Île Saint-Denis, Westfränkisches Reich
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Die Wikingerschiffe trieben aneinandergereiht im Wasser und versperrten den ganzen Fluss. Kein fränkisches Schiff hatte es seit der Ankunft der feindlichen Flotte gewagt, diese Stelle im Flusslauf vor Paris zu passieren. Es war schlicht unmöglich vorbeizukommen.
Die Schiffe der Normannen wiegten sanft hin und her und wirkten wie ein bedrohlicher Wall. Die roten Segel waren über den Laderaum der Boote gespannt worden, so dass sie ein Zelt bildeten und die Besatzung für die Nacht im Schiffsinneren vor Wind und Wetter schützten.
Die drei Schatten huschten von den Büschen am Seineufer näher zu den Langschiffen heran. Weit und breit waren keine Wachen in Sicht, nur ihre Fackeln, die man von Weitem auf der Insel Saint-Denis wie kleine schimmernde Punkte zittern sah.
Die schwarze Bande hatte sich ein besonderes Ziel gesetzt: Das grösste der Wikingerschiffe - auf dieses wollten sie gelangen. Das Prunkschiff lag zwischen dem Ufer, an welchem sie kauerten, und der Insel auf dem Fluss. Um dorthin zu gelangen, mussten die Mitglieder der schwarzen Bande über die Wikingerschiffe klettern und von Bug zu Bug springen.
Zu Hamos positiver Überraschung hatten die Normannen kleine Stege gebaut, die den Übergang von Schiff zu Schiff vereinfachten. Diese waren an den Bordrändern der Schiffe befestigt worden, so dass sich die Bäuche der Boote nicht aneinander rieben. Die Bretter hielten die Schiffe stabil nebeneinander. Hamo grinste zufrieden, denn damit würde das Überqueren des Flusses zu einem Kinderspiel für die drei werden. Im Balancieren auf Balken über gefährliche Gewässer waren sie genauso geschickt, wie im Stehlen von Wertsachen.
Der Anführer wandte sich seinen zwei Freunden zu und blickte in ihre Gesichter. Nouels Miene war schon den ganzen Tag überaus besorgt, zumindest seit dem Moment, an dem Hamo beschlossen hatte, seine Freunde in seinen geritzten Plan einzuweihen und ihnen offenbart hatte, dass sie eine ganze Wikingerarmee bestehlen sollten. Nouel hatte sich ausdrücklich dagegen gewehrt und ihn mit validen Argumenten bombardiert, warum es keine gute Idee darstelle, eine Horde bewaffneter Normannen zu beklauen. Die Diskussionen hatte Hamo allerdings schnell mit der Begründung abgeklemmt, dass er schlussendlich der Anführer der Bande sei und diese Entscheidung selber fälle.
Lapin hatte im Gegensatz zu Nouel freudig in die Hände geklatscht, denn dem kleinen Burschen fehlte es alles andere als an Mut. Der Anblick der furchterregenden Krieger hatte in ihm ein Feuer entfacht. Er wollte den schlimmen Kerlen gehörig eins auswischen.
Der schwarze Rüde Garou sass geduldig neben den Kindern und hechelte glücklich vor sich hin. Hamo gab ihm das Kommando, sitzen zu bleiben und Wache zu halten. Der Hund war so schlau und verstand den Befehl seines Herrchens.
Mit leisen Sohlen bestiegen die drei Burschen das erste Schiff, das dem Ufer am nächsten war. Hamo schlich ihnen voraus, um sicherzustellen, dass da keiner auf dem Boot schlummerte und sie überfallen könnte. Er wollte seine zwei jüngeren Freunde vor jeglicher Gefahr schützen. Wenn, dann würde er als Erster von dieser Welt gehen.
Das Ereignis, das sich gerade auf der Insel inmitten des Flusses abspielte, schien für die Wikinger von solch grosser Bedeutung zu sein, dass sie ihre Schiffe unbewacht liessen. Sehr zum Vorteil der Diebesbande, denn somit würden sie unbehindert ihren Plan ausführen können.
Geduckt huschten sie über die Bretter. Das Holz knarzte unter dem Gewicht der Buben. Obwohl es bereits dunkelte und die Sichtverhältnisse immer undeutlicher wurden, wollten sie sicherstellen, nicht gesehen zu werden. Sie wollten sich gar nicht erst ausmalen, was mit ihnen geschehen würde, wenn man sie auf frischer Tat ertappte.
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Belagerung
Historical FictionBand II Auf sich gestellt und tief verletzt begibt sich Aveline auf die Rückreise in ihre alte Heimat. Mit einem einzigen Ziel vor Augen: Zurück zu ihren Wurzeln. Ein beschwerlicher und gefährlicher Weg steht ihr bevor, auf welchem sie so manch kuri...