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Eine kleine Weile saß ich einfach nur da und sah in meine Teetasse. Ich beobachtete die Wellen des Tees fokussiert und war in mich gekehrt, bis mich Joachim unterbrach. Jedoch bevor er sprechen konnte unterbrach ich ihn sofort. Ich wollte nicht, dass er anfing zu reden. Mich irgendetwas zu meinem Befinden fragte oder ähnliches. "Was wolltest du sagen?" fragte ich ihn ohne den Blick von der Tasse zu nehmen. Er sagte nichts, nicht dass er nichts zu sagen hatte, sondern weil er nicht wusste was ich genau meinte. Kurz sah ich auf und ergänzte mein Gesagtes. "Du wolltest, dass wir uns über Anastasia austauschen. Also?" ich rührte in der Tasse mit einem kleinen Teelöffel um.
Kurz herrschte eine Stille, doch dann sprach mein Gegenüber. "Sie sieht dir unglaublich ähnlich, Emily". Joachim sprach das aus womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte, womit ich nicht rechnen wollte. Ich hob meinen Blick und sah ihn an. Sein Gesicht verzierte ein sanftes Lächeln. Jetzt, da ich ihm nah gegenüber saß und ich ihn genauestens ansah, merkte ich, dass Joachim nicht ein anderer Mensch geworden war. Denn normalerweise, wenn Menschen altern, verändern sie sich im Laufe der Jahre. Jedoch sieht es bei ihm überhaupt nicht so aus. Sein Lächeln war wie damals schon warm und einladend, seine Augen strahlten wie damals noch schön blau, was mich unruhig werden ließ. Ich war jedes Mal überrascht wie Joachim mir einfach so wieder in die Augen schauen konnte oder irgendetwas zu denken. Für ihn existierte nur das Hier und Jetzt.
"Joachim.., deswegen bin ich nicht hier.." hauchte ich leise und nahm einen Schluck vom heißen Tee. "Du beantwortest mir nie meine Frage, die ich dir stelle" sagte er. Ich zog eine Augenbraue hoch und sah ihn an. "Du sagst mir nie wie es dir geht, wenn ich danach frage". Ich hielt inne, natürlich würde ich ihm das jetzt nicht offen darlegen, dass ich am Boden bin, nicht seitdem ich im Polizeirevier zusammengeklappt bin. Doch Joachim hatte recht, ich versuchte dieser Frage von ihm immer aus dem Weg zu gehen. Vielleicht lag es auch daran, dass ich ihm nicht die Wahrheit sagen wollte?
"Also?" ich sah ihn erneut an.
"Wie geht es dir? Und bitte sei ehrlich" Joachim hatte die Hände auf dem Tisch ineinander verschränkt während er zu mir sprach. "Gut" log ich. Ich sah ihn an. Ich rechnete damit, dass er seine Mimik verzog, minimal. Er wusste, dass ich log, das war keine Frage. Vielleicht wollte er mit dieser Frage auch nur sehen, ob ich offen und ehrlich zu ihm war?

Einen Augenblick sah er mich noch an bis er stumm nickte und ein Schluck aus seiner Tasse trank. "Anastasia hat mir erzählt, dass sie mich durch deine Unterlagen gefunden hatte" sagte Joachim und trank erneut einen Schluck. Mir blieb ein Kloß im Hals stecken, sie hatte in den Unterlagen gewühlt? Hat Matt deswegen damals seine Dokumente nicht gefunden, weil Ana alles durchsucht hatte? "Und sie wurde fündig" sagte ich dann kalt. Joachim sah mich an. Unsere Blicke trafen sich und wir sahen uns einfach nur an. Mir stieß es immer noch bitter auf, dass sie Joachim gesucht hatte ohne mir etwas zu sagen. "Denkst du sie sucht auch nach jemand anders?". "Nach wem soll sie denn suchen?" fragte ich ihn schnippisch. Joachim zuckte mit den Schulter. "Ich weiß es nicht, ich versuche nur nach etwas zu suchen" erklärte er. Ich ließ mich in den Stuhl zurück senken. Jedes Mal wurde ich kalt und abweisend zu ihm, Joachim bemerkte er selbstverständlich auch. Ich versuchte dies zu unterlassen, er wollte ja nur helfen, doch so einfach war das nicht.
"Vielleicht.." fing ich an meine Gedanken auszusprechen, doch ich wusste nicht was ich sagen sollte, mein Kopf war blank. "Hat sie etwas zu dir gesagt? Irgendetwas?" ich lehnte mich ein wenig auf den Tisch und sah Joachim sehnsüchtig an. Er sah mich jedoch nur stumm an, er wusste nichts. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck. "Nein, wir hatten nur einen kurzen Kontakt zueinander bevor du davon erfahren hast und sie verschwunden ist" erklärte er ruhig. Meine Hoffnung schwappte wieder ab und ich sank erneut in den Stuhl zurück.

