Gespenster im Kopf

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Ich atmete einmal tief durch. Reiß dich gefälligst zusammen Kairo!
Dann ging ich langsam zurück ins Foyer. Rio saß niedergeschlagen auf einer der Bänke und beobachtete mit trübem Blick die Geiseln. Es tat so unglaublich weh ihn so zu sehen, aber es musste einfach sein. Ich entschloss mich dazu auf die andere Seite des Empfangssaales zu gehen. Ich musste den Gesprächen mit Rio so gut es möglich war aus dem Weg gehen. Auch wenn es mich eigentlich innerlich zerfraß, tat ich so als würde es mich nicht kümmern wie es ihm geht.
So war das eben. Die Stärkeren hatten schon immer die besseren Überlebenschancen als die Schwächeren. Und wenn wir zuließen, dass die Liebe uns die Sinne vernebelt, wurden wir zu den Schwächeren und das durfte nicht sein. Ich konnte Rios Blick förmlich auf mir spüren. Er sah immer wieder zu mir rüber. Und ich wich seinen Blicken aus wie ein Feigling. Das war es, was Nairobi gemeint hatte, dass man in der Liebe Mut beweisen musste. Aber sie war im Unrecht. Ich war ganz und gar nicht mutig. Eine ganze Weile blieb ich in dieser angespannten Situation gefangen, bis dann Palermo die Treppe herunter kam. Wenig später hatten sich alle im Foyer versammelt. Er hatte uns wohl zu einer Art Krisensitzung zusammen getrommelt. Palermo klatschte zwei Mal laut in die Hände, ging wieder ein paar Stufen nach oben und sah dann überlegend zu uns herunter. „Meine Damen und Herren... wir haben erneut ein kleines Problem!"
Mein fragender Blick wanderte durch den Raum, rüber zu Nairobi. Sie zuckte nur nichtsahnend mit ihren Schultern und wir sahen beide wieder zu Palermo auf. „Unsere Freundin Alicia und ihr Gefolge haben sich wohl so eben ihren nächsten großen Clou aus den Fingern gesogen" teilte er uns mit, biss dann nervös mit geschlossenen Augen an seinem Zeigefinger herum und dachte nach.
„Sie haben uns eine Falle gestellt. Draußen auf dem Vorplatz der Bank haben sie ein Diktiergerät hingelegt. Scheinbar ist darauf Lissabons Geständnis verzeichnet. Sierra behauptet Lissabon hätte auch Teile unseres Planes ausgeplaudert um lieber ihre kleine Tochter Paula wieder zu sehen. Sie bietet uns an, dass einer von uns das Diktiergerät holen darf, wenn wir ihr im Gegenzug 10 Geiseln mit nach draußen bringen. Der Professor ist sich nicht sicher ob er ihr glauben schenken soll, dennoch möchte er lieber einmal mehr auf Nummer sicher gehen. Kurz und knapp. Wir brauchen einen Mutigen der da raus geht und sich dieses verdammte Diktiergerät schnappt."
Er presste die Lippen fest zusammen und sah dann spöttisch in die Runde „Irgendwelche Freiwilligen vielleicht?"
„Geh du doch!" rief Denver aus einer Ecke und begann den Kopf zu schütteln.
„Ich geh da jedenfalls nicht raus. Das ist ein klares Todesurteil. Also nein."
Die anderen stimmten ihm nicken zu. Alle außer Tokio.
„Wieso geht nicht Kairo? Ich meine die kennen sie kaum, sie hat keine Vorstrafen... Die würden doch niemanden einfach so abknallen der eine weiße Weste vorzuweisen hat oder ?" sagte sie und sowohl Rio als auch Denver, Nairobi und ich sahen sie vorwurfsvoll an. „Du hast sie doch nicht mehr alle Tokio" sagte Rio und sah erneut zu mir rüber. Diesmal trafen sich unsere Blicke. Er war immernoch auf meiner Seite, obwohl ich ihn so verletzt hatte. Ach Rio. Dann meldete sich plötzlich der Professor über das In Ear in Palermos Ohr und dieser wiederholte dessen Worte. „Doch, doch... Tokio hat recht. Kairo ist hier als Köder hineingeraten, sie können sie nicht einfach so vor all den Zivilisten hinrichten wenn sie doch garnichts getan hat. Du sollst es tun Kairo!"
Mein beängstigter Blick wanderte von Denver zu Rio und von ihm zu Nairobi. „Euch hat doch jemand ins Hirn geschissen!" rief Rio und ging mit vor Kopf gehaltener Hand einige Schritte davon. „Riolein, du hast doch nicht etwa angst um deine neue kleine Freundin oder? Aber vielleicht bist du dir ja garnicht so sicher ob ihre Weste so weiß ist wie wir das alle denken?" schrie Tokio ihm missachtend hinterher und Rio schüttelte nur genervt mit dem Kopf.
Denver ging zu mir rüber und legte seinen Arm schützend über meine Schulter. „Also ich halte das auch für gar keine gute Idee Palermo..."
Stockholm verdrehte daraufhin nur ihre Augen und ging ebenfalls davon. Nairobi schüttelte nun nur noch ununterbrochen mit dem Kopf.
„Doch, ich machs" sagte ich dann leise, zum entsetzten aller. Dann schlüpfte ich unter Denvers Armen hervor, ehe ich auf Palermo zu ging. „Welch positive Überraschung Kairo! Danke für deine professionelle Arbeitshaltung. Ich bin wahrlich begeistert" meinte er fast schon singend bevor er mir ein In Ear in die Hand drückte. „Damit kannst du mit dem Professor kommunizieren. Du musst ihm genau sagen was da um dich herum passiert meine Liebe. Und dann folgst du einfach seinen Anweisungen. Verstanden ?" Ich nickte knapp, befestigte das In Ear in meinem Ohr, drückte Helsinki Denver und Nairobi nochmal fest und sah dann ein letztes Mal zu Rio rüber, direkt in seine Augen. Unterdessen hatte Palermo sich die Geiseln zur Befreiung herausgepickt und sie vor dem Tor aufgereiht. Ich atmete noch einmal tief ein und dann wieder aus.
Dann drückte Palermo auch schon den Knopf zum öffnen der Tür.
Zusammen mit den Geiseln, welche alle im Gegensatz zu mir die Dali Masken trugen, ging ich nach darußen auf den Vorplatz der Bank. Das Diktiergerät, welches am Boden lag, hatte ich ständig im Blick. Voll konzentriert lief ich darauf zu während die Geiseln nach und nach hinter den Absperrungen der Polizei verschwanden. „Kairo, kannst du das Diktiergerät sehen?" erklang die ruhige Stimme des Professors in meinem Ohr. „Positiv Professor."
„Dann geh jetzt langsam, mit erhobenen Händen darauf zu. Mach ihnen klar dass du unbewaffnet bist Kairo. Das ist extrem wichtig. Sie haben so nicht die Erlaubnis auf dich zu feuern, also nimm deine Hände nach oben."
Ich tat was er mir sagte, ging in die Hocke um dann das Gerät langsam vom Boden aufzuheben, unter ständiger Beobachtung meiner Gruppe in der Bank und der etlichen Polizisten direkt vor mir. „Ich hab es Professor" teilte ich ihm erleichtert mit und hielt das Diktiergerät fest in meinen Händen.
„Sehr gut Kairo, ich bin sehr stolz auf dich. Jetzt geh langsam zurück in die Bank. Keine hastigen Bewegungen." Wieder tat ich was er mir sagte.
Dann warfen die Polizisten irgend etwas, was neben meinen Füßen landete und dann beim gehen unter ihnen hindurch rollte. „Professor.." sagte ich verunsichert und betrachtete die Geschosse am Boden, welche im selben Moment in dunklen übel riechenden Rauch aufgingen. Rauchbomben.
„Kairo was ist da los?" fragte der Professor unruhig doch ich versuchte mich zu konzentrieren und zurück zur Bank zu laufen. Der Rauch verhinderte mir die Sicht. „Ich kann nichts mehr sehen" hustete ich verzweifelt und schlug mit den Armen um mich. Dann packte mich jemand. Ich schrie panisch auf, woraufhin derjenige mir den Mund zu hielt, mir das In Ear aus meinem Ohr riss und es zu Boden warf. Ich war im Arsch.

In der Bank wurde es unruhig als sie den Rauch aufsteigen sahen und den Blickkontakt zu mir verloren. „Professor? Professor was ist da draußen los?" rief Palermo immer wieder. „Wir haben den Kontakt verloren" teilte dieser Palermo dann missmutig mit. Palermo betätigte umgehend den Knopf zum schließen der Tore. „Das kann nicht sein, jemand muss da raus und sie holen!" knurrte Denver ihn an und versuchte das Tor wieder zu öffnen. „Niemand geht mehr da raus.." zischte Palermo zurück und hielt Denver die Waffe entgegen, welche diese nur wuterfüllt von sich schlug und nachdenklich davon stampfte.
Das wars dann wohl, dachten alle. Und während meine Schwester und die Anderen zum wiederholten Mal dachten sie hätten mich verloren und nicht mehr wussten wie sie weitermachen sollten, wurde ich in Handschellen ins Zelt der Guardia Civil abgeführt, ohne zu Ahnen wie es weitergehen würde.
Das war ihr Plan gewesen. Genau wie bei Lissabons gespielter Hinrichtung wollten sie der Gruppe wieder ein Gespenst in den Kopf setzen, um sie erneut aus dem Konzept zu bringen. Somit konnte die Polizei um Alicia Sierra in aller Ruhe ihren nächsten Schachzug planen.

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