22 . . . unbekannter frauenbesuch

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Nie hätte ich gedacht, dass Arbeit einen wirklich von den Hirngespenstern ablenken kann, die einem die Gedanken im Kopf verschleiern. Wahrscheinlich, weil ich bis vor kurzem nicht einmal einen Grund hatte, zu arbeiten. Entweder ich habe Informationen an investigativen Journalisten geliefert, bestimmte Zahlungen auf mein Konto in der Schweiz geleitet oder mir auf einer improvisierten Art Geld verschafft. Doch meine Hände wirklich dreckig gemacht, habe ich mir nie.

Vielleicht ein Vorteil, dass ich Fisch in meinen Händen habe statt die Finger auf der Tastatur, auf der Suche nach Antworten, die wahrscheinlich noch nicht beantwortet werden sollen. Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass es so ist. Denn momentan läuft nichts nach Plan – überhaupt nichts. Dadurch, dass ich dafür gesorgt habe, dass jeder meiner Schritte auf dem Computer bei Mike's extra verschlüsselt werden, würde ich nicht einmal meine eigenen Schritte so einfach entschlüsseln können. Das dann noch in einer Stunde, was bekanntlich die Laufzeit der Stromfressendenmaschine von Mike ist, scheint selbst für mich weit entfremdet. Seitdem ich darauf gehauen habe, mag mich dieser Schrotthaufen mit den paar Kabeln sowieso nicht.

Ein Glück, dass das kalte Metall des USB-Sticks mein Dekolleté kühlt. Hätte ich durch diesen kleinen Datenträger nicht meine Fortschritte gespeichert, wäre nicht nur der Computer von Mike in Rauch aufgegangen. Oh nein, ich hätte diese ganze verdammte Insel in Brand gesetzt, weil man nicht einmal einen vernünftigen Zugang hat, wie es in anderen Städten wie New York kaum ohne gehen würde. Verfickte, verfluchte und vom Teufel eingenommene Insel!

»Wenn du noch wütend bist, solltest du es nicht an der Ware auslassen.«

Vor Schreck zucke ich zusammen. Heilige Scheiße!

»Nico!«, beklage ich mich. Noch immer mit dem Hackballen in der Hand, fasse ich mir ans Herz, dessen Schlag auf einmal ausgesetzt hat. »Wenn beim Nächsten Mal etwas in deine Richtung fliegt, hast du es selbst zu verantworten!«

Ein raues Lachen wandelt sich in ein kaum Luft kriegendes Röcheln. Eben noch lehnte er am Türrahmen der Eingangstür dieser Holzhütte, stößt er sich jetzt davon ab und stützt sich auf seinen neuen Gehstock. »Ich erinnere dich nur daran, dass du deine Wut nicht an Lebewesen auslassen solltest.«

Wie bitte? Vor mir liegt ein Fisch mit silbernen Schuppen und einem aufgeschlitzten After bis zu den Kiemenflossen. Dieses Ding ist sowieso schon tot, was soll der Fisch noch an Schmerzen spüren? Zumindest hoffe ich, dass die trotz Tod kein Schmerz verspüren. Bei Mutternatur weiß man ja nie ...

»Wenn du willst fange ich an, mit den toten Tieren zu sprechen ...«, schlage ich breitgrinsen vor. An der Rückenflosse hebe ich den aufgeschlitzten Fisch in Richtung von Nico, der nicht mehr in Sichtweite ist. »Um sie zu besänftigen«, beende ich meinen Satz kaum hörbar.

»Nico?« Wo ist er denn hin?

Den Fisch und das Hackballen lasse ich auf dem Tisch fallen, um nach draußen zu gehen. Nur um Nico auf der Bank sitzen zu sehen: Die Hände auf dem Gehstock abgestützt und die Pfeife zwischen den Lippen klemmen.

Meine Hände stützen meine Hüfte. »Außer Atem, hm?«

Ein zuvorkommendes Lächeln umspielt seine Lippen und es reicht aus, als Einladung zu dienen, mich neben ihn zu setzten. Er nimmt die Pfeife in die Hand und ein krächzender Laut entkommt seiner Kehle. »Die Hitze wird immer unerträglicher.«

Ich beuge mich zu ihm vor, drücke seine Schulter motivierend. »Und ich habe dir gesagt, dass du dir Zeit zum Atmen nehmen kannst, vergessen? Ich kriege die Fische mittlerweile alleine hin.«

Abwiegend wie zutreffen meine Worte sind, neigt er dementsprechend seinen mittlerweile weißen Kopf. »Ich bin mehr Last als Hilfe, hm?«

Dieser Ausdruck ist mir mehr als bekannt. In ihm spiegelt sich die Furcht, für mehr Arbeit zu sorgen, als sie zu beseitigen ist. Denn mit demselben Überlegungssinn haben mich die Jugendbetreuer betrachtet, wenn neue Familien kamen. Wird sie mit ihrer aufdringlichen Art schon wieder die Interessenten in die Flucht schlagen? Wäre es besser, wenn wir ihr den PC erlauben, damit die anderen wenigstens eine Chance auf eine neu Beginn haben? Weshalb sollten wir ihr von neu angekündigten Familien erzählen, wenn sie uns mehr arbeit macht, indem man sie nach wenigen Wochen wieder zurückbringt, anstatt sie für einige Tage schmollen zu lassen? Sorge um Misserfolg nennt sich dieser gewisse Schimmer von Bedacht in den Augen. Fragen, die hinter verschlossenen Lippen nur stumm ausgesprochen werden und umso schmerzvoller einen Dolch ins Herz rammen.

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