1. In einer Stadt ohne Namen

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Sie waren in einer verregneten Novembernacht geboren worden, in einer Stadt ohne Namen. Ihre Mutter war bei der Geburt verstorben und das Waisenhaus, in das man sie gebracht hatte, musste wegen Geldmangels schließen als sie acht waren.
Seitdem lebten sie von Almosen und Gestohlenem.
Meistens von Gestohlenem.
Dann wurde Josec krank und Elyna verkaufte das erste mal ihren Körper, um die Medizin für ihn bezahlen zu können. Er erholte sich von der Lungenentzündung, aber er verzieh es sich nie.

An einem warmen Samstag im Sommer ihres elften Lebensjahres saßen sie auf einem der Stege am Fluss und angelten sich ihr Mittagessen. Die Menschen in der kleinen Stadt ohne Namen mieden die Zwillinge, in deren Nähe ständig seltsame Dinge geschahen. Dementsprechend verwundert waren sie als an diesem Tag eine Frau vor ihnen stand. Sie trug einen smaragdgrünen Umhang und ihre grauen Haare waren streng zurückgebunden. Sie versuchte, ihren Schock über die beiden zerlumpten und verdreckten Kinder nicht zu zeigen und lächelte sie freundlich an.
"Seid ihr Elyna und Josec Salwn?", fragte sie höflich und trat einige Schritte auf die beiden zu, hielt jedoch an als diese vor ihr zurückwichen.
Misstrauen spiegelte sich in den Augen des Mädchens, doch es nickte.
Um die Kinder nicht noch mehr zu erschrecken holte die strenge Dame langsam zwei Umschläge unter ihrem Umgang hervor und legte diese vor sich auf den Boden bevor sie ein paar Schritte zurücktrat. "Mein Name ist Professor McGonagall, Lehrerin für Verwandlung, stellvertretende Schulleiterin, und ich bin hier, um euch mitzuteilen, dass ihr in der Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberei aufgenommen wurdet."
Elyna hatte die zwei Briefen aufgehoben, machte aber keine Anstalten, sie zu öffnen. "Wir haben uns an keiner Schule angemeldet", sagte ihr Bruder und trat neben sie. Wenn sie so nah beieinander standen konnte man sie nur schwer auseinander halten.
"Natürlich nicht. Hogwarts ist eine Schule für Menschen mit besonderen Fähigkeiten", begann Professor McGonagall zu erklären. "Euch ist sicher schon aufgefallen, dass ihr ein wenig anders seid als die anderen Menschen in dieser Stadt. Ihr seid Zauberer!" Sie ließ ihnen einen Moment Zeit, um die Nachricht zu verdauen. "In Hogwarts wird euch beigebracht wie ihr mit eurer Magie umgehen könnt, damit ihr weder den Menschen um euch herum noch euch selbst schadet."
Ein seltsames Funkeln schlich sich in Elynas Augen. "Gibt es dort etwas zu essen?", wollte sie wissen. Die alte Dame blinzelte einige Male, nickte jedoch.
"Und was müssen wir dafür tun?", fragte der Junge fast schon resigniert. "Was wollen Sie als Gegenleistung von uns?"
Verwirrt schüttelte die Professorin den Kopf. "Das Essen wird euch ohne Gegenleistung bereitgestellt, immerhin wollen wir nicht, dass ihr in der Schule an Hunger sterbt."
Das Misstrauen kehrte verstärkt in die Augen der Kinder zurück. "Sie wollen uns also helfen, unsere Magie zu kontrollieren und Sie geben uns Essen, ohne etwas dafür zu wollen?" Professor McGonagall schoss der Gedanke durch den Kopf, dass den beiden Kindern wohl noch nie etwas aus reiner Herzensgüte geschenkt worden war und dass sie es daher nicht gewöhnt waren. "Natürlich wollen wir, dass ihr im Unterricht aufpasst und eure Mitschüler gut behandelt", lenkte sie deshalb schnell ein.
Die beiden Kinder beruhigten sich wieder. Dann fiel Elynas Blick auf die Briefe. "Ich fürchte, meinem Bruder und mir fehlt eine wichtige Voraussetzung, um diese Schule besuchen zu können." Sie warf einen Blick zu Professor McGonagall und offenbarte: "Wir können nicht lesen."
Die stellvertretende Schulleiterin seufzte leise. Sie hatte schon so etwas in der Art vermutet, immerhin lebten die beiden Kinder schon seit einer Weile auf der Straße, aber es bestätigt zu bekommen... "Bis zum neuen Schuljahr sind es noch zwei Monate. Ich werde mich mit dem Schulleiter absprechen, damit ich euch bereits während der Ferien im Schloss unterrichten kann. Ihr solltet besser nicht länger als unbedingt nötig hier bleiben." Abfällig wanderte ihr Blick über die zerfallenden Häuser der Stadt ohne Namen. "Ich hole euch morgen Mittag hier ab, packt bis dahin also alles zusammen, was ihr braucht." Sie wussten alle drei, dass die Kinder nichts besaßen, das sie mitnehmen wollen würden, dennoch nickten sie. Professor McGonagall verabschiedete sich und verschwand genauso plötzlich wie sie aufgetaucht war.
Die beiden Kinder sahen sich an, setzten sich wieder auf den Steg und angelten weiter. "Die kommt nicht wieder", murmelte Josec leise.

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Wie bereits in der Beschreibung erwähnt, gehört mir diese Geschichte nicht. Ich lade sie hier mit Erlaubnis meiner Freundin hoch, die die Geschichte auf Fanfiktion.de veröffentlicht (dort zu finden unter selben Titel als Yozora Yokuwa). Ich bin einfach zu begeistert von der Story und dachte mir, ich sollte sie auch einem breiteren Publikum zugänglich machen :)

-Lou

Nicht der Tod wird uns trennenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt