Kapitel 9

1.8K 356 389
                                    

"Meine Güte, das dauert mir zu lange", motzt Michelle plötzlich und tritt an mich heran. "Wo hast du das Collier?"

Ein wenig verwirrt klopfe ich mir auf die Brusttasche meiner Weste. Sie streckt auffordernd die Hand aus, während ich den Kopf schieflege und sie fragend ansehe. "Ach komm schon, Louis. Wir wissen beide, dass du mitgehen wirst. Du vermisst diesen Harry auch und ich glaube nicht, dass dieser Typ hier lügt", meint sie, nickt dabei in Liams Richtung. "Also bitte ich dich, mir das Collier zu geben, damit ich mich endlich aus dem Staub machen kann - und zwar pronto."

Sie hat ja Recht. In unserer aktuellen Lage sollte ich nicht so lange zögern, sondern handeln. Bevor ich Pro und Contra miteinander vergleichen kann, entscheidet sich mein Bauchgefühl für Zatago. Vielleicht gibt es tatsächlich noch ein klitzekleines bisschen Hoffnung? Aber ich sollte vorsichtshalber ohne Erwartungen da herangehen.

Seufzend greife ich schnell in meine Brusttasche und ziehe die Kette heraus, um sie Michelle zu reichen. "Danke, Louis. Wenn mal wieder etwas sein sollte, weißt du ja, wo du mich findest. Ich werde wohl noch etwas länger bei meinem Onkel hausen", lächelt Michelle, ehe sie sich umdreht um zu verschwinden.

"Warte!" Zayn sitzt noch immer zwischen den Scherben, während er eine Hand auf dem Bauch liegen hat. Ich hebe irritiert meine Augenbrauen und bin mir sicher, dass auch Michelle exakt die gleiche Geste hinter ihrer Maske ausführt, als Zayn sie aufhält.

"Wir...wir könnten noch eine Frau im Team gebrauchen. Hättest du vielleicht Bock darauf?", fragt er, lässt mich damit noch perplexer werden. Brauchen wir? Oder besser gesagt die? Ich dachte bisher eigentlich, dass sie ganz froh sind, eine reine Männertruppe zu sein. Und außerdem wollten sie doch kaum noch etwas machen nach dem Bankraub.

"Danke für das Angebot, aber ich arbeite liebe allein", lehnt Michelle ab, zuckt mit den Achseln und verschwindet dann ohne ein weiteres Wort aus dem verwüsteten Arbeitszimmer.

Jetzt kann ich meine Entscheidung nicht mehr revidieren. Michelle ist weg, und ich werde heute Harry wiedersehen. So viel steht fest. Oh Gott, warum habe ich mich dafür entschieden?! Ich muss total bescheuert sein. Jetzt wird mir meine getroffene Wahl erst bewusst. Bei dieser Erkenntnis bleibt mir fast die Luft weg und rasch schüttle ich mich leicht. Ich raufe mir die Haare, während ich wieder zu Liam blicke.

Dieser hat seine Aufmerksamkeit jedoch nicht mehr auf mich gerichtet, sondern ist aufgestanden und nimmt Zayn unter die Lupe. "Alles klar bei dir, Zayn? Bist du verletzt?" Ich erschrecke bei dieser Frage und laufe ebenfalls zu den beiden. Hat es ihn beim Kampf etwa stärker als angenommen erwischt?

Der Schwarzhaarige verzieht das Gesicht und greift sich unters Hemd, ehe er die Hand blutverschmiert wieder hervorzieht. "Oh Gott!", rufe ich, woraufhin ich mich neben ihn knie. Als ich zwei seiner Hemdknöpfe öffne, zeigt sich ein etwa zehn Zentimeter langer Schnitt. Eine Scherbe hat ihn also doch erwischt. Die Wunde sieht zwar nicht tief aus, blutet aber heftig. "Zayn, damit musst du ins Krankenhaus."

Er wirft einen kurzen Blick darauf und verzieht den Mund zu einem gequälten Grinsen: "Ach, das ist doch nur ein Kratzer. Mir geht's gut. Was soll ich außerdem sagen? Beim Einbruch hat mich eine Lady aus dem Fenster gekickt?"

Dieser Sturkopf. Da kann man sich doch eine Ausrede einfallen lassen. Ich weiß jedoch, dass er nicht auf mich hören wird. Kurzerhand schließe ich wieder die Knöpfe und helfe ihm dann auf: "Los, komm. Dann lasst uns wenigstens zusehen, dass wir hier verschwinden und das verarzten können." 

Obwohl der Schnitt höllisch brennen muss, lässt sich Zayn zufrieden von mir und Liam durch das Anwesen bugsieren. An seiner Stelle wäre ich weitaus genervter. Er ist verletzt und sein Bruch war mal wieder nicht erfolgreich. Vielleicht sollte ich mich doch von ihm fernhalten, ich bringe ihm nur Pech.

Unten angekommen stellen wir fest, dass die Auktion gerade beendet sein muss. Aus dem Saal ertönt laute Musik und einige Menschen tummeln sich auf den Fluren vor den Toiletten sowie draußen, um eine Zigarette zu rauchen oder einen netten Plausch zu halten. In diesem Moment bin ich froh, dass Zayn ein schwarzes Hemd trägt. Dadurch erkennt man das Blut im gedimmten Licht nicht. Niemand schenkt uns Beachtung.

Liam redet mit einem Bediensteten, der rasch dessen Wagen vorfahren lässt. Zum Glück sind sie heute nicht mit Zayns Nobelschlitten gefahren, da hätte ich dann wahrscheinlich auf dem Dach sitzen müssen. Zayn gibt sich Mühe, keine Miene zu verziehen, als wir unter Beobachtung des Personals in den Wagen steigen und das Grundstück daraufhin verlassen.

Liam lenkt uns Richtung Zatago und als wir die Golden Gate Bridge überqueren, werde ich nervös. Wenn er noch nicht schläft, werde ich Harry gleich wiedersehen. Ich habe keine Ahnung, wie er reagieren wird.

"Hey, nimm die Finger aus dem Mund!", schimpft Liam, was mich zusammenzucken lässt. "Was?", fiepe ich. "Du kaust auf deinen Fingernägeln. Entspann dich. Was soll schon passieren, hm?"

Meint er diese Frage ernst?

"Was weiß ich denn. Harry könnte mich direkt wieder rausschmeißen und glaub mir, wenn ich sage, dass ich von Rausschmissen in diesem Jahr genug habe."

Liam nickt und zieht die Augenbrauen zusammen, während er einen Moment still ist. Dann greift er über die Mittelkonsole und klopft beruhigend auf meinen Oberschenkel: "Ich verspreche dir, dass das nicht passieren wird. Redet einfach wie erwachsene Menschen."

Das sagt er so einfach. Ich nehme mir oft Dinge vor, plane teilweise schon die bevorstehenden Dialoge und dann laufen sie doch anders. Einen Moment länger als nötig lässt Liam seine Hand auf meinem Bein, ehe er sie plötzlich wegzieht, als würde er sich verbrennen. Innerlich seufze ich, denn ich habe wirklich versucht zu verdrängen, wie Liam sich benimmt. Aber solch kleine Gesten lassen sich kaum wegdiskutieren. Ich hoffe einfach nur, dass es ihm nicht auffällt, wie schwer es mir fällt, mich normal zu benehmen.

Als wir etwas später den bekannten Sandweg erreichen, bringt Liam das Auto zum Stehen. Meine Hände beginnen zu schwitzen, mein Herz klopft aufgeregt und am liebsten würde ich einen Rückzieher machen.

Zayn schenkt mir einen ebenso mitleidigen Blick wie ich ihm, als wir auf den Eingang zu laufen. Liam schließt uns auf und bleibt im Foyer einen Moment unschlüssig stehen. "Der ganze Verarztungskrempel liegt bei Harry. Ich lasse euch gerne rein, aber ich gehe in meine Wohnung. Ich bin müde und ich bin mir sicher, ihr schafft das auch alleine."

"Aufschließen? Sollten wir nicht besser klingeln? Du kannst doch nicht einfach in seine Wohnung gehen?", frage ich entrüstet. Liam seufzt und nickt dann: "Ja schon, aber seit... naja, seitdem du weg bist, macht er nicht mehr die Tür auf. Er weiß aber, dass wir dann einfach so reinkommen." Er klingt resigniert und erleichtert zugleich, so als wäre ich die Rettung höchstpersönlich. Noch bin ich mir jedoch nicht sicher, ob dem auch so ist.

"Okay", murmle ich dann leise, woraufhin Liam an die Wohnungstür tritt und den Schlüssel ins Schloss einführt. Noch einmal lächelt er uns an, mich länger als Zayn, ehe er sich abwendet und zu seiner Wohnungstür läuft, hinter der er einen Augenblick später verschwindet.

"Los, komm. Wir müssen jetzt deine Wunde versorgen", sage ich schnell, und betrete dann Harrys Wohnung.

____
Uhhh, Harry naht :D Ob er wohl schon schläft? Es ist mitten in der Nacht...

Zatago II - [Larry-AU]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt