38| sweet war

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hoy he dejado mi teléfono para no, llamarte, para no llamarte, para no llamarte - aitana

September 2020
[Valena Pérez]

Wäre das jetzt ein kitschiger Film, würde Shawn mir hinterher rennen. Ich würde merken, dass wir zusammen gehören. All dieser kitschige Kram ist überbewertet und mehr als unrealistisch.

Wer zur Hölle macht diese Filme eigentlich? Ich verstehe es nicht. Wacht man auf und denkt sich: "Wen will ich eigentlich als nächstes verarschen?"

Als ob irgendein Junge auf diesem Planeten den Mut hat, seiner Liebe hinterher zu rennen. Dafür müsste er ja ein Risiko eingehen und seinen Stolz überwinden. Nein. Diese Risiken werden nur unbewusst eingegangen. Wenn sie sich wie der größte Arsch aufführen und dich einfach küssen. Das dann aber auch nur, weil sie sich unglaublich geil fühlen.

Was fasele ich überhaupt? Ich will ja nicht einmal, dass er mir hinterherrennt. Denn das wäre lächerlich. Ich habe keine Gefühle für ihn.

Zwanghaft versuche ich meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken, während ich aus dem Gebäude stürme. Erdbeeren. Wieso muss ich jetzt an Erdbeeren denken? Vermutlich, weil ich schon sehr lange keine mehr gegessen habe.

Als mein Telefon klingelt, bin ich nur allzu dankbar. In diesem Moment bin ich so unheimlich froh darüber, dass ich blitzschnell abhebe.

"Papá?", frage ich schließlich erstaunt. Er ruft mich nie von sich aus an, sondern immer nur, wenn Mamá ihn zwingt ans Telefon zu gehen. Was das angeht muss ich jedoch sagen, dass ich ihn sehr gut verstehen kann. Telefonieren war mir auch immer schon zu wider.

"Hola mi hija", begrüßt er mich. Ich kann den tiefen Seufzer, den er zuvor wegen Mamás Bitte mich anzurufen, ausgestoßen hat, immer noch förmlich hören.

"Hola", murmele ich als Antwort. Gespannt darauf, was er mir sagen will, beiße ich auf meiner Lippe herum. Eine Angewohnheit der puren Ungeduld, die ich schon immer irgendwie hatte.

"Wir werden Abuelitas Haus verkaufen", stößt er schließlich nach einer langen, unangenehmen Pause, mit einem riesigen Luftschwall aus.

"Was?", platze ich heraus, bevor ich hinzufüge, "Wieso erzählt ihr mir immer so etwas am Telefon?"

"Weil... Du bist doch diejenige, die nie zu Hause ist!", verteidigt er sich, doch ich kann hören, dass es nur eine lahme Ausrede ist.

"Du weißt ganz genau, dass das nicht stimmt und wenn ich weg bin, dann wegen meiner Arbeit. Ich wollte gerade nach Hause fahren. Das wisst ihr auch ganz genau", antworte ich, während ich unbewusst immer lauter werde. Ich spüre, wie sich ein paar Leute auf der Straße schon zu mir umdrehen. Ich wende mich ein wenig vom Bürgersteig weg.

Mein Vater fährt fort:"Genau aus diesem Grund. Du rastest immer, wenn es um Abuelita geht, total aus. Wir müssen das Haus verkaufen, was sollen wir damit? Es würde leer stehen und allmählich verfallen"

"Ihr solltet vielleicht auch ein bisschen mehr ausrasten, vor allem Mamá, schließlich ist es ihre Mutter! Ihr habt es ja ganz schön eilig, sie aus eurem Leben zu verbannen!", merke ich an und steige in mein Auto. Glücklicherweise hatte ich vorhin fast direkt vor dem Gebäude ein Parkplatz gefunden, was sehr ungewöhnlich ist. Leider ist es jetzt nur ziemlich aufgeheizt, da es in Sevilla immer bis zu vierzig, wenn nicht sogar mehr, Grad, sind. Ich bekomme fast einen Hitzekollaps, als ich mich auf den Sitz setze.

"Valena, du weißt, dass du gerade unfair bist. Werde du erstmal erwachsen und lerne Entscheidungen zu treffen. Dann sehen wir weiter. Du bist ein Kleinkind. Absolut naiv. Du hast keine Ahnung, was man als Erwachsener zu tun hat und was nicht"

Ohne etwas zu sagen lege ich auf. Es hat nichts damit zu tun, ob ich Erwachsen bin oder nicht. Es geht hierbei um Abuelita und um das, was von ihr noch übrig ist. Das Haus, in dem sie ihr Leben lang gelebt hat. In dem Abuelito gelebt hat. Meine Eltern wollen nicht verstehen, dass ich Tag ein Tag aus in diesem Haus war und mich um sie gekümmert habe. Sie wollen nicht verstehen, dass ich so stark daran festhalte, weil ich noch nicht bereit dazu war sie zu verlieren und es immer noch nicht bin.

Ich starte meinen Wagen und fahre los. Ich sollte nach Hause fahren. Doch ich habe keine Lust das Gespräch von eben weiter zuführen. Anstatt Richtung Conil zu fahren, fahre ich einfach in Richtung des Kaffs, indem ich mit Shawn von nun an arbeiten soll.

Ich will ihn nicht sehen, aber es ist mein Job. Mein Vater hat zwar was Abuelita angeht nicht recht, aber ich habe mich in letzter Zeit wirklich etwas kindisch verhalten. Es wird Zeit, dass ich erwachsen werde und meinen Pflichten nachgehe. Auf professionelle Weise.

Keine Küsse und keine Gefühle. Nur Musik.

Bei all dem habe ich komplett aus den Augen verloren, worauf es mir immer ankam: gute Musik machen.

Eine, die mich berührt und die aus dem Tiefsten meines Herzens kommt. Ehrliche Musik. Habe ich das aus dem Blick verloren, habe ich verloren wer ich bin. Ich atme aus und klopfte mit meinen Fingern gegen das Lenkrad. Ein trommelndes Geräusch durchdringt das Auto.

Ich brauche Musik. Als ich das Radio anmache schallt mir "Télévono" von Aitana entgegen. Es ist mir schon fast peinlich, dass ich den Text mitsingen kann und es auch sogleich tue. Es ist eines dieser Lieder, die kein lyrische Meisterwerk sind, die man aber trotzdem einfach nicht aus seinem Kopf bekommt.

"Para no llamarte, para olvidarte", singe ich mit. Ich fahre das Fenster hinunter, da es im Auto beginnt heiß und stickig zu werden.

Der Wind weht mir durch meine Haare. Es ist einer dieser Momente, in denen man sich wie in einem Film fühlt. Die Landschaft, die Musik und der Wind. Es mag verrückt sein, aber manchmal stelle ich mir vor, wie mein Leben verfilmt aussehe. In diesem Moment würde man erst nur mein Auto sehen, wie es sich die Landstraße entlang schlängelt und dann mich von hinten, wie ich fahre. Bescheuert, ich weiß.

sweet war [s.m]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt