43 - Brachmond

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An der Seine, Westfränkisches Reich 

~

Als Aveline am nächsten Morgen erwachte, war die Schlafstelle neben ihr leer. Sie hatte nicht gemerkt, wie Rurik aufgestanden war. Sein grosser Umhang lag angenehm schwer auf ihrer nackten Haut und sie rollte sich fester zusammen, um den Stoff an jeder Faser ihres Körpers zu spüren. Die Erinnerungen an die letzte Nacht strömten herein und lösten ein wohliges Ziehen in ihrem Unterleib aus.

Sie lächelte mit geschlossenen Augen und spürte das warme Gefühl in ihrem Herzen. Es hatte sich so unbeschreiblich gut angefühlt, seine Haut auf ihrer zu spüren und ihre Lippen mit seinen zu vereinen.

Seufzend setzte sie sich auf und strich die wirren Locken aus dem Gesicht. Sie erschrak, denn erst jetzt realisierte sie, dass Rurik ihr gegenüber sass und sie die ganze Zeit betrachtet haben musste. Er war bereits angezogen und schien schon seit einer Weile wach zu sein.

„Oh", stiess sie aus, „habe nicht gemerkt, dass du da sitzt."

Sie wollte ihn anlächeln, aber da sah sie, dass sein Blick ernst war und ein dunkler Schatten unter seinen Augen lag. Er musste schlecht geschlafen haben. Aveline schlug den Umhang enger um ihren Oberkörper, denn nebst der kühlen Morgenluft verpasste ihr auch Ruriks finstere Miene eine unangenehme Gänsehaut. Irgendwas stimmte nicht.

„Was ist denn?", fragte sie vorsichtig.

Er mahlte mit dem Kiefer und starrte sie durchdringend ein. Es war ein kalter Blick, den er ihr da zuwarf. Seine Stimme klang fremd, als er zu sprechen begann.

„Diese Nacht war ein Fehler."

Aveline stockte der Atem. Ihr Brustkorb zog sich schmerzhaft zusammen.

„Was?", fragte sie, denn sie hoffte, sich verhört zu haben.

„Es war ein Fehler", wiederholte Rurik.

Er wirkte distanziert, wie er dort am Feuer sass und sie ernst anstierte. In seinen glanzlosen Augen spiegelten sich die Erinnerungen an die letzte Nacht und Aveline meinte, darin Reue zu erkennen. Das Prickeln in ihrem Bauch verstarb augenblicklich.

Betroffen blickte sie zu Boden, denn seine Worte musste sie erst verarbeiten. Sie schluckte mehrmals, um das bedrängende Gefühl in ihrem Hals loszuwerden.

„Rurik. Es —"

„Nein! Du hättest das nicht tun dürfen", sagte er und hob die Hand, um ihren Worten Einhalt zu gebieten.

Aveline runzelte die Stirn. Sie verstand nicht, warum er so forsch mit ihr sprach.

„I-Ich dachte, du wolltest es auch", murmelte sie dann.

Er seufzte und strich sich mit der Hand durchs Gesicht.

„Natürlich wollte ich es auch, Aveline. Ich werde dich immer wollen! Aber du kannst sowas nicht mit mir machen!"

Aveline verschlug es die Sprache. Gab er ihr tatsächlich die Schuld für das, was zwischen ihnen abgelaufen war? Sie suchte nach Worten, denn das konnte und wollte sie nicht glauben. Ein schmerzhafter Kloss bildete sich in ihrer Kehle.

„Was habe ich denn getan?", fragte sie heiser.

„Schau dich an! Du siehst aus, als wäre ein Tier über dich hergefallen. Du hättest mich aufhalten müssen!", rief er und schüttelte frustriert den Kopf.

Aveline blinzelte verwirrt und hob Ruriks Kapuzengewand an. Erst jetzt sah sie, dass seine Leidenschaft deutliche Spuren an ihrem Körper hinterlassen hatte. Rote Striemen zierten die elfenbeinfarbene Haut an ihrer Taille, dort wo er sich so hungrig in ihr Fleisch gekrallt hatte. An ihren zarten Armen wies sie gar ein paar blaue Flecken auf. Das war es also, was ihn dermassen aus der Fassung brachte. Zumindest dachte sie das.

BelagerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt