das Vergehen der Zeit

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Sechsundvierzig Minuten und zwölf Sekunden. So lange saß Harry auf Dracos Bett und starrte auf die Uhr.

Sechsundzwanzig Minuten und siebenundfünfzig Sekunden. So viel Zeit war vergangen, seitdem die erste Träne fiel.

Eine Stunde und neun Minuten. So lange schlief er letzte Nacht.

Zwanzig Stunden, siebenunddreißig Minuten und einundfünfzig Sekunden. Sol lange ist es her, dass Harry Potter Draco Malfoy aus ihrem Schlafsaal stürmen und nie zurückkommen sah, nur Harry zurücklassend und sein Herz, das das mit jeder Sekunde etwas mehr brach.

Mit jedem Ticken der Uhr sah Harry Visionen von letzter Nacht, wie Bilder, die seine Erinnerung gemacht hatte. Die Bilder jagten ihn.

Er sah sich selbst, gegen die Wand gedrückt, Dracos starke Arme sperrten ihn ein, sein großer Körper thronte über Harry. Er hatte den Kampf gesucht, sehnte sich danach, etwas anderes als dieser Leere von Schuld und Trauer zu fühlen, die der Krieg in ihm hinterlassen hatte. Sie waren jetzt Freunde, erzwungene Gesellschaft wurde in etwas andere verwandelt, trotzdem passierten kleinlich Streits wie dieser öfter. Beide kannten den Trost, den der andere in dieser zerstörenden Routine von Gewalt fand.

Draco hatte gegrinst und die Wut, die durch Harry geströmt war, explodierte zu einem Ding, von dem Harry wusste, dass es viel gefährlicher war.

Lust.

Plötzlich hatte er Draco am Nacken gepackt und herunter gezogen, ihre Lippen krachten mit einer Dringlichkeit zusammen, die mit dem hektischen Schlagen von Harrys Herz übereinstimmte.

Er fühlte seinen Puls springen, als Dracos Lippen begannen, sich gegen seine zu bewegen.

Er brach fast zusammen, als er die sanfte Berührung von Dracos Fingern spürte, die eine schwarze Locke aus Harrys Augen strichen.

Das erste mal in sechs Monaten, einer Woche und sechs Tagen hörte Harry auf, die Zeit zu zählen. Sein Kopf hörte auf zu ticken und seine Gedanken waren nicht mehr fokussiert darauf, wie lange er nun am Leben war, seitdem der Tod nach ihm gegriffen hatte.

Der einzige Gedanke, der durch seinen Verstand schwirrte, war, dass Dracos Lippen viel weicher waren, als er sich vorgestellt hatte.

Eine Träne fiel auf Harrys Augen, als er daran dachte, wie Draco ihn schnell wegdrückte, dringlich, Mitleid und Schmerz und Reue standen ihm ins Gesicht geschrieben, als er den Abstand zwischen ihnen vergrößerte. Er hatte nichts gesagt, schaute Harry nur an, als wär er ein Kind, als wär er ein Haufen Gefühle, die noch kontrolliert werden mussten, bevor er sich zur Tür bewegte und Harry in ihrem Schlafsaal ließ, das Ticken der Uhr seine einzige Gesellschaft.

Und so war es auch geblieben. Harry hatte Draco seitdem nicht mehr gesehen und, da es Wochenende war, würde er auch in keinen geteilten Unterrichtsstunden die Chance erhalten, den Junge zu sehen, den er endlich einen Freund nennen würde, der jetzt aber wahrscheinlich nie mehr ein Wort zu ihm sagen würde. Das einzige, was sie von nun an teilen würden, war die seltsame, unangenehme Begrüßung und das schwere Gefühl von dem Wissen, das etwas ruiniert wurde, bevor es überhaupt die Chance hatte, heranzuwachsen.

Harry ließ seinen Blick wieder auf die Uhr fallen. Er fragte sich, wie lange seine Brust wohl wehtuen würde. Jetzt gerade fühlte es sich wir ein unendliches Ding an, steif und sicher in seinem Herzen, das genaue Gegenteil der sich immer ändernden Zeit, die er zählte.

Er fragte sich, wie ein Kuss, der nur vierzehn Sekunden andauerte, seine ganze Welt zerschmettern konnte.

Es war genau dieser Kuss, an den er dachte, als er hörte, wie sich die Tür von seinem und Dracos geteiltem Schlafsaal leise schloss und er sich umdrehte, um Draco Malfoy starr mitten im Raum dastehen zu sehen.

Harry Potter - OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt