Nervös sah Anastasia auf die Uhr, welche seitlich an der Wand hing. Es war 11:45 Uhr. Gleich würde er diesen Gang entlang laufen, um ins Lehrerzimmer zu gelangen. Schon so lange hatte sie hier an der Treppe in der Pause gestanden und in diese eine Richtung geschaut, nur um ihn jedes Mal um 11:45 hier entlang laufen zu sehen. Es war verrückt, dachte sie sich. Einen Mann nachzuspionieren, nur weil sie Gewissheit wollte. Sie wusste nicht mal, ob ihre Vermutungen stimmten. Sie war sich unsicher, dachte daran umzukehren. Doch was hatte sie davon? Überhaupt nichts.
Dann auf einmal sah sie ihn durch die großen Glasfenster, wie er den Gang entlang lief und gleich an der Kreuzung vorbeilaufen würde. Ihr Einsatz war nun gefragt. Sie war nervös und ihre Hände schwitzten wie verrückt. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und erschwerten ihr das Atmen. Man spricht nicht jeden Tag einen Lehrer darauf an seine Tochter zu sein.
Er kam der Kreuzung immer näher und ihr Herz schlug unfassbar schnell. Sie hatte gemischte Gefühle, sie war sich nicht mehr sicher, doch nun war es zu spät. Später würde sie sich nur Vorwürfe machen. Sie dachte nicht mal nach, schnell lief sie auf die Kreuzung in dem Schulgebäude zu und bog rechts ab. Er schien sympathisch zu sein, seine Ausstrahlung war atemberaubend, so als könne man ihm alles anvertrauen. War dies wirklich der Mann der einst mit ihrer Mutter zusammen war? Er war noch ca. sieben Meter entfernt. Sie lief ihm entgegen, so wie jeder andere Schüler auch. Doch sie war auch nervös. Was wenn er nicht wirklich ihr Vater wäre? Oder was, wenn er sie abweisen würde? Oder sie vielleicht für verrückt erklären würde? Sie hatte Angst.
Dann auf einmal liefen sie aneinander vorbei. Es schien für Anastasia wie in Zeitlupe ablaufen, so nervös war sie. Ihr Herz setzte einmal aus. Er schien sie überhaupt nicht zu bemerken, doch rasch drehte sie sich um bevor es zu spät war. "Herr Feihl?". Anastasia's Stimme klang fest entschlossen. Nun war es für einen Rückzieher zu spät. "Ja?". Er drehte sich um, doch als er Anastasia sah, schien er verwirrt zu sein. "Kenne ich Sie?" lächelte er sie noch verwirrter an. Anastasia war völlig überwältigt von seiner Ausstrahlung. Er schien so freundlich und vertrauenswürdig zu sein, so wie sie es sich dachte und ausmalte. Wenn nur ihre Mutter davon erfahren würde.., dachte sie sich.Anastasia war wie versteinert, sie wusste nicht mehr was sie sagen sollte. Überhaupt wo oder wie sie anfangen sollte. Sie hoffte, dass dieser Mann vor ihr ihr Vater sein würde. "Nein, also ich meine ich habe Sie nicht direkt im Unterricht oder so. Doch.." sie dachte nach und mit jeder verstrichener Sekunde kam sie sich dümmer vor. Was würde er nur denken? Wenn er wüsste, dass sie ihn schon seit langem im Auge hatte, würde er sie wahrscheinlich mit anderen Augen sehen. Denn das Ausschlaggebende stand noch aus.
Sie wollte Antworten, sie wollte es wissen. Sie wollte nicht mehr im Dunkeln tappen.
Deswegen sah Anastasia festentschlossen auf und sah ihm in die Augen.
"Ich glaube Sie sind mein Vater". Es war so als ob alles um sie herum nicht existierte, der Lärm, die Menschen, der Ort. Alles schien nun nicht mehr wichtig zu sein. Die Augen ihres Gegenübers wurden größer. Doch bevor er reagieren konnte lächelte er auf und sah sich um. "Das war sehr witzig" sagte er und wollte sich wieder umdrehen um zu gehen. Doch so einfach würde Anastasia nicht locker lassen. Nicht jetzt wo sie schon so nah dran war. "Ich bin mir sogar ziemlich sicher". Er nickte jedoch nur, so als wäre das ein Witz gewesen. "Ich meine es erst" sagte sie nun etwas lauter, festentschlossener. Er blieb stehen und drehte sich wieder ihr zu. Kurz sah er sich nochmal um und deutete ihr ihm zu folgen.
Nun standen sie ein wenig abseits des Ganges. "Was soll das?" belächelte er das alles. "Soll das irgendein neuer Trend oder so sein?" er sah sie an. "Nein, das ist es nicht!" versuchte sie schnell ihn davon zu überzeugen, doch er blockte komplett ab. "Hören Sie, ich habe viel zu tun" sagte er und drehte sich um, um wieder zu gehen. All die Hoffnung und die Zuversicht brach langsam um sie herum zusammen, doch sie war noch nicht am Ende. Sie kämpfte weiter an. "Nein, warten Sie! Ich heiße Anastasia! Meine Mutter war hier auch Schülerin". Anastasia versuchte, dass er sich ihr wieder zudrehte als sie seitlich zu ihm sprach, doch er blieb stumm. "Vor vielen Jahren, ihr Name war Emily!". Wie aus dem nichts passierte es. Plötzlich blieb er stehen und sah sie monoton an. Er kannte sie. Hoffnung schimmerte wieder in ihr auf.
"Sie kennen sie, hab ich recht?". Wieder sah er sich um und ging mit ihr erneut ein Stück zurück. "Wer sind Sie?" versuchte er nochmal Klarheit zu schaffen. Er sah sie ernst an, denn damit hatte er überhaupt nicht gerechnet. Anastasia's Herz schlug so schnell gegen ihre Brust, sie hatte Angst was jetzt passieren würde. Sie nahm all ihren Mut zusammen und sah ihm in die hellblauen Augen. "Ich heiße Anastasia, ich bin 16 Jahre alt und meine Mutter war hier vor 16 Jahren Schülerin gewesen, ihr Name war-" legte sie die schnellen Fakten nochmals offen, doch er vollendete meinen Satz mit Nichtigkeit. "Emily.." er sah nachdenklich zu Boden.Doch dann sah er auf und betrachtete das Mädchen, welches vor ihm stand. "Ist das dein richtiger Name? Anastasia?". Sie nickte festentschlossen. "Ich habe meinen leiblichen Vater nie treffen können. Meine Mutter redete nicht viel über ihn und wollte mir nichts über ihn erzählen. Deswegen habe ich alles nach meinem Vater abgesucht und bin auf dich gestoßen" hoffnungsvoll sah ich ihn an. Er sah sie weiterhin monoton an, jedoch erkannte sie einen kleinen Funken in seinen Augen, welcher aufstrahlte. An diesen kleinen Funken klammerte sie sich. Anastasia konnte nicht wissen, dass auch sein Herz schnell gegen seine Brust schlug, so als bekomme er fast keine Luft. Je länger er Anastasia ansah, desto mehr brach seine Maske. "Natürlich, du bist sie" lächelte er leicht. "Du siehst immer noch so aus als ich dich in Erinnerung habe" er erinnerte sich an das Treffen zurück. Joachim's Gedanken wendeten sich an dem Tag zu an dem er das erste Mal seine Tochter als sie noch klein war gesehen hatte. In diesem Café war er damals mit von der Partie gewesen. Das erste und das letzte Mal.
Ana lächelte ihn an. Doch sofort erinnerte er sich an das was damals war und sein Lächeln verschwand augenblicklich. Er erinnerte sich an jedes einzelne Wort. Anastasia spürte, dass etwas nicht stimmte und ihre Mundwinkel fielen ebenso. Was ist damals nur passier? Wieder schlug ihr Herz schnell, da ihre Angst wieder hervor kam. Etwas stimmte nicht, das spürte sie. "Doch du solltest nicht hier sein, bei mir" sagte der Lehrer und gab ihr einen Blick, der deutete, dass er unerreichbar war. Das Blut rauschte in ihren Ohren und ihr wurde unglaublich warm. Er stieß sie ab. Sie hatte solch eine Angst vor dieser Reaktion und nun wurde es Realität. "Wieso? Ich möchte dich kennenlernen-" fing sie an, diesmal jedoch mit schmächtigerer Stimme. Sie hatte das Gefühl als würde sie ihren langgesuchten Vater nun sofort wieder verlieren. Er hatte solch ein schönes und freundliches Lächeln, wieso war er dann so? Joachim unterbrach sie jedoch sofort. "Das ist keine gute Idee, Anastasia" sagte er kühl. Ihr Herz stoppte für einen Augenblick. "Aber wieso?" flehte sie schon fast. Joachim sah auf während Anastasia ihn verletzt ansah. "Du solltest das vergessen und in deine Klasse jetzt gehen" sagte er und lief wieder los, an ihr vorbei.
All ihre Welt fing an zu zerbrechen. All die Hoffnung, die sie sich aufgebaut hatte war nun am bröckeln. Es zerriss sie innerlich. Vielleicht hatte ihre Mutter doch Recht und wollte sie nur beschützen. Aber vor was denn? Davor, dass er sie nicht wollte? Oder vor etwas was sie nicht von ihm bekam? Sofort drehte sie sich um und hielt seinen Ärmel leicht fest. Joachim blieb wieder stehen und sah nach hinten. Anastasia sah ihn diesmal nicht an, sie sah zur Seite. Sie konnte seine Abweisung nicht erneut sehen, es tat ihr weh. Die Abweisung des eigenen Vaters.
"Ich habe mir schon seit ich denken kann meinen Vater an meine Seite gewünscht. Ich habe immer gehofft eines Tages würde er zur Tür reinkommen und alles wäre wieder gut. Es waren immer ich und meine Mutter gewesen, von Anfang an. Ich habe so lange nach dir gesucht und jetzt hab ich dich endlich gefunden und... du willst mich wirklich nicht?". In ihren Augen hatten sich erste Tränen gebildet. Sie sah auf und blickte ihm direkt ins Gesicht. "Ist es das warum du nie da warst? Du wolltest mich von Anfang an nicht?" sie sah den älteren fragend an. Joachim sah sie mitleidend an, es brach ihm förmlich das Herz diese Worte von seiner eigenen Tochter zu hören.
Langsam schüttelte er den Kopf. "Nein.., das ist es nicht" fing er leise an, doch Ana unterbrach ihn sofort. "Was ist es dann?" sie sah ihn mit tränenerstickter Stimme an. Joachim brachte es nicht übers Herz sie weinen zu sehen, seine eigene Tochter weinen zu sehen, ihren Schmerz wegen ihm spüren zu müssen. "Es ist.." er sah sie an und sein Herz zog sich zusammen bei ihrem Anblick. Und da war es geschehen, die erste Träne rollte über ihre Wange. Joachim's Herz setzte sofort aus. Mit einer Bewegung nahm er das Mädchen in die Arme und zog es dicht an sich. All die Aufforderungen, Worte und Taten von damals waren ihm in diesem Augenblick egal. Es gab nur ihn und seine Tochter in diesem Moment und er konnte sie nicht zerbrechen lassen. Kurz hielt Anastasia inne, doch dann fiel ihr ein Stein vom Herzen und sie klammerte sich an ihn. Sie war ihm doch nicht egal. "Schon vor deiner Geburt habe ich dich geliebt und ich habe nie damit aufgehört. Jeden einzelnen Tag denke ich an dich, Anastasia. Es vergeht kein Tag an dem ich dich nicht vermisse, es zerreißt mir das Herz meine Tochter nicht sehen zu können" hauchte er ihr zu und es tat ihr gut diese Worte von ihrem leiblichen Vater hören zu können. Ein kleines Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht als sie sich näher an ihn heranrückte und ihn nun endlich gefunden hatte.
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Her pale fire | Band 3
RomanceNach all dem was passiert war, baute sich Emily ein komplett neues Leben auf. 16 Jahre waren nun vergangen und einiges hatte sich geändert. Sie hatte nun einen festen Job in einem Krankenhaus als Chirurgin nachdem sie ihr Abitur und ihr Studium erfo...