läuft er auf mich zu. Ich will nach hinten gehen. Mich verstecken. Aber ich kann nicht. Ich habe Angst, aber ich kann mich nicht bewegen. Die Vene an seinem Hals pulsiert. Noch nie habe ich ihn so wütend gesehen.

sweet war [s.m]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt