11 - Lenzmond

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Andrésy, Westfränkisches Reich

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Nachdem sich die Jungs die Bäuche vollgeschlagen hatten, machten sie sich auf den Weg nach Andrésy - ins Nachbardorf, in welchem die Mutprobe stattfinden sollte. Der Ort des Geschehens war der belebte Marktplatz, der an Wochentagen nur so von kauffreudigen Menschen und feilbietenden Marktschreiern wimmelte. Ein guter Ort für die Diebesbande.

Lapin huschte neben Hamo durch die Gassen. Er war nervös, denn heute galt es für ihn, alles zu geben, damit er in die Bande aufgenommen werden würde. Er konnte sich keinen Patzer leisten, denn er wollte den beiden grossen Jungs beweisen, dass er es auch verdient hatte, das schwarze Halsband um seinen Hals zu tragen - selbst wenn er der kleinste war.

Lapin konnte es kaum erwarten, dazuzugehören. Am meisten Bammel hatte er allerdings vor dem Sprung von der Brücke, denn da würde er seinen ganzen Mut zusammen nehmen und mit geschlossenen Augen ins kalte Wasser des Flusses springen müssen. Er konnte schwimmen, das stand ausser Frage, aber er war noch nie von einer solch hohen Brücke gesprungen. Er schluckte leer bei dem Gedanken und folgte seinem Freund durch das Gewusel auf dem Markt von Andrésy.

Plötzlich blieb Hamo stehen und drehte sich um. Lapin reagierte zu spät und knallte mit der Stirn in seine Brust.

„Huch, aufgepasst, Junge!", grinste Hamo.

Lapin lächelte, was seine Hasenscharte nur weiter auseinander zog. Er war sich über diesen für viele Menschen ekelerregenden Effekt seines Lächelns bewusst, aber auf Hamos freundliches Gesicht konnte er nur mit einem breiten Grinsen antworten. Und sowieso: Den Anführer schien der offene Spalt an Lapins Oberlippe überhaupt nicht zu stören.

„Bist du bereit?", fragte Hamo mit einem ernsten Ton in der Stimme.

„Daf bin ich", nickte Lapin, so dass seine braunen Locken auf und ab federten.

„Weisst du, was du tun musst?", hakte Hamo sicherheitshalber nach.

„Ein Gemüfe klauen", sagte Lapin.

Hamo nickte.

„Ja... aber da ist noch mehr", meinte er. „Ein Gemüse deiner Wahl sollst du stehlen, so dass der Gemüsehändler nichts bemerkt. Dann musst du unentdeckt, ohne die Menschen anzurempeln, über den Marktplatz schleichen bis zur hohen Brücke. Von der Brücke sollst du ins Wasser springen und dann ans Ufer zu Nouel schwimmen. Das Gemüse und du selbst müssen das Ganze heil überstehen und wir treffen uns alle vier dann wieder unter der Brücke."

Lapin murmelte die Anweisungen leise vor sich hin, so als ob er versuchte, sich die richtige Reihenfolge davon zu merken.

„Gemüfe, Marktplatf, Brücke", murmelte er.

„Gut. Das hast du dir richtig gemerkt", sagte Hamo zufrieden und kramte etwas aus seiner Hose hervor.

Er beugte sich zu seinem Freund hinunter.

„Nicht mehr lange und du bist bald einer von uns", fügte er an und liess das schwarze Halstuch vor Lapins aufgeregten Augen hin und her baumeln.

Hamo wollte sicherstellen, dass sich Lapin motiviert in seine Mutprobe stürzte. Beim Anblick des Tuches wurde Lapins Blick entschlossener, seine Augen funkelten begierig. Das Tuch hatte ihm sichtlich Ansporn gegeben.

„Lof!", sagte er zu sich selbst und huschte davon.

Hamo setzte sich auf eine Kiste am Rande des Marktes und verfolgte den lockigen Schopf seines Freundes, wie er sich durch die Menge presste und den langen Beinen und vollen Körben auszuweichen versuchte. Er musste sich wie eine Katze bewegen, das hatten sie bereits mehrmals miteinander geübt. Denn das machte die schwarze Bande aus - man sah sie nicht und vor allem hörte man sie nicht.

BelagerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt