Kapitel 15

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Als ich endlich das Tafelbild in mein Heft übertragen habe, beschließe ich mit dem Anschauen weiterzumachen. Jetzt ist Katharina an der Reihe. Sie habe ich ja schon als Fee gesehen, soll ich es trotzdem machen? Ja, lieber schon. Ich muss ja schließlich testen, ob sie sich immer in eine Fee verwandelt, oder ob das nur manchmal passiert.

Ich probiere es also aus. Ich schaue sie länger an und konzentriere mich. Und schon schießen ihr wieder diese zwei pinken Feenflügel aus dem Rücken und ich werde von dem Glitzer geblendet.

Jetzt habe ich also herausgefunden, dass es immer klappt. Perfekt. Die anderen schauen gelangweilt nach vorne zu Frau Bellys. Sie sehen Katharinas Flügel also nicht. Bei der Erkenntnis, dass nur ich solche Sachen sehe, kriege ich ein mulmiges Gefühl und auch meine Angst ist wieder da.

Ich mache bei Emma weiter. Bevor ich meine Magie herbeirufe, bin ich ziemlich aufgeregt. Letztes mal hat es bei ihr ja nicht geklappt und ich bin im Krankenzimmer aufgewacht. Aber ich kann mich ja nicht immer davor zurückhalten und muss mich meiner Angst stellen. Deshalb mache ich es einfach.

Zu meiner Überraschung wächst Emma eine Flosse. Sie ist also, genauso wie Noah, eine Meerjungfrau. Im Gegensatz zu ihm hat sie eine rote Schwanzflosse. Oben ist sie noch dunkelrot, ganz unten an der Spitze ist sie orange. Auch Emmas Haare sind plötzlich geöffnet und fallen ihr über die Schultern.

Insgesamt schaut sie wunderschön aus. Ich wäre auch so gerne eine Meerjungfrau. Aber andererseits will ich es auch nicht. Emma hat jetzt nämlich ein rotes Bikinioberteil an. In unserem Klassenzimmer ist es furchtbar kalt. Bestimmt friert sie schon. Aber eigentlich hat Emma das ja gar nicht an, nur ich sehe sie so, erinnere ich mich.

Als Emily mir einen seltsamen Blick zuwirft, schaue ich schnell wieder nach vorne. Dann aber schaue ich gleich wieder nach links, als Emily wieder nach vorne blickt. Jetzt ist Emma keine Meerjungfrau mehr. Sie sitzt wieder in ihrem roten Pullover da und zeichnet etwas an ihren Heftrand.

Jetzt ist Emily an der Reihe. Ich schaue zu ihr und rufe meine Magie  herbei. Doch das letzte, was ich sehe ist, wie Frau Bellys auf mich zu kommt. Sie sagt irgendetwas, was ich aber leider nicht verstehe. Dann wirft mich eine starke Energie auf den Boden. Das ist meine Magie. Wieso tut sie mir plötzlich weh? Ich schreie vor Schmerzen auf und dann wird mir schwarz vor den Augen.

Als ich aufwache, bin ich mal wieder  im Krankenzimmer. Wo denn sonst? Was war das schon wieder? Ich bin völlig verwirrt und mein Kopf tut höllisch weh. ,,Milan", krächze ich. Doch diesmal ist er nicht da. Ohne das ich es verhindern kann, laufen mir Tränen über die Wangen. Ich liege hier alleine im Krankenzimmer und schluchze.

Nach ein paar Minuten öffnet sich die Tür. Schnell wische ich mir meine Tränen weg. Es ist Milan. Bei seinem Anblick wird mir sofort warm ums Herz. Er lächelt und setzt sich zu mir. Vorsichtig wischt er mit seiner Hand meine restlichen Tränen weg. Er ist sooooo süß.

Gespräch zwischen Lili(L) und Milan(M):
M:Hi, ich konnte vorher nicht zu dir kommen weil Frau Bellys mich in den Unterricht gerufen hat.
L:Schon ok. Danke.
M:Ich muss dir jetzt einen Teil der Wahrheit erzählen. Es ist sehr verwirrend und mein Vater hat es mir eigentlich verboten. Bist du bereit.
L:Ja, danke, dass du das machst.
M:Eine Frage. Hast du Magie?
L:Ja ich glaube schon.
M:Welche?
L:Wenn ich Menschen länger anschaue sehe ich sie als Feen oder Meerjungfrauen. Dich sehe ich auch anders.
M:Oh Gott.
L:Was? Wieso schaust du so schokiert?
M:Erzähle ich dir später. Ich muss zu einem kleinen Einhorn nach Spanien. Morgen reise ich ab und bin dann für einen Monat weg. Kannst du mir was versprechen.
L:Es gibt Einhörner?!
M:Nicht so laut. Niemand darf uns hören. Kannst du mir jetzt was versprechen?
L:Äh, ja.
M:Verwende deine Magie diesen ganzen Monat nicht, wo ich weg bin.
L:Ok. Erzählst du mir danach alles?
M:Ja.

Ich setze mich auf und wir sitzen einfach nur da und schauen uns an. Dabei pocht mein Herz so laut, dass ich Angst habe, dass er es hören kann.

Dann steht er auf und sagt:,,Komm mit." Ich stehe auch auf. Er geht zu einem freien Tisch in der Cafeteria und setzt sich dorthin. Ich folge ihm und setzte mich dazu. Wir packen beide unser Pausenbrot aus und unterhalten uns noch ein bisschen. Aber nicht über Magie, sondern über Lehrer. Es macht mir furchtbaren Spaß mit ihm gemeinsam über Frau Bellys zu lästern.

Nach einer Weile vertraue ich ihm die Geschichte mit Clara an. Er hört mir die ganze Zeit zu und als ich sage, dass ich Angst habe, ihr und ihrer Familie könnte etwas passiert sein, versichert er mir, dass es ihnen gut geht. Obwohl ich genau weiß, dass er es ja garnicht wissen kann, glaube ich ihm.

Als es gongt und wir zum Klassenzimmer zurück gehen, geht es mir gleich besser. Es wird für mich ziemlich schwer werden, meine Magie jetzt einen Monat nicht benutzen zu dürfen, aber ich habe es Milan versprochen und werde es auch nicht tuen. Glücklich merke ich, wie ich mich schon daran gewöhnt habe, dass aus meinen Mitmenschen plötzlich Feen und Meerjungfrauen werden.

Den ganzen restlichen Schultag denke ich über das nach, was Milan gesagt hat. Er muss sich um ein kleines Einhorn kümmern. Ich könnte aufspringen vor Freude, dass es tatsächlich Einhörner gibt. Die ganze Zeit habe ich Bilder von Milan und Einhörnern in meinem Kopf.

Auch heute Nacht, als ich Moritz über sein weiches Fell streichele, träume ich davon.

Magie gibt's nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt