Dr. Jones
„Wie fühlst du dich heute, Ethan?", frage ich den stillen Jungen vor mir.
Es hatte den Anschein, dass er etwas beschämt wegen dem gestrigen Vorfall war. Nervös biss er sich auf die Lippe und ließ bedrückt den Kopf hängen.
„Ethan wegen dem gestrigem Ereignis,- Ich möchte nicht darüber sprechen.", unterbrach er mich. Seine Stimme war ziemlich leise und es lagen keine Spuren von Langeweile oder Wut in ihr. Wenn ich mich nicht tauschte, hörte es sich sogar nach einem Hauch von Verletzlichkeit an.
„Über was denn? Ich habe keine Ahnung was du meinst, ist gestern etwas passiert?", schmunzelte ich gespielt unwissend.
Kurz hob er seinen Kopf und ein leichtes Grinsen schlich sich über seine Lippen.
„Gut, möchtest du über die Kassetten reden?", kam ich jedoch wieder direkt zur Sache. Langsam fiel das Lächeln, bis es irgendwann ganz weg war und er nur knapp mit den Schultern zuckte.
„Ethan, was ist auf den Kassetten drauf?"
„Das wissen Sie schon.", antwortete er simpel.
Einen Moment lang sah ich ihn an.
Ethan wusste genau worauf ich hinauswollte. Er stellte sich nur dumm, um der Frage auszuweichen.„Ethan.", kurz machte ich eine Pause.
„Du weißt genau was ich meine. Was ist auf den Kassetten drauf.", fragte ich nochmal zaghaft.
Doch er machte sich keine Mühe mir eine Antwort zu geben.
„Ich möchte nur wissen, ob diese Kassetten eine Bedeutung für dich haben?", sagte ich langsam.
„Ich will dir nur helfen.", fügte ich mitfühlend hinzu.
Augenblicklich wurden Ethan's Gesichtszüge weicher und es kam mir so vor, als hätte ich einen Funken von Schuldgefühlen in seinen Augen aufschimmern gesehen.
Einige Minuten war es still und ich hatte die Hoffnung aufgegeben, bis er plötzlich anfing zu reden.
„Geschichten.", sagte er schlichtweg.
Überrascht rappelte ich mich auf.„Geschichten?", wiederholte ich was er mit einem Nicken bestätigte.
„Waren diese Kassetten sowas wie ein Abschied?", äußerte ich meine Gedanken.
Ethan schüttelte nur mit dem Kopf, während er ironisch auflachte.
„Sie waren einiges aber sicherlich kein Abschied.", sah er mit gesenktem Kopf zu Boden. Die Arme ruhig neben sich liegend bemerkte man die kleinen Zuckungen in seinen Fingern.
Es war kein bestimmter Takt, in dem sie zuckten, wie das Nachahmen von einem Rhythmus oder einer Melodie, wenn man entspannt ist. Im Gegenteil, es war stressbedingt. Nerven, die unter Stress standen und Spielchen mit seinem Körper spielten. Deutliche Anzeichen von Anspannung.
„Okay, worum ging es dann?", fragte ich interessiert.
„Um so einiges.", antwortete er knapp. Ich sah schon, heute war er nicht sonderlich gesprächig.
„Wie viele Kassetten gibt es?"
„Es gab elf Kassetten.", äußerte er sich mit müden Augen.
„Es gab? Das bedeutet es gibt sie nicht mehr?", sah ich ihn verwirrt an.
Doch ich bekam nur ein vages Kopfschütteln.„Hast du sie etwa verloren?"
„Sozusagen. Sie wurden mir weggenommen.", presste er durch zusammengepresste Lippen. Man sah die Anspannung in seinem Kiefer und seine Atmung wurde intensiver.
Überrascht über diese Reaktion wollte ich mehr darüber erfahren, jedoch musste ich mich zurückhalten denn er war kurz davor wieder auszurasten.
„Na gut Ethan, ich denke für heute ist es genug. Wir beenden die Sitzung etwas früher, was hältst du davon?", schlug ich ihm vor. Doch wer von Ethan eine Antwort erwartet vergeudete nur seine Zeit. Dieser Junge sprach nur, wenn er es wollte. Ganz egal wer vor ihm stand.
Stumm verließen abermals seine Schritte den Sitzungsraum, doch mit seiner Absenz kehrten wieder die fragenden stimmen in meinem Kopf zurück.
Was hat es überhaupt mit diesen Kassetten auf sich? Gab es diese überhaupt und wenn ja, wieso wurden sie überhaupt aufgenommen. Welchen Zweck hatten sie?
Der Sache auf den Grund gehend legte ich den, davor noch in meinem Schoß liegenden, Notizblock beiseite. Mit wackligen Schritten stand ich auf um anschließen Richtung Wandregal zu gehen.
Vielleicht fand ich ja etwas in seiner Patientenakte über die Kassetten heraus?
Vor dem Regal stehend strich ich mit meinem Finger über die unzähligen hellblauen Schildchen, die aus den Akten raus ragten. In der Hoffnung, dass eines von ihnen Ethan's Namen trug.
Im Handumdrehen fand ich auch schon die Akte mit der Beschriftung 'NE-01'.
Vorsichtig und langsam nahm ich sie raus.
Als ich die Akte in meinen Händen hielt, bemerkte ich dass sie einen ziemlich mitgenommenen Umschlag hatte.
Noch immer vor dem Bücherregal stehend öffnete ich die Akte, doch im selben Moment fiel etwas zu Boden.
Verwundert sah ich nach unten. Vor mir lag ein kleiner grüner, leicht zerknitterter Zettel. Beim genauerem hinsehen sah ich dass es sich um ein Post-It handelte.Danach greifend hob ich's auf und sah es mir genauer an.
„118 Westfield Road- Phill", las ich laut vor.
Verwirrt wollte ich zu meinem Schreibtisch gehen, als ich plötzlich auf etwas Hartes drauf stieg. Ich hob meinen Fuß leicht an und entdeckte einen Schlüssel. Anscheinend bemerkte ich nicht dass auch der mit dem Zettel runter fiel.
Erstaunt hob ich ihn auf. Es war ein ziemlich kleiner Schlüssel. Definitiv nicht für ein Haus oder irgendeine Art von Tür.
Mit schnellen Schritten ging ich zum Schreibtisch und setzte mich. Den Schlüssel und Zettel bei Seite legend, öffnete ich die Akte auf ein Neues.
Moment mal? Dass kann nicht sein!
Völlig perplex sah ich auf den vor mir liegenden Inhalt. Verwirrt blätterte ich weiter, doch auch diese war wie die vorherige Seite- Leer.
Aufgebracht blätterte ich wie verrückt durch die Akte, doch jede Seite sah gleich aus. Nichts als weiße Seiten.
Entsetzt warf ich die Akte auf den Tisch. Ich konnte sie genauso gut in den Mülleimer werfen.
Doch wieso wunderte es mich nicht. Es war doch zu leicht um wahr zu sein. Es war so offensichtlich, dass genau seine Akte leer war.
Genervt stützte ich meinen Kopf auf den Tisch ab und schloss die Augen.
thequiet_screamer 💕🤟🏼

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R.E.M. ✓
Misteri / ThrillerWattys 2020 Winner- Mystery/Thriller Grausame und äußerst verstörende Geheimnisse lauern in der White Bird Psychiatry. Der Auslöser- Ethan Nolan. Doch ist er wirklich der wahre Grund für deine schlimmsten Alpträume? Genau diese Frage stellt sich...