Kapitel 84

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Wir waren jetzt schon seit sechs Tagen hier in den Bergen. Die ersten zwei Tage hatten wir nur gechillt. Gestern hatte Roman dann eine Fahrt mit der Pferdekutsche für uns beide alleine organisiert. Das war echt romantisch gewesen so durch den verschneiten Winterwald gezogen zu werden. Man hatte nur das leise Klappern der Hufe und das Schnauben der Pferde gehört. Eines war ich mir jetzt jedenfalls sicher. Wenn ich jemals heiraten würde, dann nur mit einer Pferdekutsche. Wir hatten dann noch in einer Berghütte ein leckeres Käsefondue zelebriert. Und zum Nachtisch gab es natürlich was? Genau, Mousse au chocolat.
Heute hatte ich mir aber vorgenommen Skifahren zu gehen. Wenn ich schon in den Bergen war, wollte ich wenigstens einmal den Berg runterrutschen.
"Mensch Jasi, muss das denn sein? Das ist doch viel zu gefährlich.", versuchte mich Roman schon wieder davon zu überzeugen diesen Plan aufzugeben. Ich nickte nur wild entschlossen "Ja, das muss sein. Du kannst ja mit Marco, Alexia und deinen Eltern auf der Bergstation einen schönen Tag machen, während meine Eltern und ich Skifahren. Was bist du überhaupt für ein Schweizer, der das Skifahren ablehnt? Ich dachte ihr würdet mit den Brettern unter den Füssen schon geboren."
"Ich würde ja Skifahren, aber ich darf es laut Vertrag nicht.", murrte er, während ich mich in meine Skiklamotten zwängte.
Nachdem wir endlich unsere ganze Skiausrüstung und den Skipass hatten, ging es dann auch schon mit der Seilbahn den Berg zusammen hoch.
"Aber fahr vorsichtig, nicht dass dir etwas passiert." Roman war total besorgt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, stünde ich jetzt am Anfängerhügel oder würde Langlauf in der Ebene machen und das am besten in Luftpolsterfolie verpackt. So niedlich es auch war, so nervte es auch.
"Junge, fahr mal runter. Meine Schnute fährt seit sie vier ist Ski und das sogar sehr gut. Auch wir Flachlandtiroler können diese Bretter durchaus beherrschen. Außerdem sind wir ja auch noch dabei." Mein Vater klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. Mir reichte es jetzt und ich schoss einfach los. Skifahren hatte für mich auch so ein Gefühl von Freiheit, wie das Segeln. Ich liebte das Knirschen und Aufwirbeln des Schnees, wenn man kantete und wenn der Fahrtwind einem um die Ohren wehte. Völlig happy zog ich also Mal für Mal meine Kurven den Berg hinunter. Mein Vater und meine Mutter hatten sich schon zu den anderen auf die Alm verabschiedet.
So langsam war es auch für mich mal Zeit für eine Pause. Ich stellte also meine Skier in den Ständer und lief wie ein Astronaut mit Betonfüßen zu den anderen.
"Sunneschii, hier hast du erst einmal etwas zu trinken." Roman hielt mir ein riesen Glas Cola entgegen. Okay, ich hatte wirklich Durst und kippte es hinunter. Ehe ich mich versah, schob mir mein Vater auch schon einen Teller mit Kaiserschmarrn vor die Nase. Meine beiden Lieblingsmänner waren wirklich um mich besorgt.
"So, jetzt fahren wir aber ins Tal runter. Es wird ja gleich dunkel.", hob Karin unsere Runde auf. Ich stand also auf und lief zu meinen Skiern. Gerade als ich sie hingelegt hatte, um in die Bindungen zu steigen, stand Roman neben mir.
"Du willst doch jetzt wohl nicht alleine hier runterfahren. Du fährst mit uns mit der Seilbahn." Der wollte mir doch jetzt nicht Vorschriften machen. Das konnte er ja mal vergessen.
"Vergiss es. Ich mache jetzt meine letzte Talabfahrt, so wie ich sie schon den ganzen Tag gemacht habe. Was soll schon passieren."
Roman riss seine Augen auf "Es dämmert schon, das ist viel zu gefährlich. Das lasse ich nicht zu." Der wollte mich doch wohl rollen. Freund hin oder her. Noch entschied ich ja wohl selber, was ich machte und was nicht. So wollten wir ja mal gar nicht erst anfangen. Ich sprang also in die Bindungen und stieß mich ab.
"Jasi, komm zurück.", hörte ich Roman noch brüllen als ich den Berg schon ein ganzes Stück runtergerutscht war. Der war ja vielleicht lustig. Der glaubte doch nicht wirklich, dass ich den Berg mit meinen Skiern wieder hochmarschierte, selbst wenn ich es wollte, was ja nicht der Fall war. Ich fuhr also erst einmal richtig schön mit Speed den Berg runter. Wahrscheinlich rannte Romam schon zur Seilbahnstation und schubste sich an der Schlange vorbei, damit er vor  mir im Tal war. Das würde ihm aber mit Sicherheit nicht gelingen, denn ich hatte gerade meine absolute racing Tour, da ich so gut wie alleine auf der Piste war. Wozu sollte man überhaupt diese blöden Schwünge machen, wenn man mal richtig Speed fahren konnte. Ich fühlte mich gerade wie eine Mischung aus Felix Neureuther und Lindsey Vonn. In der Ferne sah ich schon die Talstation als ich zu einem Schwung ansetzte. Das nächste, was ich sah war aufwirbelnder Schnee, der mich umhüllte als ich Kabolz schoß. Irgendwann kam ich dann auch zum Liegen. Ich rappelte mich auf und klopfte den Schnee von meinen Klamotten. Mein Blick schweifte über die Piste, die wie leer gefegt war, scheinbar war ich wohl wirklich die einzigste, die noch unterwegs war. In ein paar Metern Entfernung lagen meine beiden Skier verstreut. Ich stapfte also missmutig los. Schon nach dem ersten Schritt spürte ich ein fieses Stechen in meinem Knie. Na super. Da half jetzt trotzdem nichts. Ich musste zu meinen Skiern und dann den Berg runter. Zähnezusammenbeissend bewegte ich mich also langsam Meter für Meter fort, um dann festzustellen, dass es meine Bindung total zerlegt hatte. Was sollte ich denn jetzt machen. Zu Fuss würde ich es niemals mit meinem Knie bis ins Tal schaffen. Ich  musste Hilfe holen. Mein Griff ging in meine Jackentasche und dort ins leere. Scheiße, ich hatte mein Handy zu Hause liegen gelassen. Jetzt lief mir doch die erste Träne über die Wangen. Warum musste ich auch meinen Dickkopf durchsetzen und hatte nicht auf Roman gehört. Deprimiert und heulend ließ ich mich in den Schnee fallen. Wenn ich Glück hatte, kam noch ein verspäteter Skifahrer oder die Pistenraupe vorbei. Wenn nicht, würde ich hier halt einfach erfrieren. Ich musste an Roman denken und strich über meine Kette. Meine Tränen rollten mittlerweile in Sturzbächen herunter, während es um mich herum dunkel geworden war. Na wenigstens wurde bei dieser Kälte mein Knie gekühlt, dachte ich zitternd und stellte mich auf meinen sicher bald nahenden Tod ein. Da hast du ja wirklich etwas gekonnt, waren meine letzten Gedanken, bevor mir meine Augen zufielen.

Nicht jeder Schuss ist ein Treffer  ✔ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt