20. Duellierstunden

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Sie standen in einem leeren Klassenraum, in dem vor vielen Jahren einmal Verteidigung gegen die Dunklen Künste unterrichtet worden war. Sie, das waren Mulciber, Avery, Rabastan, Severus, Josec, Regulus, Narzissa und Elyna. Sie hatten auch die anderen Mädchen ihres Jahrgangs gefragt, aber die waren zu beschäftigt mit ihren Hausaufgaben, als dass sie wirklich an den Duellierstunden teilnehmen könnten.
"Ich denke", begann Rabastan, der noch am meisten Erfahrung auf diesem Gebiet hatte, "wir sollten uns in Zweiergruppen aufteilen und zunächst einmal unsere Reaktionsfähigkeiten trainieren. Danach können wir schwerer Flüche lernen und auch ungesagte Zauber üben. Einverstanden?", fragte er in die Runde und alle nickten zustimmend.
Avery tat sich mit Mulciber zusammen, Rabastan mit Josec, Severus mit Regulus und Narzissa mit Elyna.
Sie hatten den Raum zuvor mit Kreide in vier gleichgroße Bereiche eingeteilt, damit sie sich nicht in die Quere kamen. Elyna und Narzissa positionierten sich am Rand des Raumes. Dort verbeugten sie sich zunächst voreinander und blieben einige Sekunden einfach stehen, bis Elyna als erste den Zauberstab hob und rief: "Expelliarmus!"
"Protego!", hielt Narzissa sofort dagegen und wehrte somit den Zauber ab.
"Stupor!"
"Protego!"
"Depulso!"
"Protego!"
"Confringo!"
"Protego!"
"Expulso!"
"Protego!"
Elyna ließ ihren Zauberstab ein wenig sinken und sah Narzissa schief lächelnd an. "Willst du vielleicht mal einen anderen Zauber als "Protego" probieren?"
Die Blonde wirkte eher verunsichert, nickte allerdings. "Stupor", sagte sie nicht besonders überzeugend. Dementsprechend traurig sah auch der Zauber aus, der wackelig auf Elyna zuflog und noch bevor er sie treffen konnte erlosch. "Du musst schon meinen, was du sagst", riet sie ihrer Freundin. "Versuch es nochmal."
Narzissa schüttelte den Kopf. "Ich will dich nicht verletzen."
"Wirst du nicht. Ich kann auch den ein oder anderen Schutzzauber, weißt du?" Elyna lächelte, hob ihren Zauberstab und nickte der Blonden zu.
Narzissa sah noch immer nicht glücklich aus, aber sie wagte einen neuen Versuch. Dieses Mal war der Zauber schon nicht mehr ganz so schwach und erreichte sogar Elynas Schild.
In dieser ersten Stunde übten die beiden Mädchen den Stupor-Zauber bis Rabastan sie unterbrach. Elyna zeigte Narzissa wie sie den Zauber richtig ausführte - die konkrete Handgelenkbewegung, die exakte Ausprache und Betonung - und die Blonde erklärte ihr daraufhin wie sie ihren Schutzzauber verbessern konnte.
Nach der Stunde gingen sie gemeinsam in die Bibliothek. Sie hatten schnell gemerkt, wo ihre Interessen und Begabungen lagen. Narzissa suchte sich deshalb Bücher über Schutz- und Heilzauber, während Elyna nach Angriffszaubern Ausschau hielt. Sie ging gerade an einem Regal entlang, in dem nichts vielversprechendes zu finden war, als sie in jemanden hineinlief. "Oh, Ent- Remus." Sie sah in seine moosgrünen Augen und verspürte plötzlich das Bedürfnis, ihn zu schlagen. Sie hatten sich seit dem Vorfall auf dem Korridor nicht mehr gesehen. Kühl erwiderte sie seinen schuldbewussten Blick und schob sich ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei.

In den nächsten Duellierstunden übte sich Elyna an neuen Flüchen, die großen Schaden anrichten konnten. Außerdem lernte sie schnell, wie man zauberte ohne die dazugehörigen Worte auszusprechen.
Narzissa lernte inzwischen verschiedene Schutzzauber und auch zunehmend kompliziertere Heilzauber, weil die Jungs sich immer öfter gegenseitig verletzten.
Manchmal bestritten sie Viererduelle, in denen beispielsweise Josec und Rabastan gegen Narzissa und Elyna kämpften. Die beiden Mädchen waren ein eingespieltes Team und verloren nur selten gegen die beiden Jungs. Narzissa wehrte die ganzen Zauber ab und Elyna griff an. Da die Jungs nur unzureichende Schutzzauber beherrschten, wurden sie des öfteren von diversen Flüchen getroffen, doch die Schwarzhaarige achtete darauf, dass keine allzu schlimmen Schäden zurückblieben.
Elyna und Josec merkten schnell, dass sie ein viel höheres Magielevel besaßen als ihre übrigen Freunde. Während diese nämlich bereits atemlos auf dem Boden saßen, duellierten die Zwillinge sich noch mindestens eine Stunde länger.

An einem Freitagabend Anfang Dezember wollten sie aus Jux etwas neues ausprobieren. Elyna und Josec positionierten sich in der Mitte des Raumes, Rücken an Rücken. Mulciber, Severus, Rabastan, Avery, Regulus und Narzissa verteilten sich im Kreis um sie herum.
"Wollt ihr das wirklich machen?", fragte Narzissa besorgt.
Elyna sah ihren Bruder an und er nickte grinsend. "Wo wäre der Spaß ohne ein bisschen Spannung?"
Rabastan schoss den ersten Zauber auf Josec ab, dann sprach Mulciber einen Fluch auf Elyna. Auch die restlichen vier begannen nun, die Zwillinge mit ungesagten Flüchen zu bombardieren. Dabei sprachen sie selten Schutzzauber und wichen stattdessen lieber aus, um Energie zu sparen. Bei Elyna und Josec wirkte diese Taktik nicht, denn wenn einer von beiden einem Fluch auswich, würde dieser den anderen treffen.
Elyna sah nur selten, gegen welchen von ihren sechs Freunden sie eigentlich kämpfte, da diese sich bei dem ungleichen Kampf zusätzlich im Kreis bewegten. Mit ihrer Zauberstabhand (der rechten) feuerte sie Fluch um Fluch auf ihre Gegner ab, während sie mit der linken die Zauber ablenkte, sodass diese die Decke, die Wände oder eines der Fenster trafen. Manchmal beschwor sie auch einen kleinen Schutzschild, damit sie eine Sekunde Zeit hatte, ihre Gedanken zu sammeln. Dann ging es weiter.
Es war anstrengend und es dauerte lange. Doch irgendwann begannen die sechs Angreifer ihre Deckung zu vernachlässigen. Elyna konnte spüren, dass ihr Magielevel abnahm, sie waren erschöpft. Ihre Bewegungen wurden langsamer, die Zauber schwächer und sie sprachen immer häufiger ihre Flüche laut aus.
Elyna richtete ihre Aufmerksamkeit stark auf Rabastan und behielt Narzissa und Avery nur noch wie nebenbei im Blickfeld. Die beiden nutzten die Pause um zu verschnaufen und als Narzissa gerade erschöpft die Augen für eine Millisekunde schloss, richtete die Schwarzhaarige ihren Zauberstab auf die Freundin und rief: "Stupor!"
Narzissa konnte nicht mehr rechtzeitig reagieren, sie wurde von dem Zauber getroffen und an die Wand geschleudert. Dort blieb sie reglos liegen, doch Elyna sah, dass sie regelmäßig und ruhig atmete. Es schien alles in Ordnung zu sein.
Durch den plötzlichen Verlust von Narzissa und der Lücke, die sich dadurch bot, waren die restlichen fünf Angreifer abgelenkt. Elyna sah aus dem Augenwinkel, dass Josec Regulus mit einem Fluch zu Boden schickte. Sie selbst rief in diesem Moment: "Petrificus Totalus!" Avery wurde von dem Zauber getroffen und kippte steif wie ein Brett um.
Von den Angreifern waren nun nur noch Severus, Rabastan und Mulciber übrig. Die drei erholten sich schnell von der plötzlichen Dezimierung ihrer Reihen, sie formierten sich neu und gewannen ihre alte Konzentration zurück. Doch auch Elyna hatte nun neue Motivation gewonnen. Sie drückte sich etwas mehr an Josec, sodass sie seine Bewegungen spürte. Als Rabastan einen Schockzauber auf sie abfeuerte, lenkte die diesen mit ihrer linken Hand an sich selbst und an dem nach rechts geneigten Körper ihres Bruders vorbei und warf ihn hinter sich. Mit Genugtuung hörte sie den überraschten Aufschrei von Severus und danach ein dumpfes Geräusch, wie von einem Körper, der auf dem Steinfußboden aufprallte.
Josec nutzte die allgemeine Verwunderung und sandte Mulciber mit einem Lähmungsfluch zu Boden. In diesem Moment schickte Rabastan einen letzten Fluch auf Josec ab, bevor er selbst von einem Zauber seiner Verlobten getroffen wurde. Josec wich dem Fluch instinktiv aus und so traf er Elyna in Höhe ihres Fußgelenkes. Der kurze Schmerz war nicht weiter erwähnenswert.
"Wir haben gewonnen", hauchte sie überrascht.
Josec nickte zufrieden. "Komm, lass uns die anderen von ihrem Elend erlösen."
Elyna weckte Rabastan mit einem kurzen "Enervate" auf, bei Avery reichte ein "Finite". Narzissa war inzwischen von alleine aufgewacht, konnte sich aber kaum bewegen.
"Alles in Ordnung?", fragte Elyna besorgt.
Die Freundin lächelte nur schwach und winkte ab. "Ich habe nur zu viel Magie verbraucht, mein Körper braucht wohl eine Pause."
Als Elyna sich umblickte, entdeckte sie dieselbe Erschöpfung auch bei Rabastan, Mulciber, Avery und Regulus. Severus schien ebenfalls ziemlich angeschlagen, wenn auch nicht wie halb tot. Nur Josec und ihr selbst schien es trotz des beinahe zweistündigen Kampfes noch immer gut zu gehen.

Sie brachten ihre Freunde in ihre Schlafsäle, weil sie im Krankenflügel zu viel Aufmerksamkeit erregt hätten. Severus und Josec wollten unauffällig bei Slughorn um Stärkungstränke bitten und so blieb Elyna alleine im Slytheringemeinschaftsraum zurück. Erst jetzt rollte sie ihre linke Socke hinunter, um nachzusehen, ob Rabastans Zauber vielleicht doch größeren Schaden angerichtet hatte. Überrascht hielt sie in ihrer Bewegung inne.
Seit sie denken konnte trug sie ein silbernes Fußkettchen. Sie hatte schon unzählige Male versucht, es von ihrem Fußgelenk zu lösen, doch es hatte nie funktioniert - weder mit Muggeltechnik noch mit Magie, deshalb hatte sie irgendwann aufgegeben. Und jetzt hatte es sich einfach so durch Rabastans Zauber gelöst.
Elyna nahm die silberne Kette in die Hand und hob sie leicht an. Sie war schwerer als sie aussah.
Einem plötzlichen Impuls folgend, hob die Schwarzhaarige ihren Zauberstab, richtete ihn auf die Kette und sprach: "Finite Incantatem."
Und tatsächlich verwandelte die Kette sich in ein kleines Fläschchen, oder eher eine kleine Phiole. Darin wabberte eine bläuliche Flüssigkeit hin und her.
Elyna zerbrach sich den Kopf darüber, was es damit auf sich haben könnte, aber es fiel ihr einfach nicht ein. Am Rande ihrer Gedanken schien die richtige Lösung herumzuschwimmen, doch sie konnte sie nicht erfassen.
Als sie am Abend neben einem völlig erschöpften Rabastan lag, fiel es ihr schließlich wie Schuppen von den Augen.
Es war eine Erinnerung!

Nicht der Tod wird uns trennenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt