31 . . . aufregende fahrt

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Unmengen Gedanken jagen mir durch den Kopf, hindern mich daran, den Start wahrzunehmen. Oder vielleicht ist es einfach die Schnelligkeit, mit der Savio angefahren ist? Einen Wimpernschlag. Es dauerte einen Wimpernschlag; ich habe nichts durch die geschlossenen Lider gesehen und trotzdem höre in dieser Binnensekunde unglaublich viel auf einmal, dass es mich überfordert.

Savio schaltet so schnell, dass man gar nicht wahrnimmt, wie er den Fuß von der Kupplung genommen hat und einen anderen Gang einlegte. Unfassbar. Versunken in dem Geschehen fällt seine Stirn in tiefe Falten. Mit zu Schlitzen geformten Augen, beobachtet das Autos hinter, neben und vor uns.

»Festhalten«, warnt er mich.

Zweiter Gang.

Scharfes Abbremsen.

Eineinhalb Lenkumdrehungen.

Ein Kampf gegen die Schwerkraft.

Mir wird ganz schwarz vor Augen, weil ich unbewusst die Luft angehalten habe. Eben waren wir noch hinter einigen Autos, urplötzlich nehme ich unsere Rivalen im Rückspiegel wahr. Nicht mal um die Kurve, beschleunigt Savio von null auf hundert, wodurch man in den Sitz gedrückt wird.

Um uns herum leuchten Lichter in den einzelnen Wohnungen auf, was man kaum wahrnehmen kann, so schnell heizen wir über die Straßen Nantucket Islands. Den Laptop drücke ich mehr in meinen Schoß, suche mit der anderen Hand den Komfortgriff über die Tür.

Doch das bringt nichts.

Der Nachdruck unterstützt uns beim Abbiegen, pustet uns um die Ecke. Wir rutschen mit den Reifen weiter in Fahrbahnmitte, werden förmlich weggefegt.

»Fuck«, fluche ich beim Luftschnappen. Wegen des glatten Leders unter meinen Hintern, rutsche ich gegen die Tür. Der Laptop, schießt es mir durch den Kopf; ignoriere die Schmerzen, die bei Kollidieren meines Schienbeines mit der Beifahrertür ausgehen.

Es war eine Einladung für die Idioten hinter uns, die definitiv schärfer die Kurve genommen haben. Eine Chance, die sie sofort verwirklichen.

Neben mir wirft Savio einen kurzen Blick in den Spiegel, und flucht ungehalten drauflos: »Sugha me la minghia!« Lutsch meinen Schwanz!

Unerwartet lenkt Savio wieder in Richtung rechten Fahrbahnrand, wodurch ich wieder mal gegen die Seite gedrückt werde. Jedoch nützt es nichts, denn der limongrüne Schlitten hinter uns, nutzt den Windschatten aus. Mit einem gewaltigen Ruck schafft es Savio gerade noch so, reflexartig auszuweichen. Sonst ... Stop, Line, halte ich mich von dem Gedanken ab, wir werden das hier schaffen. Unfallfrei.

Savio wird seinen Teil meistern, er ist der Beste in diesem Gebiet, genauso wie ich die Beste in meinem Gebiet sind. Jeder rote Punkt färbt sich grün, sobald die Kameras in unseren Radius eindringen. Wie programmiert schalten sie sich aus – werden von dem Sender unter dem Wagen gestört. Nur traue ich mich nicht, die Lippen voneinander zu trenne, um Savio diese Nachricht zu überbringen.

Er ist wie weggetreten, frei gelassen in einer Welt, in der es für ihn nur eins gibt: kein Limit.

Mir fröstelt es. Eine dunkle Maske verbirgt jene feinfühligen Emotionen, mit der mir Savio sonst Anerkennung schenkt. Er wirkt kalt, fremd und unnahbar. Wie der Wolf das Lamm auf die Schlachtbank treibt, jagt Savio den Überholer hinterher; beleckt seine Fangzähne, als könne er das Beutes' Blut schon längst schmecken. Nun ist das Hämmern meines Herzens nichts mehr im Gegensatz zur Geschwindigkeit, die uns fast schon über den unebenen Asphalt schweben lässt.

Wir heizen.

Immer schneller.

Nein, diese Karre kennt wohl keine Geschwindigkeitsbegrenzung.

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