Kapitel 24

1.8K 341 245
                                        

"Michelle?", hakt Harry nach. "Ist das nicht die Italienerin, bei der du untergekommen bist?" Brummend bestätige ich das, woraufhin Harry mit gerunzelter Stirn nickt und zum Stift greift. Auf der Liste landet nun auch Michelles Name. Harry sieht dabei ganz und gar nicht begeistert aus, was ich ihm natürlich auch nicht verübeln kann. Ich hatte diesen Vertrag unterschrieben, der zwar keinerlei rechtliche Grundlage hat, dafür aber symbolisch für Treue und Loyalität gegenüber Zatago gilt.

"Gut, dann erzähl mir mal, welche Gründe sie haben könnte, uns zu verraten?", fragt Harry, als er auch eine Seite für Michelle beschriftet hat. "Naja, sie hat mal bei der Polizei gearbeitet", gebe ich zerknirscht zu, woraufhin Harrys Augen groß werden. "Sie... was? Louis, wie... fuck", flucht er leise, während er ungläubig den Kopf schüttelt und den Stift ansetzt.

"Ich habe das erst danach erfahren, dass sie mal Polizistin war. Und außerdem ist sie jetzt auch kriminell. Ich... es tut mir leid, Harry", entschuldige ich mich bei ihm. Was habe ich mir nur dabei gedacht, ihr das zu erzählen?

"Schon okay. Kann jedem passieren", murmelt er, während meine Worte aufs Papier gebracht werden. Seine aufgeblähten Nasenflügel und sein angespannter Kiefer verraten mir jedoch, dass es ganz und gar nicht in Ordnung ist. Immerhin habe ich meine Klappe nicht halten können und unseren Bankraub verraten. Das kann uns unsere Freiheit kosten. Und ich verwette meinen perfekten Hintern darauf, dass ich einen riesigen Anschiss von ihm kassieren würde, wenn momentan nicht diese merkwürdige Stimmung zwischen uns herrschen würde.

"Harry, ich... ich habe nicht nachgedacht. Und ich war so durch den Wind wegen... wegen uns. Es tut mir wirklich leid", erkläre ich mich weiter, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Er nickt nur, ehe er den Stift auf den Schreibtisch pfeffert und sich mit beiden Händen übers Gesicht reibt. Nachdem ich einmal geschluckt habe, bleibe ich reglos auf dem Schreibtisch sitzen. Ich traue mich gar nicht, irgendetwas weiter zu sagen, weil ich ein bisschen Angst habe, dass er mich dann doch anschreit.

Das passiert allerdings nicht. 

Stattdessen lehnt er sich mit verschränkten Armen zurück und blickt nachdenklich aus dem Fenster, als ich vermute: "Ich glaube aber nicht, dass sie es war. Sie dreht selbst krumme Dinger. Außerdem: Was hätte sie davon? Welchen Grund sollte sie haben?"

"Seit wann brauchen Polizisten denn eine Begründung?", fragt Harry, hebt dabei eine Augenbraue hoch. "Sie ist keine mehr, Harry."

"Vielleicht ja doch? Es könnte nur Tarnung sein", gibt er zu bedenken. Nur Tarnung? Wenn das der Fall ist, was war dann der Maskenball? Oder der Einbruch mit Zayn zusammen? Es könnte eine Falle gewesen sein. Oh Gott, wenn dem wirklich so ist, sind wir geliefert. Wobei ich mich dann frage, warum sie uns nicht direkt vor Ort verhaften ließ. Das macht doch keinen Sinn.

"Egal, jetzt ist es auch zu spät. Eine Person mehr auf der Liste heißt nur, dass ich noch schneller handeln muss", gibt er schließlich von sich, als er aufsteht.

"Was meinst du damit?", erkundige ich mich sofort und rutsche vom Schreibtisch herunter. "Ich habe die letzten Tage so lange darüber gegrübelt, welcher meiner Freunde mich hintergehen könnte. Doch ich habe keine Antwort gefunden. Und nur weil Michelle davon erfahren hat, heißt das noch nicht, dass sie es war. Jeder kann es sein. Von daher habe ich beschlossen, das Büro in San Francisco zu räumen und damit alle Beweise verschwinden zu lassen."

Meine Augen werden groß, als er das sagt und bereits zur Zimmertür läuft. "Was? Wo willst du mit dem Kram hin?"

"Ich habe eine Wohnung mit falschen Personaldaten gemietet. Dort werde ich alles unterbringen. Außerdem wird niemand von der Wohnung erfahren", sagt er. Harry bleibt im Türrahmen stehen und sieht mich an. Auch ich hefte meinen Blick auf sein Gesicht, während ich auf ihn zuschlendere. Die Sehnsucht lenkt mich, weshalb ich dicht vor ihm stehen bleibe.

"Wenn ich darf, helfe ich dir gerne." Seine schönen Augen fixieren mich ganz genau, während er langsam nickt. "Natürlich. Ich vertraue dir", flüstert er, woraufhin mein Herz einen aufgeregten Salto macht. Glücklich lächle ich ihn an, während meine Hand sich hebt. Ich will sie ihm auf die Brust legen, doch im letzten Moment schaltet sich mein Verstand dazwischen und unbehaglich reibe ich mir über den Nacken, während ich kurz zur Seite schaue. Verdammt, ich muss mich besser unter Kontrolle haben, ansonsten verletze ich ihn nur viel zu sehr.

Als ich wieder hochblicke, sehe ich sein trauriges Lächeln und den Schmerz in den Augen. Natürlich hat er es gemerkt, doch er sagt nichts dazu. Stattdessen nickt er und wendet sich dann ab. "Shit", fluche ich leise. Wie blöd bin ich eigentlich? Harry soll Abstand halten und ich bekomme es selbst kaum auf die Reihe. Ich will ihm ja nahe sein, aber... ach, ich kann es mir noch nicht einmal selbst erklären.

Mit diesem merkwürdigen Gefühl in der Brust husche ich ebenfalls die Treppe hinunter. Harry steht bereits im Flur und zieht sich seine Boots an. "Du willst direkt los?", wage ich es zu fragen. Als Antwort erhalte ich ein weiteres Nicken, woraufhin ich auch zu meinen Schuhen greife.

Die ganze Fahrt über sagt keiner ein Wort. Harry konzentriert sich auf die Straße, während ich nachdenklich aus dem Fenster starre. Nach unserem kurzen Gefühlsausbruch dachte ich eigentlich, dass wir nun ein bisschen entspannter miteinander umgehen. Aber nun ist es noch schlimmer als vorher. Jedenfalls empfinde ich das so, ich weiß nicht, wie Harry das sieht. Und ich habe keine Ahnung, wie wir das ändern können.

In San Francisco angekommen parkt Harry den Wagen in der hauseigenen Tiefgarage, bevor wir nebeneinander in den Fahrstuhl treten. Dabei mustert Harry mich mit intensivem Blick. Plötzlich ist es wieder da, wie aus dem Nichts, dieses vertraute Gefühl, diese Spannung, dieses Knistern. Ich lehne mich mit dem Rücken an die Aufzugwand, während meine Finger fester die angebrachte Metallstange umfassen. Unser Augenkontakt bricht dabei keinen Moment ab.

Oh Baby, irgendwann werde ich in diesem Fahrstuhl über dich herfallen! Das verspreche ich dir!

Wir sehen einander an, ohne uns zu berühren. Ich bin dankbar für die stützende Wand in meinem Rücken und noch dankbarer, als wir anhalten und die Aufzugtüren sich öffnen. Auch Harry höre ich tief durchatmen, während er mir vorausgeht. Er hat es also auch gespürt.

"Oh wow", staune ich überrascht, als ich die vielen gepackten Kartons sehe. Vor wenigen Tagen erst war ich mit Zayn hier, da war noch alles unverändert. "Wann hast du die Kisten gepackt?"

"Gestern Abend, als du nicht da warst", erklärt er, während er zu einem noch zusammengefalteten Karton greift. Einige Sekunden beobachte ich, wie er die Pappe auseinander klappt. "Was soll ich machen?", frage ich ihn dann.

"Hmm, wenn es in Ordnung für dich ist, kannst du in mein Büro gehen. Ich habe die Schränke soweit schon alle ausgeräumt und sortiert. Alle Ordner und Akten müssen in Kartons verstaut werden."

"Okay, das kann ich machen", antworte ich sofort und will auch zur Pappe greifen. "Danke, aber Kartons stehen dort schon."

"Ah, alles klar."
Dann verlasse ich dieses Zimmer, damit ich in Harrys Büro anfangen kann. Es ist ein komisches Gefühl hier alles leerzuräumen. Ich habe erst vor einer Stunde davon erfahren, dass es einen Verräter unter uns gibt. Nur deswegen müssen wir jetzt zusehen, dass alles verschwindet. Aber wer von den anderen war es? Ich traue es keinem zu. Jeder würde sich ins eigene Fleisch schneiden. Das wäre so dämlich. Ich werde auf jeden Fall in Zukunft auf jede noch so kleine Bemerkung von jedem achten. Vielleicht verplappert sich ja einer.

Mein Blick huscht zu den aufgereihten Ordnern und laut stoße ich die Luft aus. "Dann wollen wir mal", nuschle ich zu mir selbst, ehe ich mir den ersten Karton schnappe.

Zatago II - [Larry-AU]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt