22 - Ostermond

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Bei Essen auf der Strasse, Ostfränkisches Reich

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Es war ein sonniger Tag im ostfränkischen Reich und dünne, faserige Cirren hingen am blauen Himmel. Ein Wagen rumpelte über den Weg, der von Steinen übersät war und den Karren zum Wackeln brachten.

„Du, ähm, kleiner Kröpel! Könntest du bitte etwas mehr auf dem Strassenrand humpeln?! Du hinkst mir im Weg!", rief Faralda von ihrem Karren aus der Gestalt vor ihr entgegen.

Die krumme Person, die aus einem unerklärlichen Grund mitten auf dem Weg ging, reagierte nicht auf ihre Worte. Faralda warf sich genervt ihre roten Haare nach hinten.

„Wenn du mir nicht gleich aus dem Weg krüppelst, muss ich dich leider mit meinem Wagen überfahren! Dann hättest du nebst den futschen Beinen auch noch einen gebrochenen Rücken! Willst du das etwa?!", schrie sie schrill.

Sie hatte keine Zeit für so langsame Schnecken. Schon bevor sie auf diesen Krüppel gestossen war, hatte sie wegen einer alten Frau und ihrem Mann langsamer fahren müssen und davor hatte ihr eine Herde Schafe die Zeit gestohlen. Faralda hatte es eilig und ihr Geduldsfaden war seit dem letzten Freier gerissen, der ewig lange gebraucht hatte, um sich zu ergiessen und Faralda von ihrer Pflicht zu erlösen. Um es freundlich zu formulieren, sie war grottenschlecht gelaunt und giftete jeden an, der ihr im Weg stand. So auch diese Gestalt mit schwarzem Umhang vor ihr.

„Ich warne dich nicht noch einmal!", rief sie wütend, denn die Gestalt schien sie wirklich nicht hören zu wollen.

„Du Depp hast es so gewollt!", knurrte sie und peitschte ihren Esel mit der Rute.

Dieser erhöhte sogleich die Geschwindigkeit und zog den klappernden Wagen schneller hinter sich her. Gefährlich schnell fuhr der Wagen nicht, aber damit konnte Faralda die Gestalt vor sich auf jeden Fall überrollen.

Die Person drehte sich erschrocken um, denn sie musste es gehört haben, dass sich jemand mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit näherte. Unter der schwarzen Kapuze blitzte ein weibliches Gesicht mit hellen Augen auf. Das Antlitz dieser Frau musste einst bezaubernd ausgesehen haben, das entging Faraldas sachkundigem Blick nicht. Aber das Leben hatte die jugendliche Unschuld aus dem Gesicht gewaschen und einen bitteren Ausdruck hinterlassen, den man normalerweise nur auf den Gesichtern unglücklicher Menschen wiederfand.

Anstatt diese Person zu überfahren, beschloss Faralda, ihren zügigen Esel anzuhalten und vom Wagen zu springen. Die Neugierde hatte sie gepackt und wie so oft konnte sie dem Drang nicht widerstehen, nachzugucken und fremde Menschen zu bedrängen.

„Also von hinten machst du nicht so einen tollen Eindruck, aber von vorne haust du ja jeden um! Aber hallo, was für ein Weibsbild!", sagte sie und schritt entschlossen auf die Frau zu.

Diese wich ein paar Schritte zurück, ihre Augen vor Erschrecken weit aufgerissen. Unsicher.

„Keine Sorge, ich fresse dich schon nicht!", lachte die Rothaarige und streckte der Fremden ihre Hand hin. „Ich bin Faralda, die Wanderhure. Und wer bist du?"

Die Frau blinzelte verwirrt und erwiderte Faraldas Lächeln nicht. Die Wanderhure zog ihre Hand wieder zurück. Da war sie wohl einmal mehr zu direkt gewesen, zu männlich. Sie erinnerte sich daran, dass sie schon oft mit ihrer unverblümten Art die Leute regelrecht überfahren hatte. Mit der Tür ins Haus fallen war schliesslich ihre Devise, aber das schien nicht bei jedem gleich gut anzukommen.

„Entschuldige, aber manchmal labert meine Zunge einfach drauflos. Kann ich auch nichts dafür. Ich quassle viel zu viel. Wie ist dein Name, kleine Fee?", bemühte sich Faralda mit etwas weniger überwältigenden Enthusiasmus zu sagen.

BelagerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt