Nicht das Ende

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Da saß ich nun Mutterseelenallein zwischen Mülltonnen und Dreck und wusste nicht was ich tun sollte. Der Stress der letzten Stunde ließ langsam von mir ab. Ich presste verzweifelt meinen Kopf gegen die Wand und begann zu weinen. Meine Hände begannen so unglaublich zu schmerzen, jetzt wo das ganze Adrenalin sich zu abbauen begann. Was sollte ich jetzt nur tun? Wo sollte ich bloß hin? Es würde bald dunkel werden und ich war ganz alleine auf den Straßen Madrids. Noch dazu suchte die gesamte Spanische Polizei nach mir und den Anderen. Große Klasse.
Ich wagte einen Blick auf meinen Verletzungen. Das Blut war mittlerweile angetrocknet, allein die großen Glasscherben die immernoch in meiner Haut steckten verhinderten wohl das ich verblutete. Alleine würde ich das nie schaffen. Ich brauchte dringend so schnell wie möglich einen Arzt wenn ich keine Infektion riskieren wollte. Beim Gedanken daran war mir nur noch mehr zum Heulen zumute. Entweder ich würde ein Krankenhaus aufauchen und würde kurz darauf festgenommen werden, oder ich verende elendig in der Gosse. Klasse Entscheidungsmöglichkeiten. Im Hintergrund erklangen Sirenen und das getöse von Hubschraubern die die Stadt absuchten.
Ich saß in der Falle.

Also ließ ich einfach etwas Zeit vergehen und versuchte wieder etwas zu Kräften zu kommen, ehe ich mir Gedanken über mein weiteres Leben machen würde.

Das dumpfe ertönen von schnellen Schritten ließ mich aus einem Nickerchen erwachen. Voller Erschöpfung war ich wohl eingeschlafen. Etwas hektisch spähte ich zwischen den Mülltonnen hindurch und versuchte mich noch besser zu verstecken als ich eine dunkle Silhouette an mir vorbei laufen sah. „Scheiße!" zischte eine tiefe männliche Stimme und die Person trat wutentbrannt gegen eine der Mülltonnen wobei mir vor Schreck ein leiser Schrei entfuhr. Instinktiv hielt ich mir selbst den Mund zu und presste mir dabei versehentlich eine der Scherben tiefer ins Fleisch. Verdammt tat das weh. Schmerzerfüllt kniff ich meine Augen zusammen. „Kairo? Oh Gott ich dachte die hätten dich geschnappt" hörte ich eine Stimme sagen. Ich riss die Augen wieder auf und vor mir stand Rio, welcher mir in diesem Moment wie ein erlösender Engel erschien. Glücklich sprang ich vom Boden auf und schlang meine Arme um ihn. „Rio ich dachte du würdest mich nicht mehr finden... ich hatte solche Angst" flüsterte ich ihm zu während mir erneut Tränen über die Wangen kullerten. „Schon gut, ich bin ja da.." antwortete er mir mit sanfter Stimme und streichelte mir beruhigend über meinen Hinterkopf. „Komm schon wir müssen hier weg, auf den Straßen ist die Hölle los.. die Suchtrupps sind quasi überall" sagte er während er sein Kinn auf meinem Kopf abstützte. Ich nickte ihm zustimmend zu und er griff vorsichtig meine Handgelenke. „Wie geht es deinen Händen?" fragte er dann besorgt und begutachtete die Verletzungen. „Die werden schon wieder" versuchte ich die Situation herunter zu spielen. Doch ich wusste ehrlich gesagt nicht ob meine Hände wirklich wieder werden würden, denn langsam hatte ich kein Gefühl mehr in den Fingerspitzen meiner stärker verletzten Hand. Rio schnaubte kurz als er meine Unsicherheit vernahm, dann ging er wortlos los und ich trottete hinter ihm her.

Wir gingen eilig durch die langsam dunkler werdenden Gassen Madrids, versteckten uns hin und wieder vor patroulierenden Polizisten und kamen irgendwann in einem abgelegenen Viertel der Stadt an. Die kühle Abendluft wehte mir durchs Haar und ich spürte wie sich die Gänsehaut über meine Arme zog, während Rio nach irgend etwas zu suchen schien. „Es müsste hier irgendwo sein..." nuschelte er konzentriert vor sich hin während er den Papiermüll eines Hauses durchwühlte. „Was soll hier sein?" fragte ich ihn verwirrt und beobachtete die Situation skeptisch. „Ein Satellitentelefon. Der Professor hat welche an mehreren Orten der Stadt für uns verstecken lassen.. aber ich kann es einfach nicht finden." Natürlich. Solangsam wurde mir klar, dass selbst dieser Plan doch ausgeklügelter war als er mir im ersten Moment erschien. Entschlossen begann ich damit den Müll mit meinen Füßen zu durchstöbern um meine Hände nicht weiter zu strapazieren, doch es war nichts zu finden. Dann fiel mir ein Stapel Zeitungen auf, welcher im Vorgarten eines der verlassenen Wohngebäude lag und ich schubste ihn vorsichtig mit der Seite meines Fußes um. „Hier ist es Rio!" rief ich ihm leise zu und er kam sofort zu mir rüber. „Du bist meine Heldin!" Er hob das Telefon vom Boden auf und presste mir glücklich einen Kuss auf die Stirn, ehe er eine Nummer zu wählen begann. Ohne auch nur ein Wort zu sagen legte er wieder auf und steckte das Telefon in seine Hosentasche. „Uns wird gleich jemand abholen kommen" meinte er dann und setzte sich erstmal erschöpft auf den Boden.

Schweigend warteten wir einige Minuten, bis ein schwarzer Van mit getönten Scheiben vorfuhr. „Das ist er" quiekte Rio erleichtert und sprang umgehend vom Boden auf. Er ging voraus und öffnete mir die hintere Tür des Wagens um mich einsteigen zu lassen, dann sah er sich nochmals schnell um und stieg ebenfalls ein.
„Schön euch zu sehen" sagte eine tiefe, monoton klingende Stimme und Marseille drehte sich breit grinsend vom Fahrersitz zu uns um. Wie hatte ich dieses verschmitzte Grinsen dieses Mannes vermisst. „Freut mich auch dich zu sehen Marseille" begrüßte ich ihn und wurde von seinem lächeln angesteckt.
„Ihre Hände sind verwundet, wir sollten uns beeilen Marseille" sagte Rio nervös. Marseilles Blick wanderte zu meinen Hände. „Oh man Kairo du Tollpatsch!" sagte er kopfschüttelnd und fuhr umgehend los.
Ich sah aus dem Fenster und starrte in die Dunkelheit. Es fühlte sich verdammt gut an. Ein bisschen wie Freiheit, auch wenn es eine Freiheit war welche wir mit der Angst im Nacken nicht wirklich genießen konnten.  Marseille fuhr schweigsam durch die abgelegendsten Straßen um der Guardia aus dem Weg zu gehen und ich fragte mich wo er uns hinbringen würde. Es war eine Fahrt ins Ungewisse. Irgendwann schlief ich einfach zwischen all meinen Gedanken ein, genau wie Rio.
„Aufwachen ihr Schlafmützen!" grummelte Marseille und begann dann zu gähnen. Noch immer total schläfrig ließ ich meinen Nacken knacksen, der nun auch schmerzte. Ich fühlte mich wie überfahren. Kein Wunder bei meiner seltsamen Schlafposition.
Verwirrt sah ich aus dem Fenster. Es dämmerte schon wieder.
„Wie lange sind wir denn gefahren?" fragte ich erschrocken. „7 Stunden, ihr habt die ganze Zeit durchgeschlafen" antwortete mir Marseille und ich konnte plötzlich seine Müdigkeit nachvollziehen. Wir stiegen aus dem Wagen und ich blickte direkt von einer hohen Klippe aufs Meer hinaus in dem sich die aufgehende Sonne spiegelte. Um uns herum waren ein dutzend laut zirpender Grillen und zwitschernde Vögel. Die kühle Meeresbriese ließ mich kurz erschaudern. Es war ein unglaublich schöner Ort. Nichts außer Natur um uns herum und ein einziges abgelegenes Häuschen auf der Klippe in dem Lichter brannten. „Wow wo sind wir?" fragte Rio mit großen Augen und sah ebenfalls aufs Meer. „Willkommen in Almería, Andalusien." Marseille klopfte Rio lächelnd auf die Schulter, ehe er eine große Tasche mit Waffen und weiterem schwerem Kram aus dem Van holte. „Kommt schon Kinder, die Anderen warten bestimmt schon Sehnsüchtig auf euch" brummelte Marseille vor sich hin und wir folgten ihm zur Finca.

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