Ich sah nach links zur Balkontüre und dachte nach. "Denkst du sie hat damit was zu tun?" ich betonte meine Aussage abwertend so wie ich sie noch in Erinnerung hatte. Joachim hatte keinen blassen Schimmer wovon oder von wem ich redete, doch als ich ihn direkt ansah erleuchtete es ihn langsam. "Ich glaube nicht" sagte er nachdenklich. "Ja, das dachte ich mir damals auch als sie dich fast umgebracht hatte" sagte ich wieder schnippisch und sah weg. "Sie lebt nicht mehr hier" atmete Joachim aus. Mein Kopf drehte sich wieder in seine Richtung. "Sie ist vor zehn Jahren weggezogen" erzählte er. "Wie schade" wie er es sich schon denken konnte, konnte ich mir einen Kommentar nicht verdrücken. Mein kalter Blick traf seinen. "Emily.." fing er leise an zu reden, doch ich wollte nichts von der Vergangenheit hören, es interessierte mich nicht, zu fünfzig Prozent..

"Ich glaube Joachim, dass wir das hier beenden sollten. Es führt zu nichts. Ich habe dir nichts zu sagen und du mir so wie es aussieht auch nicht. Ich sollte nach Hause gehen" sagte ich ihm und trank den Rest vom Tee mit einem Schluck aus.

"Ich kannte Anastasia nicht lange. Das erste Mal als ich sie gesehen hatte, konnte ich nicht realisieren, dass sie meine Tochter ist. Ich konnte es nicht glauben, Emily. Dich damals zu sehen mit ihr auf dem Arm... Dieses Gefühl ließ mich all das Schlechte vergessen was je passiert war, nur sie war mein Highlight gewesen. Dieses kleine Mädchen zu sehen mit ihrem lilafarbenen Kleid, welches Gänseblümchen drauf hatte... Es war.." Joachim sprach und ihm fehlten alle Wörter. "Ich kann dieses Gefühl nicht beschreiben, sie ist meine Tochter" lächelte er einmal auf und sah mich an. "Sie ist meine Tochter" sein Lächeln wurde breiter je länger er an sie dachte. "Und die Tatsache, dass ich alles kaputt gemacht hatte..." Joachim schloss schmerzhaft seine Augen. "Es tut mir so unendlich leid, so unendlich leid" nach jedem Wort legte er eine kleine Pause ein. Ich sah ihm an, dass sein Herz in diesem Moment brach. Während er diese Worte aussprach schmerzte ebenso mein Herz, Anastasia war weg und hinterließ somit eine unheimlich große Leere.
Innerhalb von Millisekunden schwirrten mir Erinnerungen in den Kopf, welche ich und sie hatten. "Ich hätte dich nicht gehen lassen dürfen, Emily. Ich hätte dich nicht täuschen dürfen, dich nicht enttäuschen dürfen, das weiß ich jetzt. Doch die Tatsache, dass meine Tochter da draußen ist und ich ihr nicht helfen kann.. Es tut mir leid".

Überfordert sah ich Joachim an, nun begriff ich was ich all die Jahre ihm angetan hatte. Ich hatte ihm seine Tochter weggenommen. War meine Entscheidung, welche ich vor Jahren getroffen hatte doch falsch gewesen? Ich bekam Zweifel. Würde Joachim mir das antun, mir Anastasia zu entziehen all die Jahre, ich wäre wahnsinnig geworden.

Ich wusste nicht was ich sagen sollte, sollte ich ihn aufheitern? Ihm Mut zu sprechen, obwohl ich selbst nicht den Mut für mich selbst fand?

Mir fehlten die Worte plötzlich.

Nach einer Stille, welche uns beide nachdenken ließ, unterbrach er sie.

"Ich habe ein Zimmer für Anastasia eingerichtet als du gingst, für den Fall falls du zurück kommen solltest. Ich konnte damit nicht abschließen, deswegen richtete ich ein Zimmer für sie ein. Ich konnte sie nicht gehen lassen, ich wollte nicht" Joachim sah mich an.

Mir stellten sich die Nackenhaare auf.
Dann sah er mich eindringlich an.

"Möchtest du es sehen?".

Her pale fire | Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt