Dr. Jones
„Tut mir leid dass wir die Sitzung gestern frühzeitig beenden mussten, Ethan. Du hast ja selbst gesehen was geschehen ist.", erklärte ich beim Aufschlagen des Notizblocks und zeigte flüchtig zur Tür.
„Schon gut Dr. Jones, jeder hat so seine Prioritäten im Leben.", lächelte er mir entgegen. Von Echtheit war es jedenfalls weit entfernt.
„Wissen Sie?.", fing er plötzlich wieder an zu sprechen.
„Noah, hatte auch so seine Prioritäten. Hätte er diese doch nur nicht aus den Augen verloren.", sah er nachdenklich zu Boden.
„Worauf willst du hinaus, Ethan?", rutschte ich in der Garnitur etwas nach unten und verschränkte die Arme.
„Wie viele tote Menschen denken Sie gibt es im Ozean?", fragte er mich unerwartet.
Irritiert schüttelte ich den Kopf und sah um mich herum.
„Ich weiß es nicht, vermutlich einige. Aber wieso beschäftigt dich das?", sah ich ihn verwirrt an.
Kurz kräuselte er die Lippen und zuckte mit den Schultern.
„So ganz sicher bin ich mir auch nicht. Aber, finden Sie es nicht komisch, dass so viele Menschen immer zu von dieser türkisen Grabstätte, welches sie Meer nennen, träumen? Davon schwärmen bei Höchsttemperaturen der Sommerhitze sich mit Leichen verschmutztem Wasser abzukühlen, ehe sie sich wieder von der Sonne verbrennen lassen während sie umhüllt von warmen Sandkörnern sind? Und dass alles nur um in der Arbeit oder vor den Nachbarn rum prahlen zu können welch exotische reisen sie sich leisten können."
Erstaunt über seine außergewöhnliche Denkweise hob ich die Augenbrauen. Ethan sah gedankenverloren während seiner Erzählung zu Boden und spielte mit seinen zwei Zeigefingern, indem er sie in einer kreisförmigen Bewegung wie ein Rad umherdrehte.
„Das ist wirklich eine einzigartige Art einen Urlaub zu beschreiben.", gab ich zu.
„Niemand denkt an die vielen ertrunkenen Leichen beim Planen des Urlaubs. Wieso sollten sie auch? Man weiß ja nicht mit Sicherheit wie viele Menschen dort umherschwimmen, geschweige denn ob überhaupt jemand dort liegt, oder? Also vermute ich ist es nichts worüber man sich Gedanken machen sollte."
„Ethan, was hat das Meer mit dir zu tun?"
„Wissen Sie Dr. Jones, ich kenne die genaue Zahl der Toten im Ozean nicht, aber ich weiß ganz genau, dass zumindest einer am Meeresboden vor sich hin rottet."
Verdutzt blinzelte ich als sich meine Augenbrauen hoben. Trotz meines überraschten Gesichts hatte ich es mehr oder weniger erwartet. Früher oder später bekam man ein Gefühl für seine Denkweise, ebenso wie für seine verstörenden Einleitungen.
„Noah hatte Angst vor dem Meer. Er hatte die Befürchtung nie wieder an die Oberfläche gelangen zu können, wenn er einmal zu tief im Wasser ist. Und er hatte recht.", sagte er ruhig.
„Er ertrank Dr. Jones. So ähnlich wie Lauren. Hätte er doch nur gewusst dass er nicht alleine war.", sagte er mit gespielt mitgenommener Miene.
„Er war nicht alleine?", frage ich nach.
Ethan schüttelte jedoch nur mit dem Kopf. Einen momentlang biss er sich auf die Lippe, stand dann aber mit den Händen in den Hosentaschen auf und steuerte zum Fenster. Gespannt beobachtete ich sein Handeln, als er sich am Fensterbrett anlehnte und verträumt nach draußen sah.
„Noah sprach in seiner Kassette von einem Jungen.", lauschte ich aufmerksam und versuchte seine Gesichtszüge zu entschlüsseln.
„Dieser Junge hieß Elijah."
Die Dunkelheit brach ein und der Himmel war in verschiedensten violett und blau Tönen getränkt. Es war recht dunkel im Zimmer aber die letzten Strahlen der untergehenden Sonne ließen den Raum in einem warmen Gelb glühen.
Ich beobachtete wie die Sonnenstrahlen Ethan's Konturen umschlossen und sich immer größer werdende Silhouetten an seine, im Schatten liegende, linke Gesichtshälfte schlichen je weiter die Sonne unterging.
„Beide wussten was Sache ist. Was Noah jedoch nicht wusste, ist das Elijah ihm näher als gedacht war. Zumindest in Form einer Manifestation."
„Wie meinst du dass?", fragte ich nach einigen Momenten der Stille.
„Noah wusste nicht, dass Elijah und er eines gemeinsam hatten. Sie starben beide an Luftmangel."
Stirnrunzelnd blickte ich ihn an. Dies bemerkte er anscheinend denn er fuhr fort mit seiner Schilderung.
„Elijah hat sich die Kehle aufgeschlitzt, Dr. Jones.", sagte er mit einer tiefen Stimme.
„Es war ein ziemlich schmerzvoller Tod, aber er wollte es so.", meinte er mit Selbstverständlichkeit in der Stimme.
Ein Angstschauer überkam mich, als ich zu sah wie er seelenruhig mit der Hand seinen Hals auf und ab fuhr. Seine Augen visierten wieder diese eine Stelle die er, wie so oft, ansah.
„Du bist so ruhig, macht es dich nicht wahnsinnig zu wissen wie sie gestorben sind?", ertönte meine etwas zittrige Stimme.
Weiterhin zog er mit seinen Fingern unzählige imaginäre Linien von seinem Kinn bis zu seinem Schlüsselbein und wieder zurück. Doch bei meiner Frage blieb er abrupt bei seinem Adamsapfel stehen.
„Nein. Nicht im geringsten.", drehte er sich wieder um.
„Nicht mal ein winzig kleines bisschen?", harkte ich nach.
Über sein Gesicht zog sich jedoch nur ein verschmitztes und finsteres Grinsen.
„Die Zeit ist um Dr. Jones", sagte er schlichtweg und zeigte auf die kleine Wanduhr oberhalb der Tür. Mit einem Nicken und Grinsen im Gesicht verließ er ohne ein weiteres Wort zu sagen das Zimmer. Und mit der plötzlichen Stille nach der zuknallenden Tür, war ich nun alleine. Sichtlich verstört, leicht eingeschüchtert und alleine.
Seufzend schloss ich einen Moment lang die Augen. Den Notizblock bei Seite legend fuhr ich mir mit den Fingerspitzen über die Schläfe.
Ich wusste nicht mehr wann das letzte Mal ein Tag verging ohne von diesen schrecklichen Kopfschmerzen geplagt zu werden? Anders als sonst war dieses Mal aber er der Grund.
Mir wurde immer mehr klar warum Olivia mich vor ihm warnte. Langsam, und das trotz meiner Befürwortung der Privatsphäre, begünstigte ich die Kamerasysteme in seinem Zimmer.
Mein mitgenommener Blick schweifte zum Fenster. Unwiderruflich zeichnete sich Ethan's zum Fenster schauendes Gesicht vor meinem inneren Auge.
Was faszinierte ihn so sehr da draußen? War es wirklich nur seine Art Blickkontakt zu vermeiden oder steckte mehr dahinter?
Der Sache auf den Grund gehend stand ich auf und ging entschlossen zum Fenster.
Ich sah mich um, doch sonderlich viel war hier nicht zu sehen. Das dunkelgrüne Gras glänzte noch etwas vom vorherigen Regen. Doch weit und breit waren nur dichte Bäume zu sehen. Nichts Besonderes.
Gerade als ich mich abwenden wollte, erkannte ich in der Ferne einen roten Punkt.
Die Augen zusammenkneifend versuchte ich besser zu erkennen was es war. Dies gelang mir auch, denn bei genauerem hinsehen sah es aus, als wäre dort ein recht altes und mitgenommenes Stoppschild.
thequiet_screamer 💕🤟🏼
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R.E.M. ✓
Mistério / SuspenseWattys 2020 Winner- Mystery/Thriller Grausame und äußerst verstörende Geheimnisse lauern in der White Bird Psychiatry. Der Auslöser- Ethan Nolan. Doch ist er wirklich der wahre Grund für deine schlimmsten Alpträume? Genau diese Frage stellt sich...