Bei Paris, Westfränkisches Reich
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Loki sass im Schneidersitz auf dem Käfig und blickte direkt ins gleissende Licht der Sonne. Die hellen Strahlen blendeten ihn fast bis zur Blindheit, aber es war ihm einerlei. Schon als er aufgewacht war, hatte er es in der Luft gerochen. Heute würde es ein guter Tag werden und die freundlichen, warmen Strahlen auf seinem Gesicht bestätigten ihn in dieser Annahme.
„Weisst du, ich hätte nie gedacht, dass ich meinen besten Freund so verlieren würde. Ich dachte immer, wir sehen uns in Walhalla wieder."
Unter ihm regte sich Rurik im eisernen Käfig. Er sass mit nacktem Oberkörper in seinem eigenen Blut, das ihm vom Rücken rann und hatte - bis Loki ihn soeben geweckt hatte - erschöpft geschlafen. Der Käfig war nicht sonderlich gross, weshalb Rurik nur sitzend hatte dösen können. Für jemanden mit der Körpergrösse und solchen Verletzungen am Rücken eine äusserst unbequeme Angelegenheit. Aber für Loki war das schliesslich das, was ein Verräter verdient hatte. Körperliche Qualen.
„Loki? Wie lange sitzt du da schon?", brachte Rurik mit heiserer Stimme hervor.
Er hatte wieder die ganze Nacht gebrüllt und getobt, was ihm unglaublich viel Kraft gekostet haben musste. Aber er hatte den Anblick nicht ertragen können, wie Ragnar zu Aveline ins Zelt gegangen war, diesen bösartigen Ausdruck in den Augen. Loki wusste, dass sich Rurik um das Wohl dieses Mädchens sorgte.
„Eine ganze Weile schon. Habe dir beim Schlafen zugesehen. Du bist so schön wie ein Eber, wenn du pennst. Hat dir das eigentlich jemals einer gesagt? Und schnarchen tust du genauso."
Rurik schnaubte durch die Nase.
„Hat dir Ragnar befohlen, mich kurz vor meiner Hinrichtung noch zu bespassen, oder warum bist du hier?"
Loki schüttelte den Kopf und liess seine Locken wirbeln.
„Nein, hat er nicht. Wollte nur mit meinem Kumpel quatschen, bevor ich dich nie wieder sehe. Störe ich dich? Soll ich abhauen?"
Rurik versuchte, sich aufrechter hinzusetzen, aber die Bewegung musste Schmerzen verursachen, denn er stöhnte auf.
„Nein, schon gut", brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Loki beugte sich vor und blickte durch die Gitter des Käfigs zu seinem Freund herunter, den Augenkontakt suchend, aber dieser starrte nur auf seine Füsse. Geschlagen. Besiegt.
„Und? Wie fühlt es sich an im Käfig? Gefällt es dir?", fragte Loki aufrichtig neugierig.
„Nicht sonderlich."
„Der Schmied hat absichtlich die Gitterstäbe nicht so eng aneinander geschmiedet, damit die Luft besser zirkuliert. Dennoch nicht so gemütlich, was? Zum Glück musst du ja nicht mehr lange da drin sitzen. Die holen dich gleich."
Loki kicherte ab seinen eigenen Worten und richtete den Blick wieder in die Ferne. Von seiner Position aus sah er ganz gut über das grosse Zeltlager. Die weissen Zeltplanen schienen hell in der Sonne und die Schiffe, welche auf dem Fluss ankerten, wiegten sich sanft in den Wogen.
„Als liege dir mein Komfort am Herzen", sagte Rurik müde.
Von Weitem sah Loki Ragnars Prunkschiff. Er kniff die Augen zusammen, denn er meinte, etwas aufblitzen zu sehen. Dann grinste er.
„Du solltest mich nach all den Jahren doch besser kennen, Rurik. Dein Wohl lag mir schon immer am Herzen."
„Dann bist du also hier, um mich zu unterhalten", sagte Rurik und blickte hoch zu seinem Freund.

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Belagerung
Fiksi SejarahBand II Auf sich gestellt und tief verletzt begibt sich Aveline auf die Rückreise in ihre alte Heimat. Mit einem einzigen Ziel vor Augen: Zurück zu ihren Wurzeln. Ein beschwerlicher und gefährlicher Weg steht ihr bevor, auf welchem sie so manch kuri...