Kapitel 2

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Larissa's Sicht
Es war ein stinknormaler Tag und ich saß in meinem Zimmer, welches ich mir mit Louisa teilen musste. Plötzlich schlug die Tür auf und Jonas kam herein. Ich schreckte zusammen und schrie:
„Jonas, kannst du nicht mal normal hier rein kommen? Was willst du überhaupt hier?"

Ich schob das Buch, das ich in der Hand hielt schnell unter mein Kissen. Er hatte es gesehen und fragte:
„Erstens, komme ich dann hier rein wann ich will. Und zweitens, was hast du da eben unter dein Kissen geschoben?"
Ich sah ihn wütend an. Seine Art konnte echt nervig sein, wie kann man so selbstbewusst und eingebildet sein:
„Nichts, was dich etwas angeht. Und jetzt geh raus!"
Er lachte und kam auf mich zu:
„Was, wenn ich hier bleibe?"

Er schubste mich unsanft von meinem Bett, zog das Kissen weg und nahm das Buch. Ich stand auf und versuchte es mir wieder zu holen:
„Das geht dich nichts an. Jetzt gib das wieder her!"
Er hatte das Buch in der rechten Hand und hielt diese hoch. Ich kam nicht heran, nicht weil ich zu klein war, ich war stolze 1,65m groß, sondern weil er mich immer wieder wegschubste, wenn ihm näher kam. Dann rannte er aus dem Zimmer und ich ihm hinterher.

So ein Blödmann. Er rannte in sein Zimmer und schloss ab. Ich stoppte vor seiner Tür. Ich war total außer Atem, Rennen war nicht gerade meine Stärke. Ich ballte die Fäuste und hämmerte wie eine Irre gegen diese scheiß Tür. Hinter der Tür regte sich jedoch nichts.

Es war mir peinlich, wenn er das liest. In diesem Buch schrieb ich Geschichten über meine Vorstellungen und Wünsche, wie meine Familie sein könnte. In Wirklichkeit wusste ich gar nichts über meine Familie, keine Ahnung ob sie noch lebt oder warum ich hier in diesem Heim war. Ich setzte mich vor die Tür und wartete bis Jonas wieder raus kam.

Als sich die Tür öffnete fiel ich nach hinten. Ich stand schnell auf und riss ihm das Buch aus der Hand. Dann ging ich zurück in mein Zimmer. Jonas rief mir hinterher:
„In dem Buch hast du eine bessere Ausdrucksweise als in echt."
Ich zeigte ihm den Mittelfinger. Ich hörte ihn lachen.

In meinem Zimmer angekommen, wartete Louisa schon auf mich. Sie sagte:
„Ich gehe jetzt mit Simon in die Stadt. Kommst du mit?"
Simon war ihr Freund. Als fünftes Rad am Wagen hinter den beiden Turteltäubchen hinterherlatschen? Nein, danke. Ich lehnte ab.

Dann verließ sie das Zimmer und ich war alleine. Immer wenn ich alleine war, dachte ich über alles nach und am Meisten über meine Vergangenheit, über die ich nichts wusste. Warum haben meine Eltern ein Kind bekommen und geben es dann in ein Heim? Ich habe schließlich nichts gemacht, was sie verletzt haben könnte, da ich ja noch nicht wirklich sprechen konnte. Sie haben mich ja zwei Jahre nach der Geburt weggegeben. Es ist ein scheiß Gefühl zu wissen, dass die Eltern einen nicht wollen. Um dieses Gefühl einigermaßen zu verdrängen, schrieb ich diese Geschichten, so kam ich wenigstens für einen gewissen Zeitraum aus der realen Welt raus.

Mittlerweile war ich 15Jahre und bald wurde ich 16. Dann sind es noch zwei Jahre bis ich hier raus kann. Ich hatte in diesem Heim wenig Freunde und einen festen Freund hatte ich auch nicht, brauchte ich auch erstmal nicht, hatte genug Probleme mit mir selber, da brauchte ich nicht noch Beziehungsprobleme. Auch wenn immer alle sagten, dass Jonas und ich perfekt füreinander seien. Das sah ich anders, Jonas ist zwar ganz schnuckelig, aber als festen Freund? Nein, lieber nicht.

Es klopfte an der Tür. Ich hatte schon Bedenken, dass Jonas rein kommen würde, aber es war Frau Kerner, die Direktorin. Sie fing an zu Reden und wenn sie das tat, dann hörte sie so schnell nicht mehr auf:
„Hallo, Larissa. Ich muss mit dir Reden, ich habe gute Nachrichten für dich."

Echt? Cool, will mich meine Familie zurück? Darf sie mir etwas über meine Vergangenheit erzählen?
„Wir haben eine Familie gefunden, die dich adoptieren will. Sie wird dich morgen abholen."

Was? Eine Familie für mich? Ich will aber nicht in eine Familie. Ich will nach dem 18. Geburtstag hier raus und ein neues Leben anfangen. Warum nehmen die kein Baby, das ist doch viel cooler als so ein 15jähriges Mädchen wie mich? Die Direktorin sprach weiter:
„Die Familie wird dir gefallen. Und wenn nicht, kannst du jederzeit wieder herkommen. Also pack deine Sachen."

Mit diesen Worten verließ sie mein Zimmer. Eine Träne rollte über meine Wange und es war definitiv keine Freudenträne. Es war eine Träne der Traurigkeit. Ich fing an meine Sachen zu packen. 13 verdammte Jahre wollte mich keiner adoptieren und jetzt auf einmal sollte ich alles stehen und liegen lassen und zu dieser Familie ziehen?

Nach dem Abendessen wussten auch meine wenigen Freunde von der Nachricht, sie waren wenig begeistert. Aber eine Wahl hatte ich eh nicht.

Am nächsten Morgen stand ich im Bad und machte mich soweit fertig. Meine blau-grauen Augen wirkten heute besonders matt und glanzlos. Ich packte meine restlichen Sachen zusammen und verabschiedete mich von Louisa. Abschiede fielen mir immer besonders schwer, deswegen versuchte ich sie so kurz wie möglich zu halten.

Auf dem Weg nach unten kam mir Jonas entgegen und sagte:
„Du gehst also wirklich?"
Ich nickte stumm. Er kam näher und nahm mich in den Arm. Wow, das war unglaublich süß von ihm. Ich kannte ihn jetzt gute zwölf Jahre und diese ganzen Jahre hat er mich noch nie in den Arm genommen. Er flüsterte:
„Wir bleiben in Kontakt, okay?"
Ich flüsterte zurück:
„Ja, machen wir. Ich schreibe dir, wenn ich angekommen bin."

Dann sagte er etwas, wo mir der Atem stehen blieb:
„Larissa, ich mag dich."
Ich war überrascht und sagte:
„Ich dich auch."
Dann ließ er mich los und verschwand um eine Ecke. Vielleicht war da doch mehr, als ich mir vorgestellt hatte. Ich zog den Koffer die Treppen runter und ging aus der Pausenhalle. Draußen wartete die Direktorin auf mich. Sie sagte:
„Das ist deine neue Familie."
Da stand sie, meine neue Familie. Hörte sich komisch an.

Lost My TwinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt