Der Professor

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Langsam lief ich die vielen Treppenstufen nach oben in den 5. Stock des Gebäudes und schob die Haustüre des Apartments auf, welche bereits einen kleinen Spalt weit geöffnet war. Jemand war hier. Nervös schloss ich die Tür hinter mir, ging leise von Raum zu Raum und bemerkte dabei, dass alle Schranktüren weit geöffnet waren. Überall auf dem Boden verteilt lagen wichtige Unterlagen, Erinnerungsstücke, Bilder und sogar meine Unterwäsche.
Die Polizei hatte wohl meine Wohnung auf den Kopf gestellt, dachte ich mir und Alicia Sierras Worte wiederholten sich in meinem Kopf. Verdammt die haben mein Handy mitgenommen. Wie wild geworden wühlte ich in meinem Kram auf dem Boden herum, mein Handy war nirgendwo zu finden. Tatsächlich. Sie hatten es wirklich mitgenommen. Durften die das denn so einfach?
Ohman... was soll ich denn jetzt machen? Wie zur Hölle komme ich zurück in die Bank? Und möchte ich eigentlich überhaupt zurück in die Bank? Ich hätte es ja nicht mal die geschafft den Professor anzurufen wenn ich seine Nummer hätte.
Wieder einmal stand mein Herz im Krieg mit meinem Kopf, wobei mein Herz mir riet zurück zu Rio, Denver und Nairobi zu gehen und mein Verstand mich darum bat das alles zu vergessen um ganz normal weiter zu machen.
Gedankenverloren ging ich ins Badezimmer, machte mich etwas frisch und zog mir meinen Pyjama über. Dann ging ich ins Bett, zählte noch einige Stunden lang die Fugen meiner Holzdecke und dachte darüber nach was ich tun sollte. Wie sollte ich es schaffen den Professor zu erreichen um Kontakt zu den Anderen herzustellen, wenn das nichtmal die Polizei schaffte?
Irgendwann schlief ich dann völlig erschöpft ein und den ganzen restlichen Abend schlief ich dann auch durch. Mitten in der Nacht wurde ich allerdings unsanft von einem lauten Poltern in meiner Wohnung geweckt. Regungslos und still lag ich in meinem Bett und sah in die Leere. Das hast du dir nur eingebildet. Dann spürte ich wie jemanden neben mich ans Bett kam. „Señorita Kairo?" fragte eine tiefe, monotone Männerstimme. Ich sprang auf zum Lichtschalter, griff währenddessen reflexartig nach einem Kerzenständer und hielt ihn warnend nach oben. „Ruhig. Ganz ruhig..." sprach der große Mann mit dem Lippenschnauzer, welcher plötzlich in meinem Zimmer auftauchte, leise und machte dabei eine besämpftigende Handbewegung „Ich bin Marseille, der Professor schickt mich um dich zu holen." Ich sah ihn skeptisch an. Dann stellte ich aber den Kerzenständer zurück und hielt ihm freundlich meine Hand entgegen. Er nahm sie, drückte sie kurz und ließ dann wieder los.
„Freut mich dich kennenzulernen Marseille. Ich hab mich schon gefragt wie der Professor diese Situation.. naja wie er das alles hier handhaben wird" antwortete ich ihm dann und begann nachdenklich die Stirn zu runzeln. Marseille dagegen ließ keine Zeit verstreichen, reichte mir meine Sneaker, und schnaubte kurz ungeduldig. „Wir müssen jetzt sofort los Señorita."
„Darf ich mir noch schnell was anderes anziehen?" fragte ich überrumpelt und sah an mir runter, woraufhin Marseille nur ein weiteres Mal schnaubte.
„Na dann nicht.." murmelte ich vor mich hin und zog ohne weitere Wiederreden meine Schuhe an. Er ging los sobald ich meine Schnürsenkel gebunden hatte und ich bemühte mich ihm zügig hinterher zu kommen.
Und verdammt, er lief ganz schön schnell für meine müden Verhältnisse. Endlich draußen angekommen führte er mich in den Hinterhof meines Wohnkomplexes zu einem Motorrad und hielt mir einen Helm vor die Nase. Ich sah ihn ungläubig schief an, dabei schlotterten meine Beine vor Kälte. Nur in Pyjama Shorts und einem Spaghetti-Top bekleidet sollte ich mich also auf das Motorrad von irgend einem zwielichtigen Fremden setzen? Nein danke. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Er schnaubte schon wieder. „Echt jetzt?"
Dann zog er seinen schwarzen Kapuzenpullover aus und gab ihn mir einfach.
„Danke" meinte ich dann knapp und zog mir erst den Pullover über und dann den Helm. Danach stieg ich bei ihm hinten rauf und wir fuhren los.
Der kalte Wind wehte mir über die nackten Schenkel und ich klammerte mich an Marseille fest. Ich betrachtete die Umgebung und mir wurde langsam aber sicher klar, dass er mich nicht zurück zur Bank brachte. Ich wurde etwas unruhig als er dann mit mir in das Regenrückhaltebecken einfuhr und anhielt.
Na toll jetzt hatte ich schon einen Auftragsmörder im Nacken oder wie? Wir stiegen ab und er lief erneut in großen Schritten voraus während ich unsicher tapsend hinterher huschte. Mir war garnicht wohl zumute als er mich über die wackeligen, dunklen Stahlwege des Beckens leitete. Dann blieb er plötzlich stehen, drehte sich zu mir um und lächelte. „Da wären wir." Ich sah ihn unsicher an und er kopierte meine Miene belustigt, ehe er mir aus der Sicht ging.
Und da stand er dann einfach vor mir. Der Professor.
Ich fiel fast vom Glauben ab. Er hatte sich die ganze Zeit hier versteckt?
Ich konnte nicht anders als ihn anzustarren und begann dann breit zu grinsen.
„Oh mein Gott!" schoss es dann einfach aus mir heraus. Dem Professor huschte ebenfalls ein kurzes lächeln übers Gesicht, ehe er sich verlegen seine Brille zurecht rückte. Ich fiel ihm um den Hals. Schüchtern klöpfelte er mir den Rücken. „Hallo Señorita Kairo, schön dich endlich einmal persönlich kennen zu lernen. Wir müssen ein paar wichtige Dinge besprechen..." sagte er in gewohnt steifer Manier. „Warum haben sie mich her bringen lassen?" fragte ich und ließ ihn dabei wieder los. Nochmals stupste er sich in hastiger Bewegung die Brille in Position. „Kairo, hast du Lissabon gesehen als sie dich verhört haben?"
Ich nickte ihm lächelnd zu und er begann sofort mitzulächeln. „Also hat Sierra nur geblöfft. Wir werden dich wieder zurück in die Bank bringen. Es sei denn du möchtest das nicht mehr, das liegt ganz bei dir. Ich würde diese Entscheidung vollkommen verstehen." Er warf mir einen fragenden Blick zu und im selben Moment reichte mir Marseille eine Flasche Wasser. Wenn ich dem Professor so ins Gesicht blickte, sah ich dieses große Genie, doch trotz allem war er auch unsicher. Die nervösen Gestiken und erst sein Tick mit der Brille. Ich konnte diesen Mann doch nicht im Stich lassen nur weil ich mir in die Hosen mache. „Ich bin dabei" sagte ich dann unsicher aber dennoch überzeugend.
„Wir werden dich hier ein paar Tage darauf vorbereiten müssen, das blieb dir ja bisher leider verwehrt. Ich möchte, dass du auf dem selben Stand bist wie die Anderen" erklärte mir der Professor und ich gab ihm mein Wort, seine Geheimnisse bei mir zu behalten, solange ich am Leben war und den Plan zu hüten. „Und Kairo.." fuhr er dann leise fort. „Mh?"
Er blickte mir zuversichtlich in die Augen. „Ich verspreche dir, dass du es nicht bereuen wirst dabei zu sein." Ich sah unsicher zu Boden, nickte aber dankend.
Und dann ging der Spaß erst richtig los.
Schießtraining im Rückhaltebecken, Selbstverteidigungskurs mit Marseille, ein Lehrgang über die menschliche Anatomie und ein Erste Hilfe Kurs für Schwerverbrecher vom Professor selbst und so weiter. Tag und Nacht bereitete mich Marseille darauf vor mich durchbeißen zu können, während der Professor fleißig an seinem Plan schmiedete, um mich wieder zu den Anderen zu bringen. Während meines Trainings hatte ich viel über Marseille erfahren. Er war garnicht so Zwielichtig wie ich anfangs dachte, sondern eher wie ein großer, lieber Bär. Wir Drei hatten den größten Spaß während ich Marseille mein neu erlerntes bewies, indem ich ihm eine ordentliche Tracht Prügel verpasste. Er krümmte mir dagegen kein einziges Haar. Seine Prinzipien eben.. Er hatte sich geschworen weder Frauen, Kindern noch Tieren etwas an zu tun. Und der Professor war schnell mächtig stolz auf mich. Die Beiden waren sehr gute Männer und ich musste mir eingestehen, dass Marseille mich ein wenig an meinen Großonkel Jorge erinnerte. Vier ganze Tage hatte ich bei den Beiden im Rückhaltebecken verbracht. Und ich lernte schnell, der Professor war eher als gedacht zufrieden mit meinen Leistungen. „Du bist jetzt bereit Kairo. Marseille wird dich noch heute Nacht zurück bringen." Er legte mir liebevoll seine Hand auf die Schulter, ehe er wieder seine Brille zurecht schob. Ich sprang Marseille überglücklich in die Arme und er wirbelte mich mit einer Art Freudentanz wild durch die Gegend. Für diesen Moment fühlte ich mich zum ersten Mal seit langem wieder unbesiegbar. Sie hatten mir ein neues Lebensgefühl gegeben. Und ich freute mich wirklich sehr darauf bald wieder bei den Anderen zu sein.

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