Kapitel 44

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Nabu

Diese Nacht war komisch. Nicht wegen diesem Kerl der einfach aufgetaucht ist, ein paar Dinge in die Welt hinaus geschrien hatte und dann wieder abgedampft ist, sondern wegen dem, was ich in dieser Nacht träumte.

Es war das erste Mal, dass so etwas passierte, während ich schlief, doch gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass diese eine Erinnerung die wichtigste von allen war. Die Erinnerung, nach der ich gesucht hatte.

Natürlich konnte ich mich nicht an alle Details des Traumes erinnern, doch dafür wachte ich am nächsten Morgen auf und hatte das Gefühl mehr über uns Einhörner zu wissen. Mehr darüber wie wir früher gelebt hatten und wie wir jetzt lebten.

Ich stand in einer riesigen Halle in der gerade ein Fest gehalten wurde. Die Menschen sprachen miteinander und ich stand an einem Ende der Halle, wo sich der Eingang befand, während ich am anderen Ende die fünf Ältesten sehen konnte. Die fünf Ältesten des Flora Clans, die unsere Herde führten.

Sie saßen auf ihren Knien, die Hände auf die Oberschenkel gelegt und sahen sich zufrieden um, während all die Leute die hier auf dem Fest waren sich am Buffet bedienten und miteinander sprachen, sich austauschten und einfach eine gute Zeit miteinander hatten.

Das Erscheinungsbild der Ältesten war schon lange nicht mehr das eines Einhorns, denn jedes Einhorn, das alt genug war und genügend gelernt hatte, dessen Äußeres änderte sich und das Pferdeähnliche Aussehen wurde nach und nach durch ein anderes ersetzt.

Abgesehen von unserer zweiten Erscheinungsform, sahen wir vom Clan der Flora fast alle gleich aus. Erst nach einer Weile konnte ich genauere unterschiede erkennen: rosarote, zartrosa, pinke oder beinahe rote Augen und einen blonden Farbton, der sehr hell war. Meist platinblond, aber auch andere Farbtöne fanden sich innerhalb der Menge wieder.

Nebenbei konnte ich aufschnappen, dass viele ihre Haare gefärbt hatten, da sie sich vor Re'em verstecken wollten. Etwas worüber ich nur abfällig schnauben konnte. Niemals würde ich die Farbe meiner Haare überdecken, nur weil ich vor Re'em sicher sein wollte. Kontaktlinsen tragen war noch akzeptabel, aber die Haare? Nein!

Da ich ohnehin nicht verstand was genau hier vor sich ging, stand ich einfach nur verloren in der Gegend herum und sah mich um, bis nach einer Weile ein Mädchen zu mir kam, die genau die gleichen pinken Augen und silbernen Haare hatte wie ich.

Es war Hana, die mich hastig mit sich zog in die Richtung der Ältesten und nebenbei aufgeregt brabbelte: „Nabu, komm lass uns einen der Ältesten fragen, ob er noch einmal den Trick für uns macht!"

„Haben wir doch schon drei Mal...", hörte ich mich sagen und schämte mich gleichzeitig für meine Schwester, die einen Ältesten nach dem anderen belästigte, anstatt sich – so wie die anderen hier – einfach nur zu unterhalten.

„Na eben Dummerchen!", rief sie aus und fügte dann hinzu: „Wir haben noch zwei Älteste die wir fragen können, ob sie uns ihre Einhornform zeigen können!", wonach sie mich nur noch mehr am Arm zog und ich mich innerlich schon einmal auf das vorbereitete, was folgen würde.

Auf halbem Weg wurden wir jedoch von einer Frau aufgehalten und augenblicklich wusste ich, dass es meine Mutter sein musste und ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus: Sie sah umwerfend aus! Ihre goldblonden Haare – die sie vor einiger Zeit gefärbt hatte, damit es nicht zu sehr auffiel, dass unsere gesamte Familie helle Haare hatte – hatte sie zu einem Zopf geflochten der ihr knapp über die Schultern reichte und sie trug einen schlichten aber edlen weißen Kimono auf welchem die Äste und Blüten von Kirschblütenbäumen gedruckt waren.

Als sie sprach, lauschte ich ihrer melodischen Stimme, die mir fast eine Gänsehaut verursachte: „Was siehst du mich denn so an Nabu?", kicherte sie und fuhr dann fort: „Kannst du nicht glauben, dass deine alte Dame sich auch einmal hübsch machen kann?"

✒ Ein Horn zum VerliebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt