Paris & Saint-Denis, Westfränkisches Reich
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„Ihr solltet liegen bleiben, Eure Majestät. So kann der Samen keimen", sagte Gundelinde und zog die Decke bis zur Brust der Königin.
Karl der Kahle hatte in der Nacht Irmentruds Schlafgemacht besucht. Er war seinen ehelichen Pflichten als Gatte nachgegangen und hatte mit ihr den Liebesakt vollzogen. Zwischen den zwei königlichen Eheleuten eine ziemlich nüchterne und leidenschaftslose Angelegenheit. Es galt schliesslich für genügend Thronfolger zu sorgen, das war keine Sache, die man nur so zum Spass trieb. Für Könige und Königinnen war das eine ernste Handlung und darum wurde das auch äusserst formalisiert durchgeführt.
Die Königin lag ermattet in ihren Laken und blickte betrübt zu ihrer Zofe hoch.
„Es war grässlich", stiess sie hervor und schlug die Decke von sich. „Ich werde hier sicher nicht einfach rumliegen, damit es der lausige Samen meines Gatten einfacher hat!"
Die Zofe blickte ängstlich zur Tür, denn sie befürchtete, dass Karl der Kahle sie noch hören konnte. Er war doch erst kürzlich aus dem Zimmer marschiert und hatte der Zofe befohlen, sie solle seine Gattin ans Bett fesseln.
„Eure Majestät. Der König hat mich gebeten, Euch ans Herz zu legen, den Tag besser im Bett zu verweilen. Schliesslich soll ein Thronfolger in eurem Leib heranwachsen", sagte sie selbst wenig von ihren eigenen Worten überzeugt.
Irmentrud warf ihrer Kammerzofe einen gleichgültigen Blick zu und wischte sich die braunen Strähnen aus dem Gesicht.
„Er muss es ja nicht erfahren", sagte sie schulterzuckend.
„Aber Eure Majestät. Denkt Ihr nicht, dass es besonders jetzt - in dieser fürchterlichen Zeit - wichtig ist, dass sein Erbe gesichert ist? Was, wenn... was, wenn...?", wollte Gundelinde sagen, aber sie wagte es kaum, die Worte auszusprechen, denn der Gedanke war zu schrecklich.
„Was, wenn was?", schmunzelte die Königin. „Was, wenn er von den Wikingern getötet wird? War das die Frage, die du stellen wolltest?"
Die Zofe errötete und nickte stumm.
Eine unerhörte Frage war das, aber zwischen der Königin und ihrer ersten Kammerzofe war ein Band des Vertrauens geknüpft worden. Ein viel engeres Band, als das, was zwischen der Königin und ihrem Gatten einst geschnürt worden war. Die zwei Frauen hüllten die skandalösen Gedanken, die sie untereinander tauschten immer in einen Mantel des Schweigens.
„Dann sei es so", sagte Irmentrud und stellte sich im Untergewand vor ihrer Zofe hin. „Meine Kleidung?"
„Oh, ja. Selbstverständlich! Nach welcher Farbe fühlt ihr euch heute?"
„Blutrot", grinste Irmentrud.
„Wie bitte?!", stiess die Zofe schockiert aus.
„Rot wie der Mond von letzter Nacht", wiederholte die Königin. „Unsere Männer werden bluten. Wenn ich die Schlacht wieder nur vom Hörensagen erleben darf, dann will ich mich wenigstens entsprechend kleiden. Der Stimmung angepasst, sozusagen."
Gundelinde blickte ihre Königin ungläubig an. Die Angst stand der Zofe ins Gesicht geschrieben, ihre Hände bebten und ihre Wangen waren kreidebleich.
„Denkt ihr denn wirklich, dass wir gegen die Heiden verlieren werden?"
Irmentrud zuckte abermals mit ihren schlanken Schultern.
„Nein. Wissen tue ich es nicht. Aber ich habe da so ein Gefühl. Also, um deine Frage ein drittes Mal zu beantworten. Es gelüstet mich heute danach, dunkelrote Kleidung zu tragen. Wo bleiben die Stoffe?! Na los, spute dich! Oder willst du, dass ich hier bis zur Mittagsstunde unbekleidet in meiner Kammer stehe?"

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Belagerung
Fiction HistoriqueBand II Auf sich gestellt und tief verletzt begibt sich Aveline auf die Rückreise in ihre alte Heimat. Mit einem einzigen Ziel vor Augen: Zurück zu ihren Wurzeln. Ein beschwerlicher und gefährlicher Weg steht ihr bevor, auf welchem sie so manch kuri...