Dr. Jones!

301 20 7
                                        

Dr. Jones

„Olivia! Gut dass ich Sie noch erwischt habe.", rief ich der etwas kleineren Frau zu die an mir vorbeiging.

Es war mittlerweile kurz vor siebzehn Uhr und die meisten Arbeiter sollten jetzt eigentlich von der Pause zurückkommen.

Lächelnd drehte sie sich um.
„Was gibt's den Dr. Jones?"

„Ich wollte Sie etwas fragen. Es geht um diesen Patienten, Ethan Nolan.", fragte ich und bemerkte dabei nicht dass plötzlich alle auf dem Gang innehielten und uns ansahen.

Die vierte Etage war im Grunde genommen nur ein sehr langer und breiter Gang der in drei Teile geteilt wurde.

Der Hauptteil wurde gerne die Station genannt. Er war das Erste, das man sah, wenn man aus dem Aufzug ausstieg.

Hier befanden sich die meisten Leute tagsüber auf, da es mit den Sofas und Bücherregalen sowas wie ein Aufenthaltsort für die Patienten war.

Der zweitgrößte Teil des Ganges wurde den Schlafräumen der Patienten zugeteilt und war auf der rechten Seite des Gebäudes.

Zu guter Letzt blieb noch das Mitarbeiterabteil welches, wie der Name schon sagt, den Mitarbeitern diente und sich gleich neben meinem Raum zur linken des Ganges befand.

Augenblicklich verblasste Olivia's lächeln. Entsetzt sah sie sich um, ehe sie mich hastig am Arm packte und ins Mitarbeiterabteil zog.

Kurz schallte das geräuschvolle Zuknallen der Tür im Gang und Olivia sah hektisch aus dem kleinen Fenster der Tür, um sich zu versichern dass uns niemand aus der Station gefolgt war.

„Was sollte das ganze FBI Getue vorhin? Die Patienten wissen doch wer er ist.", verschränkte ich die Arme und sah sie mehr als verwirrt an.

„Ethan ist einer unserer ältesten Patienten.", flüsterte sie auf einmal, dabei hielt sie immer wieder Ausschau nach Patienten oder Mitarbeitern.

„Er ist länger als alle anderen hier und nur Dr. Cooper konnte ihn bewältigen.", setze sie fort.

„Was meinen Sie mit bewältigen?", fragte ich verdutzt.

„Ethan ist ein sehr gefährlicher Junge, Dr. Jones. Die meisten Patienten haben Angst vor ihm. Er macht sogar einigen Mitarbeitern Angst.", sprach sie ganz unruhig.

„Ich hatte gestern mit ihm eine Sitzung, er schien ein ganz normaler Junge zu sein. Natürlich hat er seine Schwierigkeiten, aber die haben doch alle Patienten hier, oder nicht?", hob ich die Augenbrauen.

„Genau! Sie sagen es, Patienten. Ich muss Sie daran erinnern dass wir uns in einer Nervenanstalt befinden. Die Patienten sind nicht ohne Grund hier.", packte sie mich plötzlich mit aufgerissenen Augen an den Schultern.

Eingeschüchtert nickte ich zaghaft. So habe ich Olivia noch nie gesehen.

„Dr. Jones, seien Sie vorsichtig! Ethan weiß ganz genau was er macht. Keiner traut sich ihm über den Weg zu gehen. Wussten sie dass Ethan bis vor kurzem spezielle Sicherheitsassistenten hatte, die ihn auf Schritt und Tritt beobachteten? Es wurden vier Kameras in seinem Zimmer angebracht die auf einen eigenen Monitor abrufbar sind. Niemand sonst hat solche Kameras in seinem Zimmer.", sprach sie aufgebracht, jedoch mit einer leiseren stimme.

„Okay?", war das Einzige das ich rausbringen konnte. Immer noch hielt mich Olivia an den Schultern. Ihr Griff lockerte sich aber als sie meinen verstörten Gesichtsausdruck bemerkte.

Sicherheitskräfte und Kameras? Mitarbeiter die sich vor ihm fürchteten? So gefährlich konnte er doch nicht sein?

Wieso hatten alle solch eine Angst vor ihm. Ja, er sah vielleicht nicht wie der netteste Junge aus, und ansprechen möchte man ihn bei seinem Blick vielleicht auch nicht unbedingt. Aber so schlimm konnte er doch nicht sein. Wahrscheinlich übertrieben sie etwas weil sie wussten welche Vergangenheit er hatte.

„Tut mir leid, Dr. Jones. Ich wollte Ihnen keinen Schrecken einjagen.", entschuldigte sich Olivia sofort und ließ von mir ab.

„Schon gut, alles okay.", lächelte ich ihr entgegen.

„Sie wollten mich etwas bezüglich Ethan fragen, stimmt doch?", sah sie mich fragend an.

„Ähm, ja genau. Ethan hat mir gestern von seiner Zeit im Waisenhaus erzählt, doch dann begann er plötzlich zu hyperventilieren und meinte jemand hätte ihn zu etwas gezwungen.", erklärte ich ihr.

Kurz schloss sie die Augen und senkte den Kopf, ehe sie wieder zu mir hoch sah.

„Ethan wurde mit sechs Jahren ins Waisenhaus gesteckt, wieso weiß man nicht. Mit dreizehn wurde er dann von der Nolan Familie adoptiert, jedoch war Mr. Nolan starker Alkoholiker.", stoppte sie kurz und seufzte ausgiebig.

„Nach dem Tod seiner Frau, wurde es schlimmer und er misshandelte Ethan auf brutalster Weise. Er gab ihm die Schuld für ihren Tod und zwang ihn sie zu ersetzen. Im wahrhaftigsten Sinne des Wortes und in jeder sich nur vorstellbaren Form.", stoppte sie. Eindringlich sahen mich ihre grünlichen Augen an und mir wurde sofort bewusst worauf sie hinauswollte.

Die Luft einziehend öffnete ich mit weit aufgerissenen Augen den Mund, worauf sie nur nickend zu Boden sah.

„Er hat ihn an Ethan's achtzehntem Geburtstag hier eingewiesen. Seither hat man ihn nie wieder zu Gesicht bekommen.", beendete sie die Erzählung und sah bedrückt zur Wand.

In der Versuchung das Gesagte zu verarbeiten visierte ich bestürzt den sandfarbenen Vinylboden.

Ich bemerkte nicht wie sich meine zitternden Finger zu immer fester werdenden Fäusten bildeten, genauso wenig wie Olivia, die ohne ein weiteres Wort das Abteil mit einem leisen schließen der Tür verließ.

Gedankenverloren stand ich eine Weile da. Mir unsicher, ob es nur einige Sekunden oder Minuten waren, verlor ich jegliches Zeitgefühl. Doch aus irgendeinem Grund konnte ich dieses plötzliche Gefühl nicht unterdrücken beobachtet zu werden.

Das Gefühl nicht abschütteln könnend, blinzelte ich kurz als ich bemerkte dass mich meine Beine, ohne es zu realisieren, zur Station gebracht hatten. Ich wusste nicht was es war, oder wieso es genau in dem Moment geschah. Vielleicht war es Intuition oder einfach nur ein Zufall, doch fast schon reflexartig führten mich meine Augen zum Ende des Ganges.

Augenblicklich überkam mich eine Gänsehaut. Ohne darüber nachzudenken, wusste ich sofort wem diese hellbraunen Augen gehörten.

Er sah mich mit den emotionslosesten und gleichzeitig traurigsten Augen an die ich jemals sah. Regungslos.

Mit jeder weiteren Sekunde hatte ich ein unheimlich stärkeres Verlangen nach Sauerstoff, jede Bewegung um uns herum spielte in Zeitraffer ab.

Ich war wie angewurzelt, konnte mich keinen Schritt bewegen. Wie gebannt sah er mir in die Augen. Als würde er versuchen mir in die Seele zu schauen, mich zu lesen und auf meinen nächsten Schritt warten.

Auch wenn er auf der anderen Seite des Raumes stand, schaffte er es mich unwohl fühlen zu lassen. Dabei stand er einfach nur ruhig da und sah mir in die Augen.

„Dr. Jones!", rief plötzlich jemand.

Erschrocken zuckte ich auf und wendete meinen Blick von ihm ab. Augenblicklich strömte wieder der Sauerstoff in meine Lungen ein und ließ mich schwer aufatmen.

Ich blinzelte ein paar mal und strich mir erleichtert eine blonde Strähne hinters Ohr.

„Dr. Jones, ist alles in Ordnung bei Ihnen?", sprach wieder die bekannte Stimme.

„Ja! Ja natürlich alles bestens, danke.", versuchte ich von, was auch immer dass vorhin war, abzulenken.

„Gut, denn ich wollte Sie fragen, ob sie vielleicht gerade etwas Zeit hätten.", fragte mich die dunkelhaarige mit freudigen Augen.

„Ja natürlich.", versuchte ich sie anzulächeln.

„Ist wirklich alles in Ordnung bei Ihnen?", sah sie mich fragend an.

„Aber ja doch. Ja, alles bestens Alison. Komm, gehen wir.", forderte ich sie auf zu gehen.

Lächelnd machte sie sich auf dem Weg, dicht gefolgt von mir. Kurz vor der Tür sah ich jedoch nochmal zurück, aber Ethan war weg.







thequiet_screamer 💕🤟🏼

R.E.M. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt