Kapitel 34

130 10 0
                                    

Nabu

Äußerst grob nahm der Stallbursche den Strick in die Hand den Francis mir um mein Maul gebunden hatte, während Francis mir noch einmal auf den Hals klopfte und zuversichtlich meinte: „Dein Besitzer wird sicher bald auftauchen."

Dann verschwand mein Klassenkamerad in die Richtung der langgezogenen Auffahrt, während der Stallbursche mich grob hinter sich herzog und dabei schnurstracks auf den Stall zulief, welcher sich links befand.

Konnte der Kerl nicht ein wenig feinfühliger mit mir umgehen? Ich war ein verdammtes Einhorn, Hüter des Waldes und sowas wie der König der Tiere. Da riss man doch so nicht herrisch an dem behelfsmäßigen Halfter.

Zugegeben, zurzeit sah ich aus wie ein ganz normales Pferd, aber das änderte nichts daran, dass ich etwas Besonderes war. Ich hätte ja gesagt, dass ich mit seiner Chefin sprechen möchte, aber die war mindestens genauso schlimm wie er, wenn nicht gar schlimmer.

Chefin... Chefin!

Genau in diesem Moment kam mir in den Sinn, dass ich bereits seit ein paar Minuten im Café sein sollte um meine Schicht zu machen. Verdammt! Wenn ich jetzt meinen Job verlor, könnte ich die Hoffnung auf eine Wohnung in der nächsten Zeit vergessen.

Ich musste mich beruhigen und einfach noch ein paar Augenblicke warten, auch wenn ich am liebsten jetzt schon abgehauen wäre. Aber ich würde damit noch warten, bis der Kerl mich in eine Box gestellt hatte, damit er mir nicht noch womöglich hinterherrennen würde. In der Box würde ich mich dann zurück in einen Menschen verwandeln und von hier verduften. Jedoch zuerst einmal in den Stall an sich gelangen.

Der Stall sah von außen groß und geräumig aus, war in einem simplen weiß gestrichen und die Türen sahen fast schon futuristisch aus. Trotzdem hatte er auch traditionelle Aspekte, wie zum Beispiel ein Dach aus Stroh und Ringe an den Wänden, an denen man die Pferde anbinden konnte.

Die Türen öffneten sich von selber nach innen als der Stallbursche mich auf sie zuführte und als wir im Stall waren, konnte ich hören wie sie sich hinter uns von selber wieder schlossen, während er mich an dutzenden Boxen vorbei führte.

Manche der Pferde reckten ihre Köpfe aus den Boxen, als wollten sie mich etwas fragen und wissen woher ich kam und andere beschäftigten sich mit einem Gummiball, der an einem Seil von der Decke hing. Wieder andere, so schien es, hielten ein Pläuschchen mit ihren Boxnachbarn, die Nasen dicht an den Absperrgittern zusammengesteckt.

Während die einzelnen Abteile im vorderen Bereich noch tip-top sauber und hell eingerichtet waren, so wurden die Boxen umso dunkler, dreckiger und staubiger, je weiter nach hinten man kam. Ich vermutete, dass man den hinteren Teil der Anlage in nicht allzu ferner Zukunft renovieren würde.

Die letzte Box schlussendlich, jene am Ende des Ganges, wonach sich nur noch die Sattelkammer und die Futterkammer befanden und auf deren Boden nicht einmal Stroh war, war jene in die er mich stellte, mir den Strick abnahm und grimmig die Halbtür hinter sich zuzog und mit zwei Riegeln versperrte.

Verächtlich schnaubte ich. Der Kerl war absolut das letzte und ich würde bestimmt keine weitere Sekunde hier bleiben. Ich musste nur noch warten, bis er aus dem Stall gelaufen war, damit ich mich zurückverwandeln konnte und dann verschwinden.

In der Sekunde in der er aus dem Stall verschwunden war, wollte ich mich zurück verwandeln, versuchte wieder in meine menschliche Form zu wechseln, doch der erwartete Schmerz setzte nicht ein. Weder die lange noch die kurze Version davon.

Immer wieder versuchte ich es und schließlich versuchte ich sogar mir vorzustellen, wie meine Hufe zu Füßen oder Händen wurden, aber es war einfach schier unmöglich. Egal wie sehr ich versuchte in meine menschliche Gestalt zurück zu kehren, der Schmerz blieb aus, genauso wie meine Verwandlung.

✒ Ein Horn zum VerliebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt