»Danke, für Ihre Unterstützung.« Zum Abschied schenke ich der Krankenpflegerin ein Lächeln.
»Immer wieder gerne! Auch, wenn ich hoffe, dass wir uns in näherer Zukunft nicht sehen müssen.«
»Das bezweifle ich.« Gelogen.
»Gute Reise, Ms Murphy.«
Auch ich nicke ihr zu. »Auf Wiedersehen, Daniela.«
Die Reisetasche auf meiner Schulter wiegt ungefähr genauso viel wie Lüge, die mir mühelos über die Lippen geflogen ist. Anscheinend kann ich Anflüge von jeglichen Empfindungen widerstehen. Wer glaubt wird selig. Ich erwische mich selbst dabei, wie ich mir auf die Zunge beiße.
Ja, in meinem Kopf wütet seit dem Besuch vom Chief ein ungebändigter Sturm an Verzweiflung und chaotischen Emotionen, durch die ich keinen klaren Gedanken fassen kann. Desgleichen habe ich auch die ganze Nacht damit verbracht, über mein Zusammentreffen mit Savio, ich meine Nevio, nachzudenken. Nein, das war gelogen (schon wieder). Vielmehr habe ich mir den Kopf darüber zerschlagen, wie ich ihn am besten aus dem Weg gehen kann.
Er hat mich dennoch im positiven geprägt, entsteht eine Fiktion in meinen Schädel. Offenbar funktioniert mein Kopf nach der leichten Gehirnerschütterung immer noch eingeschränkt. Vielleicht hat er mir das Leben gerettet, wofür ich ihn auch unglaublich dankbar bin, aber ... im selben Atemzug hat er mir alles genommen. Als ich meine Augen schloss, bemerkte ich, welche Leere eigentlich in mir herrscht. Mein verdammtes Ego, was mir damals nicht nur zum guten Sex verholfen hatte, sondern auch den Charme für belangreiche Aufträge bot, löste sich in Luft auf. Er hat mein Vertrauen nicht nur ausgenutzt – er hat es derart durch Dreck gezogen und missbraucht, dass ich mir nicht mal selbst Glauben schenken kann.
Der Grund für das Brennen meiner Augen und die Trägheit ist er: Nevio Ballini, der Mann, der zu meiner größten Bedrohung wurde, indem er mir alles genommen hat, wofür ich stand.
Genau dieser Mann, der Dieb meines Selbstbewusstseins, meines Verstandes und meines Herzens, steht mir gegenüber. Mich rumpelt ein älterer Mann an, weil ich vor Erstaunen stehen bleibe.
Keine Frage, er ist es.
Ihm liegt das dunkle Haar wellig auf dem Kopf, was sich so weich anfühlte, als er es mir hart besorgte. Unbewusst finde ich mich bei seinen sündhaften Lippen wieder. Eisig jagt es mir die Wirbelsäule hinunter. Wieso ist er hier? Wieso ist er immer noch so umwerfend?
Nein, das ist falsch! Die alte Karoline würde ihn die Brust aufschlitzen, die Rippen brechen und ihm das Herz entreißen, im Gegenzug, weil er mir meins gebrochen hat. Im DarkNet alleine könnte ich die Garantie bekommen, dass diese rachedürsternde Aktion wenigsten ein Paar Bitcoins wert ist. Deswegen und noch einige andere Gründe müssten mich überzeugen, genau das zu machen, nur ... läuft nichts nach Plan. Wortwörtlich.
Vollkommen versteift, kriege ich gerade Mal einen Schritt in Richtung Taxi. Ich sehe ihn nicht, ich sehe ihn nicht, ich sehe ihn nicht!
»Karoline.«
Weiterhin wiederhole ich die Parole: Ich sehe ihn nicht, ich sehe ihn nicht, ich ...
In einem Moment höre ich die scharf eingezogene Luft in meiner Lunge pfeifen und im anderen nehme ich gar nichts wahr, weil es einfach viel zu schnell geht. An meinem Handgelenk werde ich nach hinten gezogen, gewirbelt und pralle unsanft gegen was Hartes, wegen dem ich Sterne sehe.
»Autsch«, beschwere ich mich über den Zusammenprall. Der pochende Schmerz in meiner Schläfe mindert sich beim Massieren. Dann zischt ein markerschütternder Schmerz durch meinen ganzen Körper.
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Diskussion
AdventureBand 3* »Er trägt ein Lächeln, geladen wie eine Waffe.« Die Anonymität der Masse kleidet Karoline genauso gut wie der Bildschirm, hinter dessen sie ihr wahres Gesicht versteckt. Unter »Veritas« richtet sie sich eigentlich gegen die staatliche Zensu...