30 . . . das rennen

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Meine Zunge schellt hervor und leckt mir die verbleibende Süße von den Lippen, die vom Energydrink verblieb. Oder besser gesagt: von den vier Energydrinks, die ich, ohne mit der Wimper zu zucken, einen nach den anderen hinuntergespült habe. Bei der Erinnerung an meinen letzten Engerykonsum, dominiert das Gewissen, wie viel ich mit dem Zucker in meinem rauschenden Blut geschafft habe. Erst jetzt fällt mir wieder ein, was dieses Getränk eigentlich bei mir bewirkt. Mein Puls überschlägt sich förmlich, und ich spüre das Adrenalin durch meine Halsschlagader strömen. Es elektrisiert mich, ruft eine Intensität an Vigilanz in mir hervor, dass mir jedes noch so kleine Detail auffällt.

Zunächst habe ich geglaubt, die uns genannten Koordinaten führen zu einem abgelegenen Ort. Es ist Gelände auf dem nichts Weiteres außer Bauschutt und sonstige Haufen von Schrott gelagert werden; eine abgelegene Gegend auf dieser Insel. Nichts Einzigartiges, höhne ich über meine Naivität. Flammenähnliche Lichtquellen leuchten unweit von uns, erhellen das sonst verlassene Viertel. Ebenfalls lenkt die laute Musik Aufmerksamkeit auf unseren Treffpunkt.

Die Straßen werden lebendig, nehmen den bebenden Bass der Boxen auf und verkörpern diesen Schall. Mein Herz schlägt und setzt im selben Takt der Musik, was ein eher unangenehmes Gefühl ist. Zwischen den italienischen Worten, die man teilweise durch die Entfernung mitbekommen, wecken Motorgeräusche das Interesse in einen.

Gleich ist es so weit.

Der Wille dieser Bastarde wird gestillt, was ich immer noch nicht ganz glauben kann. Diese Wichser, führe ich die Schimpftirade in meinen Gedanken weiter. Wieso fühlen sich die einzigen Optionen immer so falsch an? Keine andere Auswahlmöglichkeit zu besitzen ist grausamer als eine viel grausamere Möglichkeit. In diesem Fall könnte man wenigstens noch über das ›Was wäre wenn ...‹ nachdenken. Jetzt herrscht jene Entscheidung, und ihre Folgen in meinen Gedanken.

Mir hat Savio geschworen, mich nicht alleine zu lassen. Gott mögen mich bewahren, denn er hat vergessen, dass er genauso ein Freak ist wie diese Idioten, die uns erwarten. Doch genauso habe ich ihn eins geschworen: Wenn jemand ihn in irgendeiner Weise verletzt oder unerwünscht näherkommt, zögere ich keine Sekunde dieser Person den Hals aufzuschlitzen. Die versteckten Messer drücken unangenehm gegen meine Schienbeine. Ein Stechen, was durch das Adrenalin in meinen Adern verstärkt wird.

Hoffen wir mal, dass die Messer nicht zum Einsatz kommen müssen. Nicht nur zum Schutz der anderen, bis dato machte ich die Bekanntschaft mit Messern lediglich in der Küche. Deswegen hoffen wir mal, meinen Schutz zugute, denn meine Fertigkeit in der Küche ist weniger überwältigend. Keine Sorge, rede ich mir ein und wiederhole die Parole wie so oft schon in dieser spätsommerlichen Nacht:

Es wird nichts ungeplantes Gestehen, tief einatmen, denn wir bekommen die Informationen, tief ausatmen.

Eine eisige Kälte ergreift einen Fleck auf meinem Oberschenkel, die bis eben nonstop von Savios Hand gewärmt wurde. Nur zum Schalten nahm er den Griff von mir, jedoch möchte er nicht nur einen Gang hinunterschalten.

»Savio?«, hinterfrage ich seine Absicht, den Blick nicht aufrecht auf der Straße zu richten. Gekonnt hält er den Schleifpunkt der Kupplung, spielt mit der Einverleibung des Wagens rum, damit wir uns stets vorwärtsbewegen, während er sich über die Mittelkonsole nach hinten beugt. »Verdammt, was machst du da?«

»Wirst du gleichsehen«, erwidert er weniger vielsagend.

Skeptisch starre ich ihn an. Sein Ernst? Wenn er will, dass wir noch gegen eine Palme fahren, bevor wir angekommen, dann ist er auf einen guten Weg ... Meine Vorurteile verharren in meiner Kehle, lassen mich herb schlucken.

Manchmal vergesse ich, wie attraktiv Savios sonderbare Obsession doch ist. Der Anblick der massiven Hand, die flach das Lenkrad hält und führt, weckte Triebe in mir, die meinen Verstand einen Aussetzer verpassen. Vor allem die dunklen Ringe an seinen Fingern lässt meine heiße Zunge über meine Unterlippe fahren. Es ist mehr wie faszinierend, dass er trotz des fehlenden Überblicks den Wagen führen kann. Nein, es ist unglaublich gefährlich, säuselt mein Unterbewusstsein. Gefährlich und fesselnd. 

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