Perdóname

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Am nächsten Morgen schlug ich langsam meine Augen auf und starrte gedankenverloren zur Decke des Raumes. Dann sah ich rüber zu Rio, der immernoch die Arme um mich geschlungen hatte und schlief. Ich griff vorsichtig nach seinen Händen und nahm sie von meinem Körper. Dann stand ich langsam auf und versuchte Rio nicht dabei aufzuwecken während ich mir meine Waffe nahm, sie an meinen Gurt steckte und mich dann in Richtung der Türe schlich.
Bevor ich den Raum verließ warf ich nochmal einen Blick zu Rio. Es würde ihn sicher verletzen, wenn er bemerkt dass ich nicht mehr da bin. Aber ich konnte nicht bleiben. Irgend etwas in mir hielt mich davon ab mich vollkommen auf ihn einzulassen, auch wenn ich es mir nichts sehnlicher wünschte als jeden Morgen neben ihm aufzuwachen. Konnte ich das schon Liebe nennen, wenn ich es doch schon aufgab noch bevor ich es überhaupt probiert hatten? Ich war hin und her gerissen zu gehen während ich mir so Rios friedliches Gesicht ansah.
Ich wollte ihn nicht verletzen und trotz allem war es viel zu gefährlich hier und jetzt eine Romanze mit ihm zu beginnen. Also ging ich.
Ich war gerade auf dem Weg nach unten ins Foyer. Unterwegs traf ich auf Nairobi, die gerade aus ihrer Schicht kam und wohlmöglich schlafen gehen wollte. Doch ich fiel ihr in die Arme, vergrub mein Gesicht in ihrer Schulter und begann zu murren. „Hey...was ist denn passiert?" fragte sie mich umgehend und strich mir unterdessen liebevoll über den Rücken.
„Mein Herz tut weh Nairobi. Es tut so weh.." wimmerte ich leise.
Ich war hoffnungslos verliebt. Das wurde mir in genau diesem Moment klar.
Keine Sekunde verging, in der ich nicht an Rio dachte. Seine nougatfarbenen, glänzenden Augen, sein ansteckendes Lächeln, die dunkelblonden Locken, seine muskulösen Arme, die romantische Ader die er hatte und wie wir die letzte Nacht miteinander verbrachten.. einfach alles schwirrte mir im Kopf herum. Als wäre mein Gehirn über Nacht in einen Wirbelsturm geraten, drehte sich meine Welt plötzlich nur noch um ihn. Ich musste die Kontrolle über meine Gedanken wieder in den Griff bekommen. Ich war nicht mehr ich selbst.
Nairobi sah mich fragend an. In ihrem Blick erkannte ich die unaufhaltbare Müdigkeit neben ihrer Verwirrung und wollte keine Zeit verschwenden.
„Ich glaub ich hab mich verliebt Nairobi. Bitte, lass mich mich einer Gehirnwäsche unterziehen damit es wieder weg geht, mein Kopf platzt gleich wenn nicht vorher mein Herz explodiert." Sie schüttelte lachend den Kopf und hob mein Kinn an, sodass ich ihr direkt ins Gesicht blickte.
„Ich hab dich zwar lange nicht mehr gesehen Schwesterchen, aber ich bemerke noch vor dir wenn du dich in jemanden verliebst. Es ist Rio nicht wahr ?" fragte sie mich dann mit beruhigender Stimme. Ich atmete tief ein, dann schluckte ich schwer und nickte verlegen. „Ich denke so ist es. Ja..."
„Ach Schätzchen.. Lieben ist nicht einfach. Dazu gehört auch ne ordentliche Portion Mut. Und du bist mutig, auch wenn du mir das nicht glauben magst. Und auch Rio ist mutig wenn er bei dir ist. Du hast eine Art positive Energie auf ihn...Mit Tokio war es nie so. Sie hat ihn immer nur dazu gebracht ihrem eigenen Willen zu folgen. Und sein Blick erst als du hier aufgetaucht bist, den hättest du mal sehen sollen, ihm sind fast die Augäpfel rausgefallen. Ich glaube du bist Rios fehlendes Puzzleteil Kairo. So schaut man niemanden an den man nur mal kurz wegflanken möchte" sagte sie mir lachend, blickte mir ermutigend zu und gab mir einen Kuss auf die Wange. Dann verabschiedete sie sich in den Schlafsaal und ich ging weiter nach unten. Sollte ich also auf sie hören und all meinen Mut zusammen kratzen und es mit ihm versuchen, egal was Tokio oder Denver dachten? Der Gedanke an Denver war wie ein Stich mitten in mein Herz. Ich konnte ihn doch nicht einfach so hintergehen.. Er hatte mir doch das Leben gerettet. Und auf irgend eine Art zog er mich ebebfalls magisch an.
Ich schloss meine Augen für einen Moment. Es war als würden Engel und Teufel auf meiner Schulter miteinander diskutieren. Immer wieder, hin und her.
Und zwischen all den Gedanken sprangen mir andauernd im Wechsel Rios und Denvers Gesichter vor Augen. Wie konnte das sein? Ich werd wohl verrückt.
Hätten die Beiden doch bloß nie gesagt was sie über mich dachten. Hätten sie doch nur nichts gesagt...Dieser Kampf in meinem Kopf zeriss mich nahezu.
Ich konnte das nicht.

Im Foyer angekommen löste ich Stockholm und Helsinki vom Dienst ab. Helsi erkundigte sich noch kurz nach meinem Wohlergehen, bevor er dann Stockholm nach oben folgte um sich etwas auszuruhen. Ich patroulierte wie gewohnt zwischen den Geiseln auf und ab. Den Blickkontakt mit Gandía vermied ich weitestgehend, auch wenn ich hin und wieder nachsehen musste ob er noch an Ort und Stelle war, selbst wenn dabei ständig die Erinnerungen an die Entführung zurück in meinen Kopf sprangen. Ich schüttelte die Gedanken ab, doch sie kamen dennoch immer wieder zurück in mein Gedächtnis.
Während ich erneut in meinen Gedanken versank, legte mir jemand von hinten die Hand auf die Schulter. Schreckhaft drehte ich mich um und zielte mit meiner Waffe auf ihn, doch es war nur Rio. Klar ich hatte ja nicht alleine Dienst...
„Tut mir leid" meinte ich kaltherzig und nahm die Waffe wieder runter, dann drehte ich mich wieder um und starrte in die Leere. Verdammt was mache ich denn jetzt? Mein ganzer Körper begann wieder zu kribbeln, als würden mir gleich die Knie zusammenklappen. Doch trotz allem begannen die Tränen langsam meine Augen zu füllen. Ich musste das jetzt in die Hand nehmen.
„Warum bist du einfach gegangen?" fragte Rio mich und versuchte mir dabei ins Gesicht zu sehen. Das was ich jetzt tun musste brach mir zwar das Herz, doch es war meiner Meinung nach das Beste um diesen Überfall zu überstehen.
„Ich bleibe nie lange.." log ich ihn an und riss mich dabei zusammen um hart zu ihm zu bleiben. Ich durfte ihm nicht in die Augen sehen, er würde es sofort bemerken dass ich ihn anlog. „Aber...Warum bist du denn jetzt aufeinmal so ? Heute Nacht war doch noch alles perfekt?" Er sah nun mehr und mehr verwundert über meine seltsame Reaktion auf mein Profil. Verdammt Rio, sieh mich nicht so an. Bitte sieh mich nicht so an. Ich musste standhaft bleiben, versuchen meine Tränen zurück zu halten. „Tut mir leid Rio ich glaube du machst dir zu viele Hoffnungen. Wenn ich nicht Ich wäre und du wärst jemand anders... dann hätte das vielleicht eine Chance..aber so ist das nicht Rio. Das mit uns wird nicht funktionieren." Ich wollte seine Antwort nicht hören also ging ich einfach zur Toilette, ohne ihm auch nur einmal ins Gesicht zu sehen.
Dort lehnte ich mich erst einmal an eine der Kabinen und ließ mehrmals meinen Kopf gegen die hölzerne Tür prallen, ehe ich die Hände über meinem Kopf zusammen schlug und einen leisen schrei von mir ließ.
Liebe war Krieg. Kalter, erbarmungsloser Krieg. Und wenn man sich dessen nicht stellte musste man eben spüren wie man langsam aber sicher verliert.
Und genau so erging es jetzt mir. Jedes Mal wenn ich in Rios Augen sehen musste war ich meinem persönlichen Krieg ausgesetzt.

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