44_Sterben müssen wir alle

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Davis hatte alles von seinem Standpunkt aus gesehen und er konnte beobachten wie seine Tochter aufgebracht die Tanzfläche verließ. Loki sah aus wie ein begossener Pudel. Was auch immer da gerade zwischen den beiden vorgefallen war, es hatte sie in ihren Grundmauern erschüttert, das konnte er klar und deutlich erkennen. Deshalb war nun der perfekte Moment um einzugreifen. Seine Taten waren gezielt und durchdacht, deshalb verschwendete er auch keine weitere Zeit. Wenn Harley aufgebracht war, vergaß sie schnell den Groll den sie gegen ihn hegte, solange sich dieser nicht auf ihn konzentrierte. Geschickt fing er sie ab und führte sie durch die Menge.
„Wir gehen kurz raus" sagte er ihr.
„Nein, ich bleibe hier" verneinte sie.
„Nur für einen Moment, um den Kopf frei zu kriegen."
Sie wehte sich nicht gegen seine Führung. Kurzerhand steuerte er sie nach draußen auf die Terrasse und die steinernen Stufen hinab. Das Mädchen lief brav neben ihn her, dabei zitterte sie am ganzen Körper. Harley war so in sich gekehrt, dass sie nicht einmal etwas sagte, als sie den Königlichen Garten erreichte. Das war gut, sie sollte für diesen Moment fern von dem Lärm und von den Leuten auf der Feier getrennt sein. Behutsam schob er sie weiter bis sie das Ziel erreicht hatten. Mitten im wunderschönen Garten brachte er sie schließlich zum stehen und drehte sie sachte herum. Ihre Mimik strahlte eine eiserne Kälte aus, die ihn kurz zweifeln ließen. Jetzt oder nie, er war so weit gekommen und er würde jetzt nicht einfach kehrt machen.
„Du bist meine Tochter" sagte er, aber es regte sich nichts bei ihr.
„Auch wenn ich es dir nie gezeigt habe, ich liebe dich und wollte nur, auf meine eigene Art und Weise das Beste für sich, das musst du mir glauben" sagte er.
„Ich habe dafür keine Zeit" winkte sie ab. Ihr Blick ging herum und sie schien sichtbar überrascht zu sein, hier gelandet zu sein. Sein Mädchen war so vertieft in ihren Gedanken gewesen, dass sie es einfach nicht mitbekommen hatte.
„Wir sollten zurück, es ist zu gefährlich" sagte sie und man konnte deutlich ihre Angst aus ihrer Stimme hören.
„Es ist alles gut. Beziehungsweise, es wird alles gut. Das musst du mir glauben" versicherte er.
„Das weißt du nicht."
„Doch das weiß ich, denn ich kümmere mich darum, dass dir nichts zustoßen wird."
Irritiert sah sie ihn nun an. Harley verstand seine Worte nicht, was ihn nicht wunderte. Möglicherweise verstand er selbst nicht, was er hier tat. Aber seine Tochter hatte einen falschen Weg eingeschlagen und das war nun die letzte Chance, alles gerade zu biegen. Diese musste er einfach ergreifen. Seine Zeit war nur mehr begrenzt und wenn der Krebs ihn dahinraffen würde, wollte er wenigstens damit Frieden schließen. Seine Tochter musste ihn nicht lieben, ganz bestimmt würde sie das nie tun. Anfangs würde sie ihn hassen, da war er sich sicher, aber irgendwann würde sie es verstehen, das musste sie, denn sonst wäre alles Umsonst gewesen.
„Du musst leben Harley, das ist die einzige Möglichkeit."
Lauernd flackerte ihr Blick auf.
„Was wird das hier Davis?"
„Das wirst du gleich sehen."
Und so war es. Um sie herum traten die Dunklen Gestalten aus ihren Verstecken. Die Nilgram umkreisten sie und er konnte beobachten, wie Harley begriff, was hier passierte. Ihr Kopf flog herum und augenblicklich entflammten ihre Hände. Mit blanker Wut fixierte sie ihn, während sein Körper langsam erschlaffte.
„Du hast mich in eine Falle gelockt!" Zischte sie erbost.
„Nein, das habe ich nicht!" Versicherte er. Eigentlich war es aber genau das. Trotzdem bevorzugte er als Ausdruck dafür „Austricksen".
„Sie werden dich leben lassen Harley, nur das zählt für mich!"
„Du widerlicher..." weiter kam sie nicht. Mit einem leisen Glucksen machte sie einen Schritt vorwärts, stolperte dann die gleiche Distanz wieder zurück und klappte einfach in sich zusammen. Hinter ihr streckte sich eine der Gestalten aus dem Boden, welche Harley bewusstlos geschlagen hatte. Der Anblick war grotesk und wahnsinnig. Er hatte seine Tochter mit vollem Bewusstsein dem Feind ausgeliefert und noch viel witziger war der drückende Schmerz in seiner Brust. Eventuell könnte man das als Herzschmerz betiteln, aber das war es nicht. Mit einem tiefen Atemzug sah er hinab. Züngelnd schob sich einer der schwarzen Arme weiter durch das klaffende Loch in seiner Brust. Teile seines Herzen klebten wie Brei an der undefinierbaren Materie, darum konnte er nicht einmal behaupten, sein Herz würde flattern, es war schlichtweg nicht mehr vorhanden. Teile davon und noch andere Fetzen aus seinem Inneren klebten auf dem Schwarz oder waren zu Boden gefallen. Da fiel ihm auf, dass er eigentlich nicht mehr seine Beine spüren konnte und sich eine aggressive Kälte sich von seiner Hüfte auf und abwärts ausbreitete. Komisch, was einen alles auffiel, wenn man starb. Wenigstens musste er keine Tabletten mehr schlucken. Oder eine Chemotherapie durchstehen, diese konnte er nämlich nicht ausstehen. Diese erdrückende Übelkeit und der Verlust von Körperbehaarung. Einfach lästig. Sein letzter Blick ging zu Harley. Hatte er möglicherweise doch einen Fehler begangen? Hatte er seine Tochter tatsächlich wieder einmal an das offene Messer geliefert. Davis O'Melly würde es nicht mehr herausfinden, denn der Arm zog sich schmatzend aus ihm zurück. Bevor er noch auf dem Boden aufkam, schloss er die Augen und starb.


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Die Gefühle in ihm waren doch verworrener, als er sich hätte Eigenstehen können. Einerseits, war er wütend. Wütend darauf, dass Harley ihn nicht einmal versucht hatte zu verstehen. Mit blanker Ignoranz hatte sie seine Versuche abgetan und war davon gestürmt. Andererseits, war er ängstlich. Dieses Empfinden, macht ihn wiederum Wütend. Es war ein Teufelskreis. Das nächste Gefühl, welches in ihm zum köcheln begann, war ganz anders und viel intensiver. Er kannte es bereits, auch wenn er dieses nur ein einziges Mal gefühlt hatte. Diese Erfahrung war damals so eindringlich gewesen, dass alles in ihm sofort reagierte. Harley hatte Asgard verlassen. Diese Erkenntnis, führte zur nächsten: Die Nilgram hatten sie. Im nächsten Moment rannte er. Was er zu dem Zeitpunkt nicht wissen konnte, war, dass er direkt in eine Falle rennen würde, wie konnte er auch? Die Sorge um Harley ließ ihn erblinden und es zeugte von Glück, dass Poseidon ihn gesehen hatte und ihn verfolgt hatte. Vielleicht war es Schicksal, vielleicht einfach nur Pech, oder doch Glück. Es war ein verworrenes Spinnennetz.


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Es ohrenbetäubendes Rauschen begleitete sie aus dem Schlaf, was kein Schlaf war. Denn sie lag nicht wohlgebettet in ihrem, oder Lokis Gemach. Loki. Ein Schmerz zog sich durch ihre Brust und ließ sie leise aufstöhnen. Unwillkürlich verkrümmte sie sich und die dünne Haut auf ihrer Wange scheuerte über sandigen Boden. Harley dachte kurz an den Trainingslatz. Der hatte Sand. Eine ganze Menge. Hatte sie gegen Thor gekämpft und war zu Boden gegangen? Wäre doch möglich? Aber dafür tat ihr zu wenig weh. Allein ihr Kopf dröhnte, wie nach einer ausgedehnten Nacht mit viel Alkohol. Die Übelkeit würde diese Theorie nur bestärken. Hatte sie sich wirklich zu Besinnungslosigkeit besoffen letzte Nacht? Sie war auf der Feier, daran konnte sie sich erinnern, sie konnte sich an Loki erinnern, er hatte irgendetwas dummes getan und dann...
Die Erinnerungen kamen mit voller Wucht zurück und rissen sie in die Höhe. Ihr Blick war zu verschleiert und sie konnte kaum Umrisse erkennen. Es gab auch nicht viel zu erkennen. Boden und Wand. Das war alles was sie nachmehrmaligen Blinzeln erkennen konnte. Mehrere Strähnen sammelten sich vor ihrem Auge, welche sie sofort wegstrich. Dabei sah sie an sich herab. Das Kleid, welches sie getragen hatte, war weg. Stattdessen trug sie eine schwarze Lederhose, die unter dem Knie endete und eine Dunkelbraune, dünne Lederrüstung die ihren Oberkörper schützte. Beunruhigt sah sie wieder auf. Der runde Raum war groß, aber beunruhigend. Der Sand vor ihr hatte sich zu kleinen Dünen gebildet und irgendjemand hatte etwas darauf verschüttet. Es war bräunlich und bildete kleine Klumpen. Die Wände waren kahl und glatt. Ihr Kopf wanderte hoch. Begleitet vom Schmerz durfte sie feststellen, was so unheimlich an diesem Raum war. Es war eine Arena. Die Wand ging gute vier bis fünf Meter in die Höhe und mündete zu abgesperrten Terrassen. Tatsächlich hatte sie sogar Zuschauer. Die Wesen mit den dunklen Roben sahen blicklos zu ihr hinunter, ihre Kaputten tief gezogen und ihre Hände baumelten leblos neben ihren Körpern. Einzig eine Gestalt stach aus der Menge heraus. Seine Haut war blass und seine blaugrünen Augen glänzten voller Sorge. Er war etwas in sich gefallen und hatte seine Haltung dadurch verloren. Loki sah schwer atmend zu ihr herab, neben ihm stand einer der Nilgram und hielt ihn fest. Seine Hände lagen in Handschellen und auch seine Beine waren an dem Boden gekettet. Langsam bewegte sich die Hand des Nilgram der neben Loki stand zu der Kapuze und zog an dem dünnen Stoff. Lautlos rutschte die Verhüllung auf die Schultern und entblößte...nichts. Das geschwärzte Gesicht hatte weder Konturen, noch Mimik, oder gar Augen in die Harley blicken konnte. Es war ein Gesichtsloser Kopf. Ein zischen, oder so etwas wie ein hohes Röcheln ging durch die Menge. Ein verzerrter Sprechgesang startete die ersten Melodien.
„Das Feuer, das Feuer" sangen die dunklen Wesen, die sich über ihr versammelt hatten.
„Muss sterben"
Harley lag auf dem Bauch und rappelte sich langsam auf. Wankend kam sie zum stehen und drehte sich einmal um die eigene Achse. Angst empfand sie bislang noch nicht, viel zu grotesk war die Situation in der sie sich befand. Warum hatte sie man in eine Arena gesteckt? Was bewirkten die Nilgram damit? Schweigend sah sie wieder zu Loki, doch auch er schien nicht wirklich zu wissen, was hier gleich passieren würde. Neben ihm streckte der Nilgram ihn etwas entgegen. Anfänglich beachtete Loki in nicht, doch als man ihn den Gegenstand direkt unter die Nase hielt, musste er seinen Blick senken. Verdrossen sah er die Gestalt neben sich an.
„Was soll ich Bitteschön damit anstellen?" Fragte er spitz. Ohne zu antworten senkte sich der Arm wieder und der Kopf drehte sich wieder zu Harley herum. Kurz kippte sein Haupt nach vor und wieder zurück. Ein Donnern war zu hören und der Boden begann leicht zu beben. Im unwissenden tappend stolperte Harley zurück und sah sich hektisch um. Mit Faszination und Grauen konnte sie zusehen, wie sich die Wand an einer Stelle nach innen bewegte und sich dann zur Seite schob. Damit bildete sich ein Ausgang. Oder besser gesagt ein Eingang. Ein Tor, welches eine Gestalt aus Albtraum-Material ausspuckte.
„Oh nein." Hauchte sie.

Feuerteufel (Loki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt