Vergangenheit

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Ich ging nach oben in den Schlafsaal und Nairobi folgte mir. „Ich geb dir noch einen neuen Overall, du siehst ja aus wie ein Schornsteinfeger" meinte sie lachend und zeigte mir ins Gesicht. Klar, hatte ich schon wieder ganz vergessen. Marseille fand es wohl lustig mir schwarze Farbe quer durch die Visage zu schmieren. So wäre ich noch unauffälliger, meinte er. Beim Gedanken daran musste ich ebenfalls lachen. „Danke Nairobi, du bist ein Schatz."
Während wir in Richtung des Schlafsaales liefen kaute Nairobi nervös auf ihrer Unterlippe herum. Sie dachte über irgend etwas nach. Und es dauerte auch nicht mehr lange, bis sie es sich von der Seele redete. „Man Schwesterherz, warum zur Hölle bist du nur zurück hier her gekommen? Du rennst in dein Verderben.." Sie sah zu Boden und strich sich verlegen durchs Haar.
„Das bist nicht du. Du gehörst zurück in deine teure Wohnung mit Blick über Madrid, zurück zu deinem gut bezahlten und vor allem ehrlichen Job, für den du so lange gekämpft hast. Du solltest mit deinen Freundinnen shoppen gehen, Spaß haben, dich auf teure Dates von schönen Spaniern einladen lassen und dein Leben in vollen zügen genießen. Stattdessen kommst du wieder zurück in dieses drecks Loch um dir dein Leben zu zerstören."
Ich sah sie an und musste an mein altes Leben denken. Aber was war mein altes Leben schon wert? Ich hatte zwar genügend Geld, dafür aber jede Menge falscher Freunde und massenweise Dates mit Fuckboys, immer auf der Suche nach der großen Liebe, welche mir meine fehlende Familie ersetzen sollte. Doch die Kerle gaben mir den Laufpass, sobald sie erfuhren dass ich eine ernste Beziehung mit Zukunft wollte. So war das eben heutzutage. Die Menschen litten unter Bindungsängsten, noch bevor sie überhaupt eine Bindung miteinander eingingen. Außerdem war mein altes Leben schlichtweg langweilig. Jeden Morgen pünktlich um 4 Uhr 15 schellte mein Wecker. Dann trank ich meinen Kaffee wie immer mit viel Milch und zwei Zuckerwürfeln, denn eigentlich konnte ich das Gesöff absolout nicht ausstehen, doch was tut man nicht alles für einen Energiekick am Morgen. Dann um 6 Uhr zur Arbeit, 16 Uhr wieder nach Hause und dann war mein Tag auch schon gelaufen. Ich hatte rein garnichts mit diesem Leben verloren und mein neues Leben hier in der Bank war umso aufregender.
„Du weißt ganz genau dass du und Axel noch die Einzigen seid die mir aus unserer Familie geblieben sind. Der Rest ist entweder tot, im Knast oder hat sich aus dem Staub gemacht. Und auf den Rest da draußen kann ich wirklich verzichten. Zu wem soll ich denn wenn nicht zu dir Ágata? Du bist meine Familie." antwortete ich ihr. Mir stiegen die Tränen in die Augen und ich sah meiner Schwester an, dass es ihr genauso weh tat wie mir. „Ich wünschte wir hätten uns unter anderen Umständen wieder getroffen Lu. Du könntest immernoch wieder hier raus. Noch hast du nichts verbrochen. Du hast so viele Chancen da draußen. Vielleicht könntest du Axel zu dir holen und mit ihm nach Valencia ans Meer ziehen. Dort gibts sicher einen gleich bezahlten Job wie deinen" sagte Nairobi. Sie dachte wirklich ich hätte es noch nicht versucht ihren Sohn Axel zu mir zu holen. Doch selbstverständlich hatte ich das schon mehrere Male probiert, aber die Behörden in Spanien waren ziemlich misstrauisch wenn es um das Wohl von Kindern ging. Sie sagten ich sei zu jung, unverheiratet und sie könnten sich nicht sicher sein ob ich nicht auch mit Drogen handelte so wie meine Schwester. So war das eben in unserer Familie. Ist der Nachname einmal im Polizeiregister aufgetaucht, dann wirkt auch der Rest der Sippe nicht gerade vertrauenserweckend. Außerdem ging es Axel gut, da wo er jetzt lebte.
Ich seufzte leise. Ich konnte ihr doch nicht sagen, dass sie mir ihren Sohn nicht geben wollten. Sie würde sofort durchdrehen. Er war ihr wunder Punkt.
„Wir werden ihn zu uns holen sobald wir hier draußen sind. Und der Professor wird uns mit Sicherheit dabei helfen. Ich versprechs dir, du wirst ihn bald wieder sehen Ágata" meinte ich zu ihr und strich ihr eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. Wir mussten es einfach schaffen hier heil raus zu kommen. Für ihn.
Sie nickte zustimmend, dann gingen wir in den Schlafsaal und sie gab mir einen neuen Overall mit einem Shirt und ebenfalls neuen Stiefeln.
„Ich werd mich im Bad des Gobernadors waschen gehen, ja?" sagte ich ihr und verschwand dann im anderen Zimmer. Der Gobernador hatte hier eine wunderschöne frei stehende Badewanne, warum auch immer man so ein Ding in einer Bank brauchte blieb wohl sein Geheimnis. Ich versuchte einfach nicht daran zu denken was er hier wohl mit seinen Sekretärinnen trieb. Ein bisschen Entspannung kam mir gerade gelegen nach den letzten stressigen Tagen. Gemütlich ließ ich mir heißes Wasser in die Wanne und legte mir Handtücher zurecht. Dann ging ich mir am Waschbecken die Farbe aus dem Gesicht waschen, zog mich aus und stieg langsam in das lauwarme Wasser. Ich sah nach oben zur Decke und dachte über die vergangenen Tage nach. Auch die Worte meiner Schwester wiederholten sich wieder und wieder in meinem Kopf. Sie hatte recht, ich gab alles auf was ich mir erarbeitet hatte, doch wenn das alles hier gut gehen würde dann wäre das doch kein all zu großes Opfer. Wirklich entspannen konnte ich dabei nicht, doch trotzdem tat es gut einfach mal etwas Zeit für mich selbst zu haben. Fast eine dreiviertel Stunde lag ich im Wasser und langsam wurde es schon wieder kalt. Also stieg ich raus, wickelte das große weiße Handtuch um meinen Körper und lief zurück zum Schlafsaal, öffnete die Tür und blickte direkt zu Denver, welcher es sich auf dem Sofa unter dem großen Fenster bequem gemacht hatte und dabei genüsslich eine Zigarette qualmte.
Er begann sofort damit mich von oben bis unten zu mustern. Ihm fiel fast die Zigarette zu Boden. Dann presste er seine Lippen fest auf den Filter in seinem Mund und ich wusste sofort was er dachte. „Scheiße..." raunte er dann nur vor sich hin und sah mich weiter wie erstarrt an. Ich warf ihm einen verwirrten Blick zu und er rieß sich wieder am Riemen. „Ich... will dich eigentlich nicht stören, aber ich muss einfach mit dir reden" erklärte er sich dann nervös. „Quatsch Denver, du störst mich doch nicht. Worüber willst du denn mit mir reden?" erwiderte ich ihm zaghaft und lief zu meinem Platz um meine Kleidung zu holen. Denver beobachtete dabei jeden einzelnen meiner Schritte.

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