8 - Lenzmond

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Vestervig, Nordjütland

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Der Dunst in seinem Kopf lichtete sich und der Schutzschild der Bewusstlosigkeit, der ihn von den grässlichen Schmerzen abgeschirmt hatte, zerbrach in tausend Stücke. Ruriks rechte Flanke brannte. Es war, wie wenn er mit seinem Oberkörper durch Eisennägel gezogen worden war. Er brüllte laut auf, denn der Schmerz war unerträglich.

Stöhnend fasste er sich an die verletzte Seite und bereute es sogleich. Nur schon das Heben seines rechten Armes jagte ihm glühende Stiche durchs Innere seines Brustkorbes. Sein Herz schlug hart gegen seine Rippen.

„BEI ODIN, DU LEBST!", schrie Salka, als sie in sein Zimmer stürzte und ihm sogleich einen Kussregen auf die Stirn niederprasseln liess.

„Schwester", keuchte Rurik.

„Oh, mein kleiner Bruder! Du glaubst es nicht, wie erleichtert wir sind. Ich hätte ein Leben ohne dich nicht ertragen können. Oh, ich kann es nicht fassen!", schluchzte sie, während ihr die Freudentränen über die Wangen kullerten.

„Salka", murmelte Rurik und hob seinen linken, gesunden Arm.

Sie kniete sich neben ihn hin, nahm seine Hand und legte ihr Gesicht in die heisse Handfläche.

„Ich liebe dich, mein kleiner Bruder! Verspreche mir, dass du mir nie, wirklich nie wieder sowas antust!"

Sie weinte und lachte gleichzeitig vor Erleichterung. All die Tage der Verlustangst, all das Wehklagen und Leiden lösten sich plötzlich in Luft auf. Rurik liess seine Hand an ihrem Gesicht und schenkte ihr ein schwaches Lächeln. Er sah ihr an, dass sie sehr gelitten haben musste. Hjalmar kam in den Raum und blickte seinem Schwager erleichtert in die Augen.

„Schön, dass du wieder zu den Lebenden gehörst!", grüsste Hjalmar und zeigte ein Lächeln hinter seinem dichten Bart.

Rurik konnte die freundlichen Worte jedoch nicht erwidern. Die pochende Wunde plagte ihn und glühte bestialisch an seiner Flanke. Salka blickte besorgt in seine fiebrigen Augen.

„Hast du starke Schmerzen?", fragte sie.

Rurik nickte stumm, denn das Sprechen fiel ihm so unendlich schwer. Seine Schwester seufzte und tätschelte seine Hand.

„Ruh dich aus, kleiner Bruder. Du musst zu Kräften kommen. Hab keine Sorge, wir kümmern uns um dich. Wir haben den Vorratsschrank von Aveline ausgeräumt. Wir werden dich schon wieder herrichten. Ich glaube, sie hat einmal ein Wurzelpulver hergestellt, das gegen Schmerzen helfen soll. Das bringe ich dir nachher gleich!"

Rurik biss seine Zähne fest zusammen, so dass seine Kiefermuskeln hervortraten. Den Namen seiner Geliebten zu hören, verursachte ein zusätzliches Stechen in seinem Inneren. Ein Stechen in seinem Herzen.

Da kam Loki ins Zimmer und reichte seinem verletzen Freund die Brühe. Man half Rurik, sich aufzusetzen, damit er die Suppe schlürfen konnte. Dabei musterte Hjalmar seinen Schwager eindringlich. Die paar Tage in Bewusstlosigkeit und voller Regungslosigkeit hatten an seinem sonst so kräftigen und vitalen Körper gezehrt und deutliche Spuren hinterlassen. Er hatte an Muskelmasse verloren und wirkte in seinem Bett kleiner und schwacher als üblich. Seine Augen waren vom Fieber und den Schmerzen getrübt. Hjalmar ertrug den Anblick kaum. Der Mann, der vor ihnen auf dem Bett sass, war nicht derselbe, den sie erst vor einigen Tagen das letzte Mal lebendig gesehen hatten. Er wirkte zerbrechlich. Gebrochen.

Rurik löffelte unter den erleichterten Blicken seiner Schwester und seines Freundes die Suppe.

„Ich kann es nicht glauben, dass du wieder lebst", murmelte Salka, während ihre Augen jede Bewegung und jeden Atemzug, den er tat, mit Freude verfolgten.

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