Kapitel 18

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Melissa's Sicht
So ging ich auf das große Schulgebäude zu. Ich war aufgeregt. Ich kannte weder die Schule, noch den Lehrer, den ich gleich treffen werde. Das Schulgebäude sah so anders aus, als das meiner Schule. Es war größer und farblicher gestaltet. Es wirkte neuer.
Ich ging über den Schulhof auf die rechte Tür zu, als plötzlich jemand von hinten rief:
„Larissa."

Ich drehte mich schlagartig um. Das musste Larissa's Lehrer sein. Er passte zu ihren Beschreibungen, groß, dünn, eine Brille tragend und er hatte feines Haar. Er winkte mich zu sich und ich ging langsam und unsicher auf ihn zu. Dann stand er vor mir und sagte:
„Hallo, Larissa. Schön, dass es geklappt hat mit heute. Wir können uns im Lehrerzimmer unterhalten. Die Reinigungskräfte sind zur Zeit in den Klassenräumen."
Ich antwortete:
„Hallo, Herr Krüger. Ja, ist okay."
Er machte keine Anstalten, den einzig großen Unterschied zwischen mir und Larissa gemerkt zu haben: unsere Stimmen.
Herr Krüger ging voraus und hielt mir die Tür zum Lehrerzimmer auf. Ich bedankte mich:
„Danke."

Er lächelte mir zu. Wir betraten das Lehrerzimmer, welches zu meinem Glück nicht gerade voll war. Das hieß, dass weniger Menschen da waren, die merken könnten, dass ich nicht Larissa war. Herr Krüger bat mir einen Stuhl an, auf den ich mich setzte. Er setzte sich mir gegenüber und fing an zu reden:
„Also, du fragst dich sicher, warum du hier bist."
Ich nickte unauffällig. Er sprach weiter:
„Du bist jetzt einen guten Monat hier an der Schule, Larissa. Ein bisschen länger. Da wollte ich wissen, wie du dich hier fühlst und ob es Personen gibt, die dir Ärger bereiten. Du kannst mir alles erzählen, es werde es für mich behalten, wenn du es so möchtest."

Auf diese Fragen hatte Larissa mich vorbereitet und ich fing zu erzählen und wurde mit mit der Zeit immer sicherer:
„Ja, die Schule gefällt mir gut. Die meisten Schüler sind auch wirklich nett. Das einzigste Mädchen mit dem ich Probleme hatte war Natalie. Sie war ziemlich eifersüchtig, weil ich so gut mit Patrick kann, aber er ist mein Bruder und da versteht man sich nunmal gut."

Herr Krüger schien sich zu freuen:
„Das ist schön, dass du dich hier wohl fühlst. Soll ich mit Natalie reden?"
Ich überlegte, darüber hatte mir Larissa nichts gesagt. Also dachte ich, ob ich es wollte, dass ein Lehrer mit Leandra spricht. Schließlich hatte ich eine ähnliche Situation mit ihr, wie Larissa mit dieser Natalie. Ich entschloss mich:
„Wissen Sie, ich glaube, dass es nur noch schlimmer werden wird, wenn Sie mit ihr sprechen und sagen, dass das von mir kommt. Aber vielleicht könnten Sie Natalie im Allgemeinen darauf ansprechen, dass sie schlecht mit ihren Mitschülern umgeht."

Herr Krüger sagte:
„Das ist eine gute Idee, Larissa. Ich wusste gar nicht, dass du so viel über alles nachdenkst. Es wirkt zumindest so. Tut mir Leid, falls das jetzt zu aufdringlich war."
Oh, hatte er einen Unterschied gemerkt? Ich musste locker reagieren. Ich winkte ab:
„Nein, alles gut."

Mein Blick fiel auf eine Uhr, es war halb drei. Saß ich schon so lange hier? Ich unterhielt mich noch ein bisschen mit Herr Krüger und dann verabschiedeten wir uns. Alles war gut gelaufen. Draußen atmete ich erleichtert auf. Dann nahm ich mein Handy und schickte Larissa eine Sprachnachricht: „Hey, meine bessere Hälfte. Auftrag erfolgreich abgeschlossen."

Ich steckte mein Handy weg und suchte eine Toilette auf, um mich umzuziehen.
Danach ging ich nach Hause. Ich hatte meiner Mutter erzählt, ich müsse kurz zu Amelie.
Zuhause fragte mich meine Mutter:
„Melissa, was hast du mit deinen Haaren gemacht?"

Mist, daran hatte ich nicht gedacht. Sie sahen aus wie die von Larissa. Ich musste improvisieren:
„Amelie wollte mir unbedingt die Haare machen und dann ist das dabei rausgekommen."
Sie sah mich misstrauisch an. Ich verschwand schnell in mein Zimmer, bevor ihr noch der wahre Grund einfallen würde.

Ich erinnerte mich, dass wir heute Nachmittag Besuch bekommen werden. Irgendwelche Leute, mit denen wir heute Abend essen werden. Es kam so ziemlich jeden Monat einmal vor, dass wir solche schicken Abendessen hatten.

Da diese Leute meistens in einem Anzug oder die Frauen in Kleidern erschienen, wollte ich nicht mit einer Jogginghose herausstechen. Also ging ich unter die Dusche und machte mich fertig. Ich erinnerte mich, dass heute eine Familie kommen würde, die noch nie hier war.

Keine Ahnung, wie die sich kennengelernt haben. Es war mir auch ziemlich egal. Meistens saß ich nur da und wartete bis der Besuch wieder weg war. Ab und zu schüttelte ich ein paar Hände und machte einen guten Eindruck.

Diese Abendessen gehörten mit Sicherheit nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, aber ich wurde von meinen Eltern gezwungen dabei zu sein.

Nach der Dusche zog ich mir mein dunkel-blaues Kleid und meine silbernen Schuhe an. Meine Haare hatte ich mit Locken verziert. Ich betrachte mich im Spiegel. Dann klingelte es und meine Mutter rief von neben an:
„Melissa, machst du bitte auf."

Jetzt begann wieder die Zeit, wo es so schien, als würden wir uns alle super verstehen. Ich hasste diese Zeit. Warum sollte ich alles besser darstellen als es ist? Zur Liebe meiner Eltern tat ich es doch immer wieder.

Ich ging die Treppe runter und öffnete die Tür:
„Hallo. Herzlich willkommen. Bitte treten Sie ein."
Ich schüttelte jedem die Hand, einer Frau, einem Mann und einem Jungen. Der Junge musste ihr Sohn sein, obwohl er ihnen nicht ähnlich war. Außerdem war es ungewöhnlich, dass die Leute ihre Kinder mitbrachten, aber ich hatte nichts dagegen. Den Junge schätzte ich in meinem Alter und schlecht sah er auch nicht aus. Florian wäre mir lieber, aber naja. Ich brachte sie ins Wohnzimmer.

Meine Eltern kamen und begrüßten unsere Gäste. Dann unterhielten sie sich mit den Eltern des Jungen, der auf mich zu kam. Er hatte ein Glas in der Hand, welches er sehr elegant hielt und seine andere Hand steckte lässig in der Tasche seiner Hose. Er schob mich in den Flur und lächelte mich an. Sein Blick wanderte von meinem Kopf zu meinen Füßen und wieder zurück. Ich fühlte mich komisch.

Warum starrte der mich so an?

Er legte eine Hand auf meine Schulter:
„Larissa. Wer hätte das gedacht?"
Äh... keiner. Ich bin Melissa. Er sah mir tief in die Augen:
„Neun Jahre ist es her."

Ich war verwirrt:
„Ich bin nicht Larissa."
Jetzt war er verwirrt:
„Aber...du siehst ähnlich aus wie früher, nur älter."

Er musste Larissa gekannt haben. Ich erklärte es ihm:
„Ich bin Melissa. Ich denke, du meinst meinen Zwilling. Larissa."

Jetzt sah er mich dumm an:
„Sie hatte keine Geschwister."
„Doch. Meine Eltern haben uns getrennt, als wir zwei Jahre waren. Larissa und ich haben uns erst vor kurzem wiedergefunden. Du kannst es mir ruhig glauben. Wie heißt du überhaupt?"

Er machte ein fassungsloses Gesicht:
„Lukas. Hat sie von mir erzählt?"
Ich schüttelte den Kopf:
„Ne, glaube nicht. Aber warum ist sie dir so wichtig?"
Sein Blick sank auf seine Lackschuhe:
„Früher im Heim, da waren wir immer füreinander da. Bis ich adoptiert wurde. Sie will mich bestimmt nie wieder sehen, weil ich sie im Stich gelassen habe. Sie war wie eine Schwester für mich. Ich habe lange darunter gelitten, dass ich sie nicht wieder gesehen habe."
Das ist ja süß.

So einen Freund hätte ich auch gerne. Ich hatte eine Idee. Ich flüsterte in sein Ohr:
„Ich mache dir einen Vorschlag, Lukas. Ich bringe dich zu ihr und dann kannst du sie alles fragen, was du willst. Aber wir brauchen eine Ausrede, warum wir rausgehen."

Lukas machte große Augen:
„Das würdest du tun?"
Ich nickte:
„Vielleicht können wir sagen, dass du einen Freund bei dem Fußballspiel überraschen willst."
Er war einverstanden und ging zu unseren Eltern:
„Mum, Dad. Darf ich mit Melissa zu einem Fußballspiel gehen und einen Freund überraschen?"

Sie sahen in an und wollten gerade verneinen, als ich noch ergänzte:
„Wir sind in spätestens zwei Stunden wieder hier."
Dann gaben sie nach:
„Ja, aber nicht länger."

Ich konnte die Freude in Lukas' Augen sehen. Wir gingen zur Tür raus und fuhren mit dem Bus zu dem Sportplatz. Lukas fragte:
„Gehen wir jetzt echt zum Sportplatz?"
Ich stimmte zu:
„Ja. Larissa guckt da ihrem Bruder zu. Sie wurde vor einem guten Monat von einer Familie adoptiert."
Bei dem Wort „Bruder" verstreute sich Traurigkeit auf seinem Gesicht.

Ich lächelte:
„Sie wird sich freuen dich zu sehen."
Hoffte ich. Dann stiegen wir aus. Der Sportplatz war mit Leuten überfüllt.
Werden wir sie finden?

Lost My TwinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt