Kapitel 51

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Bevor ich länger überlegen und entscheiden kann, wie ich handeln soll, hebt Lina ihren Zauberstab und der helle Strahl, der daraus kommt, rast auf mich zu. Innerhalb von Milisekunden schieße ich auch mit meinem Zauberstab auf sie. Gerade bevor der Strahl der bösen Magie mich erreichen kann, schaffe ich es ihn zurück zu drängen.

In der Mitte zwischen Lina und mir entsteht wieder ein Feuerwerk ähnliches Gebilde. Mal wandert es eher in meine Richtung, mal kann ich es näher zu Lina drängen. Voller Angst schaue ich mich um, aber die anderen sind momentan auch im Kampf vertieft und können mir gerade nicht zur Hilfe eilen. Es ist furchtbar anstrengend so viel Magie loszulassen. Hoffentlich bin ich stärker als Lina.

,,Hör auf, Lina!", versuche ich meine Schwester zu stoppen. ,,Hör auf!", wiederhole ich noch einmal. ,,Nein.", stöhnt sie, beißt die Zähne zusammen und lässt noch mehr Magie auf mich los.

Ich wehre mich. Dabei merke ich, dass Linas Magie schwächer ist, als meine. Schon jetzt strengt sie sich an und saugt an den paar letzten Tropfen der Magie tief aus ihrem Inneren. Irgendwie finde ich das gut, aber auch irgendwie nicht. Es ist klar, dass ich gewinnen werde, genau das war auch mein Ziel und ich will nicht sterben, aber ich kann Lina nicht umbringen, ich kann es einfach nicht. Sie ist meine Schwester und ich kenne sie schon mein ganzes Leben lang. Mit Tränen in den Augen hole ich meine Magie ein bisschen zurück. Ich habe Lina sehr geschwächt, aber trotzdem kämpft sie noch gegen meine Magie an.

Sie merkt nicht, dass ich Mitleid mit ihr habe und nicht meine ganze Magie einsetzte. Sie merkt nicht, dass ich noch Kraft habe. Im Grunde genommen merkt sie gar nichts von meiner Nettigkeit und schaut mich hasserfüllt an. Sie wird nicht aufhören zu kämpfen, bis eine von uns stirbt. Ich will das natürlich nicht sein, aber obwohl sie mich einmal schon fast umgebracht hat, kann ich sie nicht verletzten. Weil ich keine Lösung finde, beschließe ich zu warten und den Kampf heraus zu zögern. Vielleicht finde ich ja doch noch ein kleines Stück Menschlichkeit in Lina und kann sie dazu bringen, aufzuhören auf mich zu schießen und auf meine Seite zu wechseln.

Also wehre ich mich weiterhin. In keinem Moment benutzte ich meine ganze Kraft, meine ganze Magie. Ich lasse immer nur ein Stück auf Lina los und versuche, dass das Feuerwerk, also die Stelle, wo unsere Magie aufeinander trifft, immer zwischen uns bleibt und sich meiner bösartigen Schwester keinesfalls nähert.

Wieso kann sie nicht so sein, wie ich? Wieso kann sie mich nicht genauso verschonen, wie ich sie gerade verschone? Ich könnte sie schon längst töten. Ich könnte sie schon vor ein paar Minuten getötet haben und genauso könnte ich auch genau jetzt, in diesem Augenblick mehr Magie auf sie loslassen. Oder, andere Frage, noch besser: Wieso ist Lina nicht wie Clara? Clara hat als meine beste Freundin einfach auf meine Seite gewechselt, obwohl sie eigentlich auf die andere gehört. Wenn das bei Clara aus Freundschaft geht, wieso geht es bei Lina nicht aus Geschwisterliebe?

Aber Lina ist nunmal weder Clara, noch ich, also bekämpft sie mich weiterhin. Ich mache nichts, außer mich zu wehren. ,,Ich bin stärker! Gib auf!", schreit Lina. Ich kann die Hoffnungslosigkeit in ihrer Stimme hören. Ich habe keine Ahnung, ob sie es weiß, aber ich bin mir sicher, dass ich die Stärkere von uns beiden bin, dass ich gewinnen werde und dass ich sie schon längst hätte töten können, aber ich will es nicht wahr haben. Natürlich ist mein Plan bei diesem Kampf am Leben zu bleiben, aber niemals will ich gewinnen, indem ich meine Schwester töte.

Eine halbe Stunde später stehen Lina und ich immernoch an der gleichen Stelle. Die Hexe stöhnt und strängt sich an. Bestimmt wird ihre Magie bald leer sein. Was ich dann mache, weiß ich nicht. Wenn ich Lina hätte töten wollen, dann hätte ich es schon längst getan und außerdem wäre dann das alles hier Zeit- und Magieverschwendung gewesen.

Um uns herum sterben viele Menschen und Tiere, denen ich vielleicht hätte helfen können, wenn ich nicht mehr mit Lina beschäftigt wäre. Mir kommt aber auch keiner zur Hilfe.

Ich schaue mich nach den anderen um. Milan und Alan sind von den Pferden und Einhörnern abgestiegen und kämpfen jeweils mit zwei Dolchen Rücken an Rücken. Die Reittiere haben sich selbstständig gemacht und sich einer Gruppe anderer Tiere, wie Esel, Kühe und Ziegen angeschlossen, welche hier ebenfslls gegeneinander kämpfen. Mit Schwung rennt eine blaugeflügeltes Ziege in eine Hexe rein und spießt diese mit ihren Hörnern auf. Ich schaue schnell weg. Zwar habe ich in den vergangen Wochen schon unzählige Morde gesehen und hier liegen überall Tote, aber trotzdem wird mir jedesmal bei diesem Anblick kotzübel.

Als ich mich weiter umschaue, entdecke ich Logan, der hinter einer Mauer geduckt ist und immer mal wieder mit seinem Bogen auf unsere Gegner schießt. Gerade erwischt ein Pfeil einen Werwolf mitten in das Herz. Nur mit diesem einzigen Schuss ist der Werwolf tot und der hundeähnliche Körper verwandelt sich wieder in einen menschlichen, bevor er zu Boden fällt. Logan grinst mich stolz an. Ich lächele nur leicht zurück, dann inspiziere ich mein Umfeld weiter.

Katharina ist mit einer Gruppe Feen unterwegs, welche eine Hexe nach der anderen mit ihren Zauberstäben abknallen. In Katharinas Gesicht zeichnet sich pure Wut, aber auch Angst ab. Ich weiß, dass sie die ganze Zeit an Finn denkt.

Plötzlich schaut Milan kurz zu mir, was er wahrscheinlich öfter tun, um abzusichern, dass es mir gut geht. In seinen Augen liegt Verständnis. Verständnis darum, dass ich mich nicht dazu überwinden kann, Lina zu töten. Es ist allein meine Entscheidung, was mit ihr passiert. Wenn ich will, dass wir sie verschonen, werden auch alle anderen sie in Ruhe lassen. Das macht es aber auch nicht leichter, denn egal wie großzügig ich sein werde, sie wird immer noch scharf darauf sein, mich umzubringen.

,,Lina, wenn du aufhörst, dann höre ich auch auf. Aber nur, wenn du auf die Seite der guten Magie wechselst.", schlage ich vor. Sie antwortet: ,,Okay." und wir senken beide unsere Zauberstäbe. Ich hätte echt nicht gedacht, dass das so einfach geht. Das kann doch ein gar nicht sein. Hier muss irgendwas nicht stimmen. Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl.

Während alle anderen um uns herum noch kämpfen, schauen Lina und ich uns für einen Moment einfach nur an. Plötzlich breitet sich auf ihrem Gesicht ein gemeines und hinterlistiges Grinsen aus. Jetzt ist es sicher, hier stimmt auf jeden Fall etwas nicht. Was hat sie nur vor? ,,Du bist die dümmste Königin, die es hätte geben können.", sagt Lina und schießt mit ihrer dunklen Magie auf Milan.

Ich will schreien und ihn warnen, doch die Worte bleiben mir im Hals stecken. Milan, der mit dem Rücken zu uns stand, hat nichts kommen sehen und der Strahl trifft direkt auf ihn. Linas Magie, welche auf ihn prallt, ist voller Kraft. Die ganze Zeit hat sie mich reingelegt! Sie hat nur so getan, als ob sie erschöpft ist und ich war noch so dumm und habe es ihr die ganze Zeit geglaubt.

Sofort schieße ich auf Lina. Vielleicht ist Milan noch zu retten. Ich hoffe es. Meine Schwester wendet ihren Zauberstab von ihm ab und wehrt sich wieder gegen mich. Trotzdem aber hat ihre Magie Milan aus dem Gefecht gesetzt. Erheblich geschwächt fällt er auf den Boden, bleibt liegen und rührt sich nicht mehr. Ist er tot? Das darf nicht sein! Sein Herz muss einfach noch schlagen.

Angetrieben von Wut und Trauer schieße ich auf Lina. Diesmal ist sie wirklich schwächer als ich. Schon nach wenigen Minuten dringt meine Magie zu ihr durch. Sie schreit aufgrund der Schmerzen, die ich ihr verursache, doch ich gebe nicht nach. Das sie meine Schwester ist, ist jetzt vollkommen egal. Es zählt nur noch, dass sie Milan umgebracht hat und deshalb werde ich auch sie töten. Nach einer Weile lässt sie ihren Zauberstab fallen und schreit immer lauter. Noch etwas später sackt sie am Boden zusammen. Ihr toter Körper bleibt auf einer unnatürlichen Weise liegen.

Sofort stürme ich zu Milan.

Magie gibt's nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt