Große Träume

653 26 16
                                    

Ich band mir die Schnürsenkel meiner Stiefel, zupfte mir meinen Overall zurecht und warf mir den Gurt mit meiner Waffe über die Schulter. Dann verließ ich den Raum und machte mich auf den Weg in die Eingangshalle der Bank. Von der Treppe aus erhaschte ich bereits einen Blick auf den Großteil unserer Gruppe. Es waren alle anwesend außer Tokio und Palermo und sie saßen alle im Kreis auf dem Boden, in ihrer Mitte einige Kerzen und Snacks. Was taten sie da? Sollte das so eine Art Geisterbeschwörung werden? Ich lief langsam die Treppe nach unten und ging dann zu ihnen. Die Geiseln schliefen friedlich in einem kleinen Nebenraum. Nairobi tätschelte hastig den Boden neben sich sobald sie mich sah und grinste mir dabei breit entgegen. „Komm schon, setz dich zu uns Schätzchen!" quiekte sie fröhlich. So war mir meine Schwester am liebsten, die lebenslustige Nairobi. Ich legte ihr liebevoll eine Hand auf die Schulter, nahm dann neben ihr Platz auf dem Boden und verschränkte meine Beine.
„Was macht ihr denn hier?" fragte ich skeptisch in die Runde.
„Wir quatschen nur ein bisschen" antwortete mir Stockholm mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Sie war auf einmal durchaus freundlich zu mir, wohlmöglich hatte sie ihre Meinung über mich geändert. Alles schien so friedlich, jeder war glücklich, sie lachten ausgelassen über ihre Geschichten und zum ersten Mal seit ich hier war war die Welt schlichtweg in Ordnung.
„Lasst uns doch alle über unsere Pläne für die Zukunft reden oder nicht? Was habt ihr vor zu tun nach dem ganzen hier?" ließ Bogotá in die Runde verlauten und streichelte dann sanft über Nairobis Schenkel. Nairobis Augen begannen dabei direkt zu funkeln. Hach, die Beiden waren so niedlich miteinander.
„Klasse Idee" meinte sie dann euphorisch, nahm eine der Wasserflaschen, legte sie in die Mitte des Kreises und begann sie auf dem Boden zu drehen.
Der Flaschenhals blieb nach einigen Runden bei Stockholm stehen, welche ohne nachzudenken lächelnd in die Runde blickte. „Ich werde mit meinem Sohn nach Skandinavien gehen, Norwegen oder sowas in der Art. Somit wären wir in Reichweite seines Vaters, damit er ihn auch kennenlernen kann. Und dann werd ich ihn auf eine Privatschule schicken um ihm eine vielversprechende Zukunft zu ermöglichen. Ich will dass er etwas in seinem Leben erreichen kann. Vielleicht wird er ja mal ein Arzt oder ein Anwalt." Beim Gedanken, dass Cincinatti seinen Vater Arturo kennenlernen sollte verzog sich Denvers Miene ein wenig. Doch er wusste genau, dass es alleine Stockholms Entscheidung war, was Cincinatti tun und lassen sollte und mit wem er Kontakt haben durfte und mit wem nicht. Denver war schließlich nicht sein leiblicher Vater sondern Arturo, was nicht zu bedeuten hatte dass das besser sei. „Du darfst ihn natürlich auch weiterhin besuchen kommen Denver" fuhr Stockholm mit einem zaghaften Lächeln fort und nickte ihm dann zu. Sie hatten wohl auch ihr Kriegsbeil begraben.
Dann drehte sie die Flasche erneut und diesmal hielt der Hals bei Rio. Er biss nachdenklich auf seiner Backe herum und sah dann zu mir. „Ich würde diesmal gerne auf eine Insel der Malediven verschwinden, mir dort die Sonne auf den Nacken scheinen lassen, jeden Tag frisches Kokoswasser am Meer trinken und Abends dann beim Sonnenuntergang spazieren gehen. Ich brauche nicht viel um zu überleben, nur ganz alleine wäre ich nicht so gerne dort...Naja irgendwann möchte ich schließlich auch mal eine kleine Familie haben und nicht alleine sterben.." Er ließ seinen Blick sinken, noch immer gekränkt von meiner Abfuhr, drehte dann aber erneut die Flasche. Es war ein schöner Gedanke mit ihm für den Rest unseres Lebens auf einer einsamen Insel zu verbringen, doch leider war ich mir nicht sicher ob es auch wirklich dazu kommen würde. Die Flasche drehte sich und drehte sich, dann hielt sie bei Nairobi, welche sich übermütig vor Freude in die Hände klatschte. „Also ich will diesmal nicht mehr nur zu Zweit unterwegs sein, auch wenn die Zeit zu Zweit unvergesslich schön mit dir war Helsi" sagte sie breit grinsend und Helsinki warf ihr einen Handkuss zu, was den Rest der Truppe zum lachen bewegte. „Ich träume von einem großen Haus in der Französischen Provence, umgeben von duftenden Lavendelfeldern. Und dort werde ich zusammen mit Helsi, Bogotá und natürlich mit meiner Schwester und meinem kleinen Sohn auf der Terasse sitzen und wir werden in Erinnerungen an genau diesen Moment hier schwelgen, glücklich darüber dass alles so abgelaufen ist wie wir es uns vorgestellt haben. Ohne Probleme und ohne Geldsorgen. Wir werden einfach nur jeden Tag zufrieden zusammen verbringen wie eine große glückliche Familie. Und ihr alle werdet natürlich auch immer Willkommen bei uns sein, denn ihr gehört auch dazu." Sie legte sich die Hand ans Herz und begann emotional zu werden. „Das wünsche ich mir wirklich von ganzem Herzen Leute..." fügte sie dann noch hinzu und wischte sich eine Glücksträne aus dem Gesicht. Ich legte ihr meinen Arm um die Schulter und Bogotá kniff ihr lächelnd in die Wange. „Ich würde es ganz genauso machen wie du" stimmte ich ihr strahlend zu. Das war tatsächlich eine unglaublich schöne Vorstellung. Wir alle zusammen, für immer. Und keiner konnte uns mehr etwas anhaben. Nairobi nahm die Flasche, drehte sie wieder und sie blieb in Denvers Richtung stehen. Er nahm sie in die Hand und grinste mir verschmitzt zu. „Ich würde gerne nach Südamerika. Dort gibt es so unglaublich viele schöne Ecken. Ich will einfach die Welt erkunden und irgendwann würde ich mich dann gerne in einem verschlafenem Dörfchen niederlassen und meine eigene Familie gründen. Mit Hund und Garten und so weiter..Und dann werden ich und meine Zukünftige jedes Jahr nach Norwegen und nach Frankreich in den Urlaub fahren um euch alle besuchen zu gehen. Cincinatti könnte jeden Sommer bei uns verbringen. Das wäre mein allergrößter Traum."  Er blickte mir tief in die Augen und nickte mir zu. Er hatte wohl ebenfalls die Vorstellung mit mir fort zu gehen, genau wie Rio. Auch sein Vorhaben klang wirklich wunderschön. Ich malte mir die einzelnen Szenarien in meinem Kopf aus. Doch tief in mir drin wusste ich, dass ich mich entscheiden musste. Es konnte jeden Tag aufs neue plötzlich vorbei sein, hier in der Bank, und dann musste mein Plan stehen wohin ich gehen wollte. Denver legte die Flasche wieder in die Mitte und drehte sie schwungvoll. Selbstverständlich hielt sie genau vor meinen Beinen. Mein Blick wanderte zwischen den erwartungsvollen Gesichter von Rio und Denver hin und her, dann zu Nairobi. „Wie schon gesagt, ich finde Nairobis Plan ziemlich ansprechend..." sagte ich und begann verlegen auf die Flasche zu starren. Bitte lasst sie einfach keine weiteren Fragen stellen. Ich wurde leicht nervös. „Könnte ich dann vielleicht auch mit euch mitkommen Nairobi?" fragte Rio auf einmal und mein Herz blieb fast stehen, ehe mein Kopf vor Schreck wieder nach oben schnellte. Meine Augen huschten unsicher zu Rio, dann wieder zu Denver. Letzterer sah mich ebenfalls an, dann Rio. Er hob nachdenklich seine Augenbraue und ich konnte förmlich spüren wie es in ihm zu brodeln begann. Sein Temperament begann schon wieder Feuer zu fangen. Und ehe ich mich versah war sie dahin, die gerade noch so friedliche Stimmung zwischen uns allen. „Wieso solltest denn gerade du mit ihnen mit gehen du Vogel?" zischte Denver mit fragendem und zugleich zornigem Blick in Rios Richtung. Na ganz toll.

La Casa de Papel  IVWo Geschichten leben. Entdecke jetzt