4 . . . rollenspiele

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Es ist der Geruch vom Meer.

Der Duft, der mir das Gefühl von Freiheit gibt und mich bei jedem Atemzug, den ich meine Lunge mit Luft füllen, unbeschwerter vorkommen lässt. Meine Haut wirkt trocken vom Salz, ohne dem Gewässer wirklich nah gekommen zu sein.

Vor wenigen Minuten sind wir auf Nantucket Island angekommen und schon fahren wir mit dem Kätzchen die Main-Street entlang. Würden wir ein Cabrio fahren, dann hätte ich meine Hände ausgestreckt und meine Haare im Wind wehen lassen. Doch ich habe auch nichts dagegen, meinen Arm aus den offenen Fenster hängen zu lassen wie Marshal Ballini.

Ich kräusle meine Nase, die durch das Salz zu kribbeln beginnt. »Nantucket Island hat meine Erwartungen übertroffen«, gestehe ich und staune der jungen Frau mit der gebräunten Haut hinterher.

Und wie es meinen Erwartungen übertrifft!

Marshal Ballini lässt seine Finger auf das lederüberzogene Lenkrad trommeln und schenkt mir einen kurzen Blick, den ich nicht einmal deuten kann, da er eine Sonnenbrille mit verdunkelten Gläsern trägt. Er guckt wieder auf die Main-Street, neben der die meisten Leute mit Surfbrettern und Drinks in den Händen entlang gehen.

»Manchmal lohnt es sich, hinter den Bildschirm hervorzukriechen«, kommentiert er ohne jeglichen Schwung von Emotionen in der Stimme. Obwohl mir der indirekte Angriff bewusst ist, winke ich nur ab.

»Ja, ja«, nuschle ich und wende mich wieder dem Blick des Horizontes zu.

Der Himmel strahlt in frische, weist keine einzige Wolke auf. Vor meinen Augen erscheinen dunkle Punkte, weil ich zu lange in die Sonne geguckt habe. Eins ist klar: Ich muss mich definitiv an die Insel gewöhnen, denn ich bin von ziemlich fester Überzeugung, dass selbst die Sonnenmilch mit Lichtschutzfaktor 50+ mich nicht vor der teuflischen Hitze schützen wird. Obwohl ich eigentlich oft als Kind draußen war, hatte ich schon immer die Probleme mit den Sonnenbrand und meiner zu empfindlichen Haut.

Tanze mit den Wellen, bewege dich mit dem Meer und lass deine Seele beim Rhythmus des Wassers frei, ertönt eine beruhigende Stimme in meinem Gedächtnis und weckt Erinnerungen in mir. Damals habe ich den Strand mehr als geliebt und man musste mich immer aus dem Wasser zerren, wenn die Feuerquallen zu nah ans Ufer kamen oder Ungewitter aufzog. Keine Welle war mir zu monströs, kein Unwetter zu gefährlich und keine Quallen zu giftig, um freiwillig aus dem Wasser zu kommen. Ich habe es geliebt und der schimmernde Anblick vom Meer, wenn das Wasser die Sonnenstrahlen bricht, lässt mein Herz wieder höher schlagen.

»Was grinst du so?« Hm? »An was denkst du, dass du so grinst?«, möchte Ballini wissen.

Ich atme schwer aus, bevor ich meine Lunge mit der Salzluft fülle. »Keine Sorge, du hattest in meinen Gedanken noch was an«, lüge ich und meine Mundwinkel zucken weiter in die Höhe. »Das Kondom über-«

»Wie schmeichelhaft, dass ich dich selbst in deinen Gedanken unterhalte«, hustet er und übertönt den sommerlichen Hit aus dem Radio.

»Nicht wahr?«

»Mir gehen deine Sprüche zwar am Arsch vorbei, doch du solltest aufpassen, was du sagst«, zetert Ballini, der einen kurzen Blick in den Rückspiegel wirft. »Sonst verschreckst du die Bewohner, bevor du überhaupt einen Tag auf dieser Insel verbracht hast.«

»Du bist echt ein schlechter Lügner, hat dir das schon mal jemand gesagt?«

Wir überholen Fahrradfahrer, die auf der Straße statt auf dem Radweg fahren, da dieser von den Einwohnern blockiert ist.

»Hat dir jemand schon mal gesagt, dass deine hohe Stimme ziemlich auf die Nerven geht?«, stellt er die Gegenfrage.

Ich verdrehe die Augen und lehne meinen Kopf gegen die dementsprechende Lehne. »Nein, normalerweise fahren die Männer immer drauf ab, wenn ich ihnen etwas ins Ohr flüstere oder-«

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