Kapitel 48 - 26. Juli

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26. Juli

Eine Träne rann aus meinem Auge, in die Lachfalte darunter und dann meine Wange hinab. Mein Blick war auf das Bild in meinen Fingern gerichtet, worauf ein Spaghetti essender, einjähriger Kailyn zu sehen war. Erica hielt ihn hoch, in die Kamera, um seinen vollgekleckerten Overall zu zeigen, während der kleine Junge seine Finger im Mund stecken hatte.

Eine weitere Lachträne entkam mir, als Elle mir das nächste Foto in den Schoß legte. Sie erklärte, dass es der erste Urlaub gewesen war, den Erica jemals mit ihrem Neugeborenen gemacht hatte; sie waren auf Hawaii geflogen und Kailyn hatte sich im Flieger bis zur Halswirbelsäule vollgeschissen. 

Sie wollte gerade das nächste Bild aus dem Fotoalbum holen, als ich plötzlich aufschrie. Ich krallte mich an Dads Wohnzimmercouch fest, die andere Hand griff nach Elles Arm. Es war plötzlich ein Gefühl, wie wenn jemand meinen Unterlaib von innen aufsägen wolle.

Panisch warf mir Elle einen Blick zu. „Das Baby?!", rief sie, ihre Augen wurden größer. „Keine Ahnung, es tut nur höllisch weh", presste ich hervor, während das ziehende, brennende Gefühl in mir drinnen noch schlimmer wurde. 

Ich schloss die Augen, betete, dass es noch nicht soweit sein würde. Doch irgendwas in mir drin sagte mir, dass es genau jetzt soweit sein würde. Ich würde mein Baby genau an dem Wochenende bekommen, an dem wir für Elles und James' Hochzeit in Chicago waren.

„Kailyn! Beweg deinen väterlichen Arsch sofort hier her!", hörte ich Elles schrille Stimme, während sie meine Hand drückte. Ich kam mir vor wie in einem Delirium, als ein scharfer Stich von meinem Unterlaib in meinen Bauch fuhr. Ich schloss die Augen, biss mir auf die Lippe, um nicht aufzuwimmern. 

Wieder krallte ich meine Nägel in den Stoff des Sofas, als auf einmal alle Schmerzen weg waren.

Verwirrt öffnete ich die Augen, sah mich um. Elle starrte mich von rechts mit großen Augen an, Kailyn kniete besorgt vor mir, Dad kam gerade in den Raum gelaufen. Ich atmete aus, entspannte meine Muskeln. „Es hat wieder aufgehört", erklärte ich ganz ruhig. 

„Das sind Wehen! Wir müssen auf die Uhr schauen, in welchen Abständen sie kommen." Kailyn starrte auf seine Armbanduhr, dann sah er wieder mich an. „Bist du okay?", fragte er außer Puste.

Ich lachte auf, da es mir vorkam, als hätte er den Schmerz gerade mehr gefühlt, als ich, so fertig wie er aussah. „Alles wieder gut", lächelte ich und strich mit der Hand über meinen Bauch. Mittlerweile war er so dick, dass ich mir vorstellen konnte, ein ganzes Baby darin zu tragen.

-

Meine Stirn war schweißgebadet, genauso wie mein restlicher Körper. Der Krankenwagen - den mein Dad gerufen hatte, als die Wehen alle zehn Minuten gekommen waren und ich Angst gehabt hatte, ich würde vor Schmerzen gleich bewusstlos werden – kam mir in dieser Sekunde wie der einzige Platz vor, an dem ich sein wollte.

Kailyn hatte meine Hand nicht losgelassen, seitdem die Sanitäter mich mit aller Ruhe auf der Trage ins Auto geschoben hatten, weshalb unsere Finger jetzt schon abrutschten, aufgrund des vielen Schweißes. 

Ich hörte wie aus der Ferne, wie mein Freund immer wieder auf mich einredete, dass ich bei der nächsten Wehe seine Hand einfach so fest drücken sollte, wie ich konnte. Irgendwo im Hintergrund meckerte Elle, dass Kailyn noch nie Regelschmerzen gehabt hatte, und sich so nicht mal annähernd vorstellen konnte, was ich gerade durchmachte. Manchmal mischte sich auch noch Dads Stimme mit rein, der die beiden bat, mich nicht noch mehr aufzuwühlen, als ich sowieso schon war.

Das war also der Moment, auf den wir so lang gewartet hatten. Dieser Moment, in dem unser Baby entschieden hatte, auf die Welt zu kommen, war sowas von unpassend, aber auf die selbe Art auch irgendwie perfekt.

Ich verlass dich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt