35 - Wonnemond

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Paris, Westfränkisches Reich

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Königin Irmentrud klammerte sich an den Pfeiler ihres Bettes und blickte gespannt zu ihrer Zofe Gundelinde, welche mit der Ohrmuschel an der Tür klebte.

„Und, hörst du etwas?!", fragte sie und merkte selbst, wie ihre Stimme zitterte.

Die Kammerzofe hielt den Atem an, währenddem sie versuchte, durch das dicke Eichenholz Geräusche zu vernehmen, die aus dem Gang des Palastes zu ihnen heran drangen. Dann hob sie ihr Ohr vom Holz und schüttelte den Kopf.

„Nein, eure Majestät. Ich höre nichts. Wir sind hier in Sicherheit."

„Die Frage ist nur, wie lange noch", murmelte Irmentrud und krallte sich fester an den Bettpfeiler.

Die Zofe drehte sich ihrer Königin ganz zu, ihre Augen vor Furcht weit aufgerissen. Die Wikinger waren dem Königspalast von Paris nach mehreren Tagen der Belagerung bedrohlich nahe gekommen. Die Leibgarden verteidigten zusammen mit den letzten Vasallen des Königs mit Leib und Seele die Mauern des Palastes.

Aber die Normannen waren sture Biester. Als sie am ersten Tag nicht durch die schwere Pforte am Eingang des Palastes durchkamen, versuchten sie einen Hintereingang zu finden. Eine weniger robuste Tür, die sie mit ihren Äxten durchbrechen konnten. Der Palast von Karl dem Kahlen bot aber keine solchen Schlupflöcher und so gaben es die Wikinger schnell auf, irgendeine Hintertür zu finden. 

Am zweiten Tag versuchten die Normannen über das hohe Gemäuer zu klettern, aber die Bogenschützen in den Türmen töteten jeden, der es nur wagte, mit einer Leiter dem Palastwall näher zu kommen.

Am dritten Tag fällten die Wikinger den mächtigsten Eichenstamm, den sie finden konnten und machten daraus einen Rammbock. Damit wollten sie die schwere Eingangspforte einbrechen. Mit ihren Schilden schützten sie sich von den Pfeilen, die von oben auf sie herabprasselten. Zweidutzend Wikinger schoben den Stamm, der auf zwei grossen Rädern befestigt worden war, an den Eingang und liessen ihn immer wieder auf die Pforte krachen. Bei jedem Stoss ächzte das Holz bedrohlich laut. Die Schläge donnerten über den Hofplatz und drangen durch die Gänge bis in die Kammern des Palastes.

Ein ohrenbetäubendes Krachen war zu hören, als die Eingangspforte dem Druck des Rammbocks nicht mehr standhielt. Irmentruds Hand schnellte an ihren Mund und die Zofe bekreuzigte sich drei Mal. Sie hatten es zwar nicht gesehen, aber das laute Geräusch war unverkennbar gewesen. Die Pforte war aufgebrochen worden und mit jedem Atemzug, der jetzt verging, mussten die Wikinger wie wilde Tiere in die Hallen des Königshauses stürmen.

„Um Gottes willen!", stiess die Zofe aus und fiel auf die Knie. „Der gnädige Herr stehe uns bei!"

Irmentrud liess den Bettpfeiler los und ging auf ihre Zofe zu, um sie zu beruhigen.

„Sie werden uns hier nicht finden, Gundelinde. In all den verwinkelten Gängen dieses Palastes ist meine Kammer schwer aufzufinden. Selbst der König verirrt sich manchmal. Die Kerle werden den Speisesaal als erstes finden und dort genügend Schätze zum Mitnehmen haben."

Die Stimme der Königin war den Umständen entsprechend unnatürlich ruhig. Sie staunte selbst über ihren eigenen Mut.

„Aber eure Majestät. Vor unserer Kammer steht nur eine einzige Garde!", jammerte Gundelinde. „Der wird uns doch nicht vor diesen Ungeheuren schützen können."

Irmentrud tätschelte die Schulter ihrer Zofe und half ihr, sich wieder zu erheben.

„Wie gesagt, ich denke nicht, dass die soweit kommen werden. Das Silberbesteck im Speisesaal wird sie aufhalten. Es ist wohl besser, wenn wir versuchen, uns etwas abzulenken. Wie wäre es, wenn du mich einkleidest?", sagte Irmentrud und blickte ihrer Zofe aufmunternd in die Augen.

BelagerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt