15| sweet war

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you hit me with words i've never heard come out your mouth-shawn mendes

Juli 2020
{Valena Pérez}

Mit einem lauten Knall lasse ich die Tür ins Schloss fallen, damit Shawn auch ja mitbekommt, dass ich wieder da bin.

"Geht es noch lauter?", höre ich ihn noch im selben Moment schreien. Ich grinse. Keine Ahnung, warum es mir solchen Spaß macht, ihn aufzuziehen.

"Hör auf zu schreien!", äffe ich ihn nach.

"Zimtzicke!"

Ich verdrehe meine Augen und gehe in mein Zimmer, um meine Eltern anzurufen. Ich streife mir gerade meinen Pulli über, als mein Handy klingelt. Als könnten sie Gedanken lesen, ist mein Vater am Telefon.

"Papa?", frage ich und ziehe meine Augenbraue hoch. Das Telefon knackt und es wird wieder aufgelegt. Ich verdrehe meine Augen und rufe noch einmal an.

Keiner geht ran. Auf einmal beginne ich mir fürchterliche Sorgen zu machen. Was, wenn etwas passiert ist?

Ich rufe sofort Risa an. Jedoch geht sie, wie es zu erwarten ist, nicht ran. Vermutlich ist sie gerade im Hotel. Dann könnte sie mir so oder so nicht sagen, ob etwas mit Papa ist.

Ich werfe mein Handy aufs Bett und seufze.

"Valena", Shawn reißt meine Tür auf, wobei er fast in mich hinein kracht. In seinen Händen hält er meine Schuhe.

"Scheiße was soll das?", fluche ich. Im selben Moment fällt mir auf, wie sein Blick an mir hinunter wandert. Ich ziehe eine Grimasse und sehe schließlich selbst an mir hinab. So schnell ich kann greife ich nach meinem Hoodie und hakte ihn vor mich.

"Es gibt da eh nicht viel, was du verstecken musst", sagt Shawn und grinst selbstgefällig.

Mein Mund verformt sich zu einem wütenden Gemurmel, bis ich ihn schließlich in die Seite Boxe.

"Du bist so ein selbstgefälliges Arschloch. Raus jetzt"

"Nein"

"Wieso bist du überhaupt reingekommen?", frage ich, obwohl es eher wie eine Anklage klingt. Was denkt sich der Sänger eigentlich? Nur, weil er berühmt ist, darf er machen, was er will?

"Deine Schuhe. Sie standen im Weg. Ich bin deinetwegen fast darüber gefallen und hätte mir das Genick gebrochen", gibt er pampig von sich.

Ich streiche mir eine Strähne hinter mein Ohr und setze dann einen arroganten Blick auf.

"Ach bitte. Als ob das an den Schuhen liegt. Du fällst doch ständig irgendwo hin", sage ich dann und gehe auf ihn zu, um ihn aus dem Zimmer zu vertreiben.

"Das ist eine Lüge. Außerdem würde das heißen, dass du mich gestalkt hast"

"Ach bitte. Jedes kack Magazin hat sich das Maul darüber zerrissen, als du vor zwei Jahren von der Bühne gefallen bist. Wenn du es unbedingt wissen willst: ja, ich habe mir das Video angeschaut. Aber nur, weil es unheimlich lustig ist, dir dabei zu zusehen, wie du auf deinen Arsch fällst", sage ich dann und ziehe meine Augenbraue in die Höhe.

Der Junge schnaubt verächtlich, dreht sich um und verschwindet aus meinem Zimmer. Jedoch nicht, ohne die Tür mit einem lauten Knall zuzuschlagen.

Früher, als ich noch klein war, habe ich mich mit meinem Cousin immer gebeeft. Das hier, kommt mir im Moment genauso vor. Wir bewegen uns auf einem Kindergartenniveau.

"Wusstest du, dass man hier keinen Empfang hat?", höre ich Shawn auf einmal schreien. Das würde den Anruf meiner Eltern erklären.

"Ja. Zumindest habe ich vorhin versucht meine Eltern anzurufen. Es ging nicht", antworte ich und ziehe mir endlich den scheiß Pullover über.

Doch ich halte inne, als meine Hand über meine Narbe streift. Sie befindet sich an meiner Schulter, über dem Schlüsselbein.

Ohne, dass ich es will, steigen mir die Tränen in die Augen. Ich hasse diese Narbe. Ich will sie nicht mehr sehen müssen. Nie wieder. Doch ich kann sie nicht auf magische Weise verschwinden lassen. Mein Zeigefinger fährt immer wieder über die Erhebung, die dort ist.

Als meine Mutter erkrankte, fing das ganze Elend an. Die Narbe ist nichts im Vergleich zu den Narben, die ich in mir trage. Sie erinnert mich nur daran.

Immer wieder, wenn ich sie angucke. Irgendwann habe ich aufgehört sie anzustarren. Es ignoriert, zumindest es versucht. Doch irgendwie scheint sie heute, in diesem Spiegel, besonders präsent.

Ich schließe meine Augen. Ich will den Gedanken an die Nacht verdrängen.

Stattdessen ist alles wieder präsent. Zu präsent.

Ich schiele zu meiner Mutter. Sie liegt in einem Krankenhausbett. Gerade eben war alles noch gut. Ich habe ihr von meinem neuen Song erzählt, dem mit Camila. Sie kennt ihn bis heute nicht, weil ich nicht will, dass sie ihn hört, obwohl er ihrer ist.

Plötzlich bekam sie Atemnot. Sie konnte nicht atmen und ich wusste nicht warum. Ihr Körper begann zu zucken. Dann ging alles ganz schnell. Ich rief den Krankenwagen und sie kam ins Krankenhaus. Jetzt sind wir hier und sie liegt in einem Krankenbett. Ich konnte nichts tun. Nichts.

Ich fühle mich so schuldig. In meinen Magen dreht sich alles.

Ich habe papa noch nichts gesagt. Die Krankenschwester hat mir nach einer Weile, in der ich sie einfach nur angestarrt habe, gesagt, dass ich gehen muss.

Ich bin nicht bei klarem Verstand. Ich steige im mein Auto, wie in Trance, mit einem verschwommen Blick.

"Verdammte scheiße!", mit meiner Faust schlage ich gegen das Lenkrad, dass sich sogleich an meinen Knöcheln recht. Ich atme so heftig, dass ich befürchte, gleich umzukippen.

Langsam schaffe ich es Schritt für Schritt meine Atmung zu regulieren. Mit meiner Hand drehe ich den Schlüssel um und fahre los.

Ich muss Dad sagen, dass seine Frau einen Anfall hatte, während er nicht da war und jetzt im Krankenhaus liegt. Ich kann das nicht. Ich will das nicht.

Ich steige aus, die kalte Luft umspielt meine Haare. Die Stille ist so erdrückend, dass sie mir schon fast bedrohlich vorkommt.

"Du schaffst das, Valena", spreche ich mir selber Mut zu. Mit unsicheren Schritten laufe ich den Natursteinweg hinauf.

sweet war [s.m]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt