Kapitel 41

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Zufrieden ruht mein Kopf auf Harrys Schulter, der mich in seinen Armen hält. Mein Finger malt währenddessen wirre Muster auf seiner Brust und unsere Beine sind ineinander verhakt. Ich liebe diesen Mann so sehr, dass ich die ganze Welt umarmen könnte, weil er das Gleiche für mich empfindet.

Im nächsten Moment bekommt mein Hochgefühl jedoch einen gewaltigen Dämpfer, weil es unser letzter Abend sein könnte. Morgen ist Harrys Hauptverhandlung und wenn er verurteilt wird, war's das erstmal. Wir könnten uns jahrelang nicht so richtig sehen. Wie soll das funktionieren? Ich will und kann nicht auf ihn verzichten. Was ist, wenn seine Gefühle nicht mehr dieselben sind, wenn wir uns erst nach fünf, zehn oder zwanzig Jahren wiedersehen? Wenn er hinter Gittern jemanden kennenlernt? Wenn er sich verändert?

"Ich habe Angst", höre ich plötzlich Harrys Flüstern, als hätte er meine Gedanken gehört. Denn genau das ist es, was mir im Kopf herumschwirrt. Ich habe Angst. Aber Harry ist derjenige, der vielleicht in den Knast wandert. Ich muss mich zusammenreißen, damit ich ihn unterstützen kann und nicht noch weiter runterziehe. Schluckend lege ich meine flache Hand auf die Höhe seines Herzens. "Das kann ich verstehen. Was sagt dein Anwalt, wie deine Chancen stehen?", frage ich vorsichtig nach.

Seine Brust hebt und senkt sich einmal schwer, ehe er seufzt: "Eigentlich ganz gut. Mr. Grimshaw meint, dass es so gut wie keine Beweise für unseren Banküberfall gibt. Aber natürlich kann es sein, dass sie in der Zwischenzeit doch noch welche gefunden haben. Das wäre mein Genickbruch. Niall musste ja noch eine Aussage machen, weil er als mein Angestellter bei der Razzia und auch die nächsten Tage nicht auffindbar war. Wir haben beide gesagt, dass er Urlaub hatte. Ich hoffe, sie glauben uns."

Überrascht stütze ich mich auf, um ihm in die Augen sehen zu können: "Warte, dein Anwalt weiß, dass es den Banküberfall wirklich gab?" Harry legt seine Hand über meine und lächelt mich besänftigend an. "Ja, natürlich. Nur wenn er das weiß, kann er mich bestmöglich verteidigen. Ich bin sein Mandant und er muss sich an die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht halten. Als Mandant gebe ich vor, wie ich mir den Ausgang der Verhandlung wünsche. Dieses Ziel muss er verfolgen. Er darf sein Schweigen nur brechen, wenn ich die Gesundheit oder das Leben einer anderen Person bedrohe oder aufs Spiel setze. Das habe ich noch nie gemacht und habe ich auch nicht vor."

"Das gilt dir gegenüber. Liam, Zayn und ich sind aber nicht seine Mandanten", fiepe ich. Was ist, wenn jetzt wir angeklagt werden?

"Glaubst du wirklich, ich habe eure Namen verraten? Nein, was denkst du von mir? Ich habe lediglich gesagt, dass es Komplizen gab. Und selbst wenn, könnte er euch niemals anklagen oder dem Gericht Hinweise geben, ohne mich da mit reinzuziehen. Und das wiederum darf er nicht."

Verstehend nicke ich, denn er hat ja recht. Ich sollte nicht unnötig Panik schieben, auch wenn das nicht gerade einfach ist. "Das hört sich doch alles ganz ... okay an, oder?"

Eine Weile ist es still, in der Harry mir nachdenklich durch die Haare streicht und ich meine Augen schließe. Seine Berührungen lassen mich direkt ruhiger werden.

"Ich weiß nicht. Ich habe Angst, dass ich mir zu viele Hoffnungen mache. Es braucht nur einen dummen Zufall, einen Hinweis zu viel und schon steht mein neues Zuhause fest. Wenn ... wenn ich ehrlich bin, kam mir schon häufiger der Gedanke, einfach zu fliehen", gesteht er leise.

Er will fliehen? Im Prinzip tun wir das doch schon die ganze Zeit, oder nicht? Gut, bei einer Flucht könnten wir nicht mehr hier leben, aber für Harry würde ich alles tun. "Ich würde mitkommen. Egal wofür du dich entscheidest, ich stehe hinter dir. Und wenn das heißt, mit dir zu fliehen, dann mache ich das", sage ich entschlossen, woraufhin Harry lachen muss.

"Baby, es wäre anders als jetzt. Wenn ich morgen nicht erscheine, werde ich landesweit zur Fahndung ausgeschrieben. Mein Name steht dann auf wer weiß wie vielen Listen, ich hätte kein ruhiges Leben mehr. Das kann ich dir nicht antun. Du hast was Besseres verdient."

Was versucht er mir hier gerade zu sagen? Will er fliehen, aber ohne mich? Will er mich etwa verlassen, nur weil er Rücksicht nehmen will? Das kann nicht sein Ernst sein.

Erschrocken stütze ich mich wieder auf. "Was hast du vor?", hauche ich ängstlich. Mit einem Lächeln im Gesicht blickt er mich an und streicht über meine Wange. "Ich liebe dich, Baby."

"Harry! Was hast du vor?", wiederhole ich mich, während sich mein Atem schon beschleunigt. "Hey, ganz ruhig. Ich werde nicht fliehen, ich werde morgen zur Hauptverhandlung gehen", erklärt er, doch ich bin mir nicht sicher, ob er das jetzt nur sagt, um mich zu beruhigen.

"Versprich mir das!", verlange ich. Das kann er mir unmöglich antun. Er zögert. Er zögert wirklich, was mir einen gewaltigen Stich versetzt.

"Ich verspreche es, wenn du mir auch etwas versprichst", wispert er. Mein Körper verkrampft sich, als ich merke, wie er sich bewegt und aufrecht hinsetzt. "Was?", meine Stimme ist kaum mehr als ein Hauchen, weil ich keine Ahnung habe, was er sich wünscht. Ich habe einfach nur Angst, fast schon Panik. Panik davor, er könnte mich verlassen.

"Ich liebe dich, Louis, das weißt du. Du bist alles für mich. Mein ganzes Leben hast du aufgewirbelt, wofür ich dir mehr als dankbar bin, auch wenn es nicht immer einfach zwischen uns war. Gerade deswegen habe ich einen Wunsch. Sollte ... sollte ich morgen verurteilt werden, dann ..."

"Nein", unterbreche ich ihn, weil ich eine Vermutung habe, was jetzt kommt. Das will ich aber nicht! Niemals!

Entschuldigend sieht er mich an. Auch ihm geht das nahe, denn in seinen Augen sehe ich einen verdächtigen Glanz. "Louis, es ist nur fair dir gegenüber. Sollte ich morgen also verurteilt werden, dann möchte ich, dass wir in keiner Beziehung mehr sind. Wer weiß, wie lange ich sitzen muss. Du sollst nicht unglücklich sein, nur weil du eine Beziehung zu einem Häftling hast. Ich möchte, dass du frei bist. Du könntest eine Familie gründen oder tun, was auch immer du willst." Ich fühle mich, als hätte man mir soeben ein Messer in die Brust gerammt, so stark ist der Schmerz. Mein Inneres will ihn anflehen, bei mir zu blieben. Doch mein Mund öffnet sich nicht. Stumm und wie festgefroren starre ich ihn ungläubig an. Ich kann nicht glauben, dass er das gerade gesagt hat.

Erst als er mir einen Arm um die Schulter legt und mich an seine Brust zieht, zucke ich zusammen. Ich zittere und meine Stimme ist nur ein Flüstern: "Ich will keine beschissene Familie, ich will nur dich. Außerdem können wir uns trotzdem sehen, es gibt Besuchszeiten."

"Aber was ist denn das für eine Beziehung? Wir können uns nicht berühren, nicht küssen, gar nichts. Wir können uns ein, vielleicht zweimal in der Woche sehen und miteinander reden. Meinst du nicht, dass das noch frustrierender für uns wäre?", erklärt Harry mir sanft seine Gedanken. "Ich will das nicht", wispere ich. Meine Augen brennen und ich kann nicht mehr an mich halten, weshalb die erste Träne über meine Wange rollt. Das Messer in meiner Brust bohrt sich tiefer, mein Herz zerspringt. Ich will einfach nicht wieder von ihm getrennt werden. Wie soll ich das aushalten?

"Ich liebe dich, Louis", haucht Harry mit zittriger Stimme. Eine Sekunde später tropft eine Träne von ihm auf meinen Arm, weshalb ich hochschaue. Ich schlucke, als ich seinen traurigen Blick sehe. Meine Brust schmerzt. Die Luft bleibt mir weg, dass ich es kaum aushalte. Ich will ihn nicht verlieren. In mir zerbricht alles. "Ich liebe dich auch", schniefe ich und lege meine Lippen auf seine, um sie zu einem zärtlichen Kuss zu verbinden.

Wir halten einander fest und lassen uns zurück ins Heu fallen, ehe Harry die Decke über uns zieht. Es sollte ein schönes Date werden und kein Abschied. Aber jetzt habe ich genau dieses Gefühl. Ich will mich nur an ihm festhalten und nie wieder loslassen. In diesem Augenblick ist mir auch das Essen, der Wein und die romantische Atmosphäre egal. Alles erscheint so unwichtig wie noch nie. Unaufhörlich zerquetscht etwas mein Herz und ich kann es nicht verhindern, dass mir ein bitteres Schluchzen entflieht.

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Oh oh ...
Drei Kapitel & der Epilog noch. Wir nähern uns dem Finale...
Und Harry hatte Fluchtgedanken 😱 Wäre er wirklich in der Lage, Louis zurückzulassen?

Zatago II - [Larry-AU]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt