Kapitel 2

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Als Luigi gesagt hat, seine Nichte sei zu Besuch, habe ich an ein kleines, quirliges Mädchen gedacht, meinetwegen auch einen Teenager während der Pubertät. Doch als ich die Wohnung meines Bekannten betrete, staune ich nicht schlecht, als mir eine bildhübsche Frau in meinem Alter entgegenkommt.

Sie ist groß und hat ein herzförmiges Gesicht mit hohen Wangenknochen. Ihre dunklen, glatten Haare fallen seidig glänzend über ihre Schultern und mit dem engen, roten Kleid betont sie ihre sportlichen Kurven, sodass sie damit aussieht, als würde sie geradewegs vom Laufsteg kommen.

"Hi, ich bin Michelle", stellt sie sich vor und reicht mir mit warmem Lächeln die Hand. "Mein Onkel hat mir eben schon Bescheid gegeben, dass du kommst." Also schüchtern ist sie nicht, und überraschenderweise hat sie auch keinen italienischen Akzent.

"Louis", antworte ich höflich und schüttle ihre Hand. "Hallo Louis. Also, da du zitterst wie Espenlaub schlage ich vor, du nimmst erst einmal ein heißes Bad oder eine Dusche - wie du willst. Etwas zu essen ist auch noch im Kühlschrank. Fühl dich einfach wie zu Hause", plappert sie drauf los und zieht aus ihrer Handtasche eine Mascara.

"Äh, okay, danke", antworte ich etwas überfordert und beobachte, wie sie vor dem Spiegel neben der Wohnungstür ihre Wimpern nachtuscht. "Du bist dann gleich alleine. Ich muss nämlich jetzt noch zur Arbeit", summt sie gutgelaunt. Skeptisch hebe ich eine Augenbraue und mustere noch einmal ihr Aussehen. Wir haben bereits abends. Will ich wirklich wissen, welchen Job sie mit diesem Outfit hat? Eigentlich ist es mir gerade auch egal.

Seufzend wende ich mich ab, greife wieder zu meiner Tasche und will ins Badezimmer, das ich bereits durch die geöffnete Tür erkenne. "Ach und Louis?", hält sie mich noch einmal auf, woraufhin ich stehenbleibe und sie fragend anblicke. "Das Bett gehört mir", grinst sie, zwinkert noch einmal und dreht sich dann, um die Wohnung zu verlassen.

"Oh man..."

Im Badezimmer befreie ich mich von meiner nassen Kleidung, die ich über die Heizung hänge. Im Spiegel über dem Waschbecken betrachte ich mein blasses Gesicht mit den geröteten Augen, während meine vom Regen zerstörte Frisur trostlos an meiner Stirn klebt. "Gott, Tomlinson, du sahst auch schon mal geiler aus...", murmle ich und drehe mich weg. Heute werde ich wohl damit leben müssen, dass ich eher Gargamel ähnle als einer sündhaften Sahneschnitte.

Und das alles nur wegen Harry! Warum bin ich damals nur in das beschissene Auto von Zayn gestiegen?!

Bevor ich die klapprige Plastikvorrichtung der Dusche aufschiebe, reibe ich mir noch einmal über das Gesicht. Das Wasser braucht eine halbe Ewigkeit, bis es warm ist, und durch den verkalkten Duschkopf vermischen sich die eigentlich feinen Wasserfäden zu einem unsanften Strahl. Ich vermisse die wunderbare Regendusche von Harry schon jetzt.

Seufzend lehne ich mich an die kühlen Kacheln, während das Wasser auf mich herabprasselt und schließe die Augen. Warum kann man den Schmerz nicht einfach wegspülen? Das würde so vieles einfacher machen. Stattdessen schwirren Bilder in meinem Kopf, wie Harry mich in der Dusche küsst, wie Harry mich zärtlich einschäumt, wie Harry mich mit seinem attraktiven Lächeln angrinst und wie Harry mir atemraubende Höhepunkte schenkt. Wütend schlage ich mit der flachen Hand gegen die Kacheln, presse meine Lippen aufeinander und öffne wieder meine Augen, bevor ich zum billigen 2in1-Duschgel von Luigi greife.

Wenig später schlurfe ich in lockeren Klamotten durch die Wohnung und suche das Gästezimmer. Da es sich lediglich um eine 3-Zimmer-Wohnung handelt, werde ich schnell fündig. Nach Michelles Aussage dachte ich zunächst, ich müsste auf dem Fußboden nächtigen, doch zu meiner Erleichterung befindet sich neben einem schmalen Bett auch noch eine Schlafcouch darin. Sie ist bereits aufgeklappt und mit Bettwäsche bezogen worden. Ja, Luigi ist immer nett gewesen und wir haben gerne mal ein Bier zusammen getrunken, allerdings hätte ich ihn nie als Freund bezeichnet. Dass er mich jetzt so wortlos aufnimmt, berührt mich und da ich eh momentan nah am Wasser gebaut bin, muss ich mich beherrschen, nicht schon wieder loszuheulen.

Ich schnappe mir die Fernbedienung, die auf dem kleinen Röhrenfernseher liegt und schmeiße mich dann lustlos auf die Couch. Mit dem Daumen drücke ich auf den einzigen roten Knopf, doch die Flimmerkiste springt nicht an. "War ja klar", nuschle ich, schlage das Teil ein paar Mal auf meine Handfläche und drücke noch einmal kräftiger auf die Einschalttaste. Der Fernseher hat Glück, dass jetzt ein Bild erscheint, ansonsten hätte ich diese scheiß Fernbedienung dagegen gepfeffert.

Zwei Stunden später habe ich meine Position kaum verändert, als ich höre, wie jemand zur Tür hereinkommt. Aus Erfahrung weiß ich, dass die Pizzeria noch nicht geschlossen hat, weswegen ich mir sicher bin, dass es Michelle ist. Lange war sie aber nicht arbeiten, denke ich mir. Meine Vermutung wird bestätigt, als die hübsche Brünette wenige Minuten später grinsend ins Zimmer kommt. "Oh wow, du siehst aus wie ein nasser Sack, also ziemlich bescheiden", lacht sie und streift ihre Highheels ab. Schnaubend blicke ich sie an: "Bist du immer so freundlich zu Menschen, die du neu kennenlernst?"

"Ja, bin ich", gibt sie trocken wieder. Auch hier befindet sich ein Spiegel, der mir bis eben aber noch gar nicht aufgefallen ist. Michelle stellt sich davor und löst ihre Ohrringe, ehe sie seufzt. "Okay, sorry. Magst du erzählen, was passiert ist, dass ich mein Zimmer nun teilen muss?"

"Mein Freund hat mich verarscht und ich habe ihn und somit auch unsere Wohnung verlassen", erzähle ich knapp, denn mehr geht sie wirklich nicht an. "Aw, wie süß ist das denn. Du bist schwul", schwärmt sie und sieht mich durch den Spiegel lächelnd an. Ich verdrehe die Augen und schaue wieder zum Fernseher: "Ja, bin ich. Dass er mich verarscht hat, ist aber nicht gerade süß."

Sie lacht. Sie lacht tatsächlich und, wie absurd das auch klingt, irgendwie zucken auch meine Mundwinkel nach diesem dämlichen Tag ein bisschen. Michelle schüttelt den Kopf und greift dann an ihren Rücken, um den Reißverschluss des Kleides zu lösen, nur um den winzigen Stoff kurz danach von ihrem Körper zu streifen. "Da du schwul bist, kann ich mich ja ruhig weiterhin hier umziehen oder?", schmunzelt sie. Als ob es dafür nicht eh schon zu spät ist. Aber mich stört es nicht. Soll sie doch machen.

"Tu, was du nicht lassen kannst", meine ich und zucke mit den Achseln. "Außerdem sind deine-" Ich stoppe mitten im Satz, weil in den Nachrichten ein Bild der Bank of Montreal eingespielt wird. Augenblicklich versuche ich zu schlucken, habe aber einen ganz trockenen Hals, denn bisher habe ich es vermieden, mir die Nachrichten anzuschauen. Zu jenem Zeitpunkt war alles so schön mit Harry. Ich erinnere mich an den Moment in der Bank, als mir klar wurde, dass Harry nicht einfach nur eine Schwärmerei ist, sondern, dass ich unglaubliche Liebe für diesen Mann empfinde. Wenn ich nur schon gewusst hätte, dass er mich verarscht, hätte ich die Aktion hochgehen lassen. Aber jetzt ist das auch zu spät - ich würde mich selbst verraten. Rasch greife ich zur Fernbedienung und schalte um. "Ist alles in Ordnung?", fragt Michelle, die meine Stimmung erkennt.

"Ja, alles bestens", gebe ich vor. Natürlich ist nichts gut. Mein Leben ist im Eimer. "Warum sprichst du eigentlich so gut Englisch?", versuche ich abzulenken. Einen Moment sieht sie verwirrt aus, doch schnell grinst sie wieder, während sie noch immer in Unterwäsche vor mir steht. "Ich wurde in den USA geboren und bin in der Nähe von Nashville aufgewachsen."

Zatago II - [Larry-AU]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt