41 - Brachmond

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An der Seine, Westfränkisches Reich

~

Rurik lag auf der Seite und starrte geradeaus. Neben ihm schlief Aveline, eng in die löchrige Decke gehüllt, welche die Bäuerin ihnen gebracht hatte. Ihr Kopf lag auf ihrem Arm, die Knie hatte sie zu sich herangezogen. Ihr Gesicht war auf derselben Höhe wie seines und sie lag so nahe, dass er jede Form und Farbe ganz genau betrachten konnte. Ihr Atem streifte sein Kinn. Fasziniert musterte er ihre schlafenden Gesichtszüge. Er schaffte es nicht, seinen Blick von ihr abzuwenden. Sie war einfach so schön.

Er hatte sie mit einer Menge Heu zugedeckt, damit sie in der Nacht nicht frieren würde. Die Kälte war dennoch durch das trockene Gras gedrungen und so waren sie näher aneinander gerückt und hatten sich im Heu gemütlich eingenistet.

Aveline war mit ihrer Hand an seiner Brust eingeschlafen, wie wenn sie mit der stetigen Berührung sicherstellen wollte, dass er da war. Er fühlte die zarte Wärme ihrer kleinen Hand an seinem Brustkorb.

Es war eine Wohltat, sie so entspannt schlafen zu sehen. Der Anblick ihres traurigen, vor Schmerz verzerrten Gesichtes hatte ihm das Herz zerdrückt. Er hatte nicht anders gekonnt, als sie in die Arme zu nehmen und ihren Schmerz mit seinen Worten und seinen Berührungen zu lindern.  Er war froh, dass er ihr die Geborgenheit hatte schenken können, die sie so sehr gebraucht hatte.

Rurik hatte kaum ein Auge zugetan. Die Gedanken tobten wild und der harte Schmerz in seinem Herzen wollte nicht abflauen.

Für einen kurzen Moment hatte ihn die Tatsache, dass sie sein Kind in sich getragen hatte, mit einem unbeschreiblichen Glück erfüllt, ehe seine Gedanken weitergerattert waren und er realisiert hatte, dass dieses unbekannte Wesen, das in ihren Leib unauffällig herangewachsen war und er gerne hätte kennenlernen wollen, für immer verloren war. Es war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen und die Nacht hatte ihm überhaupt keine Ruhe gebracht.

Er gähnte erschöpft und liess seinen Blick über Avelines zusammengerollten Körper schweifen. Sie sah so zerbrechlich aus, wie sie vor ihm lag, mit ihren Fingerspitzen an seinem Herzen. Vorsichtig nahm er ihre Hand in seine und streichelte ihre Finger. Wie gerne er ihr jetzt einen Kuss auf ihre Stirn gedrückt hätte, oder gar auf diese unendlich weichen Lippen. Aber er hielt sich zurück, denn er war sich sicher, dass sie das nie wollen würde. Die Dinge zwischen ihnen waren nicht mehr wie früher.

Ihre Lider zuckten. Er lächelte, als sie die Augen aufschlug und ihn die honigbraunen Iriden schläfrig anblinzelten.

„Guten Morgen", raunte er.

Ein leichtes Lächeln formte sich auf ihren schönen Lippen, dann zog sie ihre Hand zu sich und drehte sich auf den Rücken, um sich zu strecken. Sie seufzte behaglich. Offenbar hatte sie gut geschlafen. Für Rurik auch kein Wunder, denn sie hatte sich eng an ihn geschmiegt, um sich an seiner Körperwärme zu bedienen.

„Morgen", murmelte sie zur Begrüssung und drehte den Kopf wieder zu ihm.

Das Bernstein in ihren Augen leuchtete im hellen Licht des Tages. Staubpartikel schwebten im Raum wie kleine weisse Punkte. In der Nacht hatte es aufgehört zu Regnen und die Sonnenstrahlen heizten die Scheune auf. Die Wärme drückte langsam durch das Dach und machte die Luft schwerer.

„Du hattest diese Nacht keine Alpträume", stellte Rurik fest und gähnte dann laut.

Die Müdigkeit in seinem Kopf wollte sich ausbreiten, aber er rieb sich das Gesicht, um die Durchblutung anzuregen und dem Nebel keine Chance zu geben.

„Das muss an der gemütlichen Schlafstätte liegen", meinte sie schmunzelnd.

„Oder an deiner kuschligen Begleitung", neckte Rurik.

BelagerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt