»Du wirst dieses Telefon nur nutzen, wenn es irgendein Notfall gibt, verstanden?«, erklärt mir Savio zu hundertstens mal.
Ein Nicken scheint ihm nicht zu genügen, zu sehr bohrt sich mein Blick in seinen. Es ergibt keinen Sinn, dass er auf ein Notfalltelefon beharrt, wenn er genau gegenüber von mir arbeitet. Ich könne mir sogar vorstellen, dass er schon längst dafür gesorgt hat, dass wir gemeinsam Pause haben. Oh Gott, wirds mir bewusst, das wäre schrecklich!
Mit einer aufdringlichen Geste hält er mir das Telefon vor die Nase. Hoffentlich fällt wenigstens eine Karre auf ihn drauf, wenn er gerade dabei ist, es zu reparieren.
»Okay! Hab's verstanden«, sage ich ein bisschen im Ton vergriffen und reiße ihm das Telefon aus der Hand. Aus welchem Jahrhundert hat er das denn gestohlen?
»Dann mal los, du bist schon zehn Minuten zu spät.« Mit seinen Händen scheucht er mich einige Schritt nach vorne. Will er mich verarschen? Erst verpasst er mir diese Fußfessel, dann scheucht er mich vor sechs Uhr morgens aus dem Bett und jetzt bin ich der Grund für unsere Verspätung?
Kaum merklich schüttle ich meinen Kopf und versuche, meinen Frust runterzuschlucken. Dabei kitzelt es gerade in meinen Fingern, ihm die Zigarette zwischen den Lippen zu ziehen und ohne sie auszutreten, in seinen Hintern zu stecken. Der einzige Grund, der mich aufhält, sind die Leute um uns herum.
Ein dumpfer Laut ertönt, als meine Solen über den Dielen des Piers rollen. Es ist eine gigantische Fläche, die auf Pfeilern steht und uns über Wasser hält. Jede Hütte ist hier aus demselben Holz geschnitzt wie der Pier an sich. Einfach gigantisch, staune ich innerlich über den Fakt, dass diese große Fläche von einzelnen Pfosten getragen wird, und dennoch Autos und sonstige schwere Lasten an Land gehalten werden.
»Guck«, flüstert Savio neben mir und zeigt auf eine kleine Holzhütte, an der ein Rettungsring, sowie einige Fischernetze hängen. »Das ist ›Nicos Schatzkiste‹ und er wartet sogar schon auf dich.«
Ein alter Mann lässt sich gerade auf die Bank nieder, die vor der Hütte steht, als er uns erblickt und sich wieder aus den Knien erhebt. Durch die befleckte Latzhose sieht er noch kleiner aus, als er eigentlich ist. Mit seinen Fingern fährt er sich durch die graue Gesichtsbehaarung, die um einiges länger ist als der Dreitagebart von Savio und kommt langsam auf uns zu.
»Nevio?«
Automatisch kräuseln sich Savios Mundwinkel, als wir dem älteren Mann, ich meine Nico, näher kommen.
»Nico, du altes Haus!«, begrüßt er ihn mit offenen Armen.
Der Fischer fängt an zu lachen und nimmt sein Gegenüber ebenfalls in eine brüderliche Umarmung. Gegenseitig klopfen sie sich auf die Schulter, bis sie sich voneinander lösen.
»Groß bist du geworden«, merkt Nico an. Er lässt seinen Blick über Savio gleiten, ehe er zu mir schaut. Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen empfängt er auch mich. »Doch Pünktlichkeit ist ihm immer noch fremd.«
Mir entkommt ein grunzendes Geräusch, weswegen ich schnell meine Lippen aufeinanderpresse. Wie es sich gehört, reiche meinem zukünftigen Arbeitgeber die Hand entgegen, die er mit einem breiten Grinsen annimmt.
Ein eher miefender Geruch kriecht mir in die Nase. Ist das toter Fisch? Oh scheiße, denke ich mir, als ich die Hände von Nico blicke, was hat der alles schon angefasst? Die Vorstellung alleine sorgt dafür, dass mir die Galle hochkommt und ich mich gerade noch so fange, um nicht vor ihm zu würgen.
Habe ich schon einmal erwähnt, dass ich Fisch über alles in der Welt hasse? Von Fischstäbchen ganz zu schweigen, die mir bei den Gedanken alleine den Magen umdrehen ...
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Diskussion
AdventureBand 3* »Er trägt ein Lächeln, geladen wie eine Waffe.« Die Anonymität der Masse kleidet Karoline genauso gut wie der Bildschirm, hinter dessen sie ihr wahres Gesicht versteckt. Unter »Veritas« richtet sie sich eigentlich gegen die staatliche Zensu